Erzengel Gabriel ist ziemlich im Eimer. Aus dem Himmel verbannt, seiner Flügel beraubt, fristet er ein klägliches Dasein als Säufer. Bis dann plötzlich zwei Ex-Kollegen auftauchen: Raphael und Raguel zerren ihn in den Himmel zurück, wo der Thron Gottes verwaist ist. Metatron, der einstweilige Regent, eröffnet Gabriel seine brisante Mission: irgendjemand hat Gott offenbar getötet – und undercover soll der Ex-Engel herausfinden, wer dahintersteckt.
Staatsfeind und Verdächtiger Nummer 1 kann natürlich niemand anders sein als der Teufel selbst. Zumal Lucifer Morningstar, der sich aus der Hölle verabschiedet hat, plötzlich in Los Angeles auftaucht, wo Gabriel ihn mit feurigem Schwert aufsucht. Aber Lucifer liefert einen ersten, entscheidenden Hinweis: er trägt eine klaffende Wunde, in der eine Art lebendiges Metall steckt, was man auch in den Überresten des Himmelvaters gefunden hat. Gemeinsam machen sich die beiden ungleichen Ritter auf in die Hölle, um diesen Spuren zu folgen. Dort gibt ihnen die Königin der Hölle Mazikeen den Tipp, sich doch an ihre Mutter Lilith zu wenden – die ist zwar tot, aber im Reiche der Träume noch durchaus lebendig, wo Gabriel und Lucifer ihrer denn auch habhaft werden. Und tatsächlich weiß Lilith zu berichten, dass das schwarze Metall wohl aus dem Schwert stammt, mit dem sich die Menschenrasse einst ihres Peinigers Azazel entledigte. Während Lucifer und Gabriel sich immer weiter im Traumreich verlieren, geschehen in Los Angeles handfeste Monstrositäten, die zeigen, dass irgendetwas massiv faul ist in den Dimensionen…
„Gott ist Tot!“ Diese Provokation, mit der der Philosoph und Begründer des Nihilismus Friedrich Nietzsche seine Zeitgenossen schockierte, transportiert die Schriftstellerin Holly Black (Autorin der „Spiderwick“-Romane) hier mit Wucht in unsere Zeit. Mit ihrer gefeierten Serie „Lucifer“ knüpft Black dabei an Story-Elemente aus Neil Gaimans Sandman an, wo der Leibhaftige nach Millionen von Jahren Herrschaft der Hölle den Rücken kehrt und sein ehemaliges Reich dem Herrn der Träume Morpheus überlasst, der die Regionen des Grauens mit allerlei illustren Figuren bevölkert.
Was aus dem abgedankten Ex-Herrscher wurde, führte Mike Carey in seinem Spin-off „Lucifer“ (erschienen in den Jahren 2000 bis 2006) zwar schon unterhaltsam fort, bietet aber auch Black hier einen Abenteuerspielplatz zwischen Himmel und Hölle (wobei Black einige Elemente von Carey übernimmt, wie etwa Lucifers Piano-Bar „Lux“ oder auch seine Partnerin Mazikeen).
Gabriel erscheint dabei zynisch, desillusioniert, knallhart, wie eine spirituelle Ausgabe des Hard Boiled Detektiv à la Philip Marlowe, während Lucifer als betörender Verführer wirkt, dem man als König der Lügen natürlich niemals so ganz über den Weg trauen darf (während er bei Carey standhaft die Wahrheit sagt). In der Parallelhandlung in Los Angeles entfaltet Black dabei das Grauen des Alltags, als die pummelige Teena Hornick von einem diabolischen Gefäß voller Dämonen zu Mordtaten getrieben wird. Psychedelisch wie bei Gaiman geht es dann bisweilen in den Szenen im Traumland zu, wo Gabriel und Lucifer mit ihren Träumen und Ängsten konfrontiert werden.
So entsteht ein Panoptikum der modernen Verlorenheit, Wertelosigkeit und Abgründe der Gesellschaft, die in ihrer Respektlosigkeit und diebischem Spaß kaum zu überbieten ist und die sich ein Nietzsche wohl kaum hätte intensiver ausmalen können. Der Superhelden-Profi Lee Garbett (u.a. Justice League Dark, Loki und Fables) und Stephanie Hans inszenieren das Ganze stilisiert, leicht alptraumhaft, oft mit ironischen Seitenhieben und gerne auch mit durchaus plakativen Gewaltattacken. Auch wenn die derzeit durchaus populäre TV-Serie auf Careys Luzifer-Variante basiert und um einiges gefälliger geraten ist, bietet der Band doch einen guten Einstieg für Fernseh-Freunde – und für Sandman-Fans allemal.
Holly Black, Lee Garbett: Lucifer – Mein Wille geschehe 1. Panini, Stuttgart 2016. 148 Seiten, € 16,99