Es gab eine Zeit, in der war die Welt noch einfach strukturiert und leicht zu verstehen, selbst für Idioten. Da ging der Mann die Brötchen verdienen, die Frau hatte gefällig hübsch auszusehen, das Nest nicht minder schön herzurichten und die Nachkommenschaft bei Laune zu halten. Davon, dass das Essen pünktlich auf dem Herd zu stehen hat, fangen wir erst gar nicht an. In genau diesen nostalgisch verklärten Fünfzigern spielt die Geschichte der fleißigen, amerikanischen Hausfrau Josie Schuller. Was weder ihr sehr simpel strukturierter Gatte, noch die in erster Linie um ihre Vorgärten besorgten Nachbarn ahnen, ist, dass Josie an ihren „freien Nachmittagen“ nicht in einem Hospiz arbeitet, wie sie behauptet. Zwar hilft sie tatsächlich Leuten dabei, aus dem Leben zu scheiden, ist dabei aber deutlich aktiver beteiligt, als ihr bezauberndes Lächeln erahnen lässt. Was Damen den Herren oft voraus haben ist ein deutlich höheres Maß an Empathie. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis Josie gerade angesichts ihrer geliebten Familie Gewissensbisse ob ihrer mörderischen Tätigkeit plagen. Einen Ausstieg stellt sich der Chef ihrer „Firma“ aber deutlich endgültiger vor, als sie selbst…
„Lady Killer“ besticht nicht nur durch die augenscheinlich nostalgische Fifties-Werbespot-Optik, sondern vor allem durch das geschickte Spiel mit verstaubten, aber existenten Rollenklischees. Auch wenn insbesondere die Ästhetik dieser Epoche gerade durch die florierende Rockabilly-Subkultur eine Renaissance feiert, ging sie einher mit systematischer Entrechtung und Kleinhaltung der Frau. Die Umkehr dieses Stereotyps gelingt hier durch einen cleveren Kunstgriff. Das klassische Agentenmotiv eines Doppellebens war ja vor allem dem Ernährer einer Familie vorbehalten, dessen anonymer, austauschbarer und vor allem für die Familie oft unerreichbarer Bürojob ein perfektes Alibi für allerlei geheimes Zeug bot. Eine zweifache Mutter, die unter den strengen Augen ihrer tugendhaften, deutschen Schwiegermutter agiert, muss sich da schon deutlich pfiffiger anstellen als der handelsübliche Feld-, Wald- und Wiesenspion.
Mit Witz, Charme und einer gehörigen Portion athletischer Gewalt beweist Josie nicht nur ihrem anständigem, aber einfältigem Gatten, sondern auch ihrer männlichen Killer-Konkurrenz, wer das „starke Geschlecht“ ist. Kritischer, gescheiter und witziger Nostalgie-Flash mit jeder Menge eigensinnigem Charme. Kein Wunder, dass in Amerika jüngst eine Fortsetzung bei Dark Horse gestartet ist.
Jamie S. Rich, Joelle Jones: Lady Killer Bd.1. Panini, Stuttgart 2016. Softcover, 140 Seiten, € 16,99