„Superheld“ ist ein Wort, das dem Midnighter wohl kaum gerecht wird. Ursprünglich im inzwischen dem DC-Universum einverleibten „Wildstorm“-Kosmos geboren, konzentriert sich das Wirken des in Leder gehüllten Verbrechensbekämpfers durchaus auf die Entsorgung von Verbrechern. Dabei ist es ihm jedoch nicht so wichtig, ob die schweren Jungs nach seinen Streifzügen noch am Leben sind oder über all ihre Gliedmaßen verfügen. Der Midnighter ist nicht Batman. Und wenn es jemand nach seiner sehr weit gesteckten Auffassung von falsch und richtig verdient hat, dann bekommt er – pardon – so richtig was auf die Fresse. Ohne Erinnerung an sein Leben vor der kybernetischen Umstrukturierung durch die mysteriöse „Gärtnerin“ gibt es nur zwei Dinge, die im Leben des kompromisslosen Antihelden eine Rolle spielen: Die sadistische Freude an der gewalttätigen Umerziehung krimineller Subjekte und ausdauerndes Liebesspiel mit knackigen, jungen Männern. Seine übermenschlichen Selbstheilungskräfte und ein Computer in seinem Kopf verwandeln den eisenharten Prügelknaben dabei in eine menschliche, unaufhaltsame Lokomotive…
Richtig gelesen. Obwohl er keinen regenbogenfarbenen Umhang trägt oder über ein besonders sanftmütiges Wesen verfügt, ist der Midnighter schwul. Das schafft nicht nur einen interessanten Kontrast zum überzeichneten Gewaltballett, das die abgeschlossene Serie eigentlich bestimmt. Es ist auch außerordentlich erfrischend, dass seine Homosexualität kein Selbstzweck, kein geheucheltes Verkaufsargument ist. Abgesehen von einer ganz bezaubernden, kurzen Sequenz in einer russischen Bar voller homophober Schläger wäre das Geschlecht der Liebesbeziehungen des Midnighters völlig austauschbar, ist seine Sexualität nicht einmal für seine zahlreichen Feinde ein präsentes, erwähnenswertes Thema.
Stattdessen liegt der Fokus auf vielen wilden, bunten Panels, die mit schriller Action an filmische Achterbahnfahrten wie „Crank“ oder „Hardcore Henry“ erinnern. Wenn schon am laufenden Band gesichtslose Ganoven über den Jordan gehen, dann doch bitte mit Stil und visueller Klasse. Kurz nachdem man sich als Leser bereits an diesen Gedanken gewöhnt und sein Hirn deaktiviert hat, wartet die wirklich unterhaltsame und spritzige Superhelden-Action mit unverhofften Wendungen in der Scifi-lastigen Geschichte auf, die aus dem umfangreichen Softcover-Band noch immer keine philosophische Abhandlung machen, ihm aber deutlich mehr erzählerischen Anspruch verleihen, als man sich zunächst erhofft hätte.
Kinder und zartbesaitete Naturen sollten wohl besser einen großen Bogen um den freundlich lächelnden Herrn mit der Brechstange machen. Freunde gepflegter, fiktiver Keilereien bekommen hier aber den miesesten Bastard seit DCs Lobo präsentiert. Und obwohl das nicht so klingt, ist das ein verdammt großes Kompliment.
Steve Orlando, Stephen Mooney, ACO: Midnighter Megaband 1. Panini, Stuttgart 2016. 268 Seiten, € 28,–