Wenn Milo Manara einen der seltenen Festival-Auftritte absolviert, ist stets der Teufel los. Lange Schlangen bilden sich bei seinen Signierstunden. Denn seine Widmungen, die Dédicaces für die Fans, sind hoch begehrt – steht der schüchterne italienische Comic-Maestro doch (völlig zu Recht) in dem Ruf, die schönsten Frauen zu zeichnen. Ihm selbst scheint das wohl bewusst zu sein und er hat sichtlich einen Heidenspaß an seinem Können, was die zahlreichen zuweilen hoch erotischen Werke, die er im Laufe seiner Karriere geschaffen hat, belegen (Beispiel: die „Außer Kontrolle“ Reihe). Doch auch Werke namhafter Autoren hat Manara bisher in Szene gesetzt, allen voran seinen wunderbaren „Indianischen Sommer“, der gemeinsam mit Hugo Pratt entstand (der Vater von „Corto Maltese“, der auch in Manaras Guiseppe Bergmann Reihe regelmäßige Auftritte absolviert), oder auch „Die Reise nach Tulum“, die nach einem Skript seines Freundes Federico Fellini realisiert wurde. Mit dem aktuellen Band 17 der Werkausgabe veröffentlicht Panini nun zwei Werke, die diese Aspekte in sich vereinen: „Der goldene Esel“, eine Adaption des Romans von Apuleius, der im zweiten Jahrhundert nach Christus lebte, ist voller erotischer Begegnungen, während „Pandoras Augen“ von Vincenzo Cerami verfasst wurde, der ein namhafter Drehbuchautor war (er starb 2013) und u.a. für Roberto Benigni den Oscar prämierten Film „Das Leben ist schön“ schrieb.
In „Der goldene Esel“ reitet der Jüngling Lucius durch das griechische Thessalien. Dort, in der Stadt Hypata, soll er dem Wucherer und Geizhals Milo ein Schreiben überbringen. Während Lucius von Milos Dienstmagd Photis mehr als angetan ist, faszinieren ihn die Fähigkeiten von dessen Frau Pamphile, einer Hexe, die sich nach Auftragen einer Salbe in eine Eule verwandeln kann. Lucius will es ihr nach tun, doch der Selbstversuch schlägt fehl: Photis greift nach einer falschen Salbe und Lucius mutiert zu einem gemeinen Esel. Als er in Eselgestalt von Räubern entführt wird, beginnt für ihn eine leidvolle Odyssee als gequältes Lasttier, als potenzielle Mahlzeit oder als willfähriger Liebhaber einer zoophilen Adligen, bis er am Ende durch göttliche Hilfe wieder seine menschliche Gestalt erlangt. „Der goldene Esel“ erschien 1999 (und auf Deutsch bereits als Einzelalbum bei Schreiber & Leser) und basiert auf dem antiken Roman von Apuleius. Manara arbeitete hier mit Direkt-Kolorierung in seinen für ihn typischen zurückhaltenden angenehmen Farbtönen. Seine Adaption (wie auch schon die Vorlage) steckt voller erotischer Begegnungen (auch die Esel-Szene kommt bereits im Roman vor) und bietet so etliche Gelegenheiten, nackte junge Frauen in allen (Lebens- und Liebes-) Lagen zu inszenieren, was die Manara-typischen Altherren-Fantasien ausreichend bedient.
Doch bietet der Band tatsächlich mehr als blosse Erotik. Bei der Optik der bisweilen grotesken Episoden und Ereignisse lässt sich Manara wieder von Federico Fellinis Filmen inspirieren, hier in erster Linie von „Fellinis Satyricon“ aus dem Jahre 1969. So absolviert die Schauspielerin Magali Noël einen Kurzauftritt als Lucius’ Amme, ansonsten erinnern Masken und diverse derbe Szenerien an das Werk (das mir wie alle Fellini-Filme wohl für immer verschlossen bleiben wird, aber lassen wir das). Und gerade als gemeines Lasttier lernt Lucius die Niederungen der Gesellschaft kennen und geht geläutert aus seinem Abenteuer hervor, wobei Manara direkt nach der Rückverwandlung abbricht und so den Schluss des Romans ausspart, in dem sich Lucius zum Priester weihen lässt und fortan der Göttin dient, die ihn errettet. (Meist) schöne Menschen, v.a. nackte Frauen und erotische Eskapaden in wunderbaren stimmungsvollen Bildern stehen hier im Kontrast zu einer episodischen, schwülstigen Handlung der es an Dynamik mangelt und die auch sprachlich etwas zäh und emotionslos daherkommt, was aber auch in Teilen der antiken Vorlage geschuldet sein mag.
Ganz anders „Pandoras Augen“. Anders in der Handlung, im Aufbau und im Aussehen. Die Geschichte entstand im Jahre 2007 und hier setzt Manara das erste Comic-Skript von eben jenem Vincenzo Cerami um, der ansonsten als Drehbuchautor reüssierte. Die Story spielt in der Gegenwart: scheinbar ohne Grund wird die junge Pandora („Wie die mit der Büchse voller Unheil“, wie sie selbst sagt), gerade 18 geworden, nach einer Party von Unbekannten entführt. Als sie erwacht, befindet sie sich in der Türkei. Ein gewisser und ihr bisher unbekannter Pierre Castex will sie sehen, welcher angeblich ihr leiblicher Vater ist. Schnell wird klar: der ominöse Castex ist ein Gangsterboss, hat daher offenbar einiges auf dem Kerbholz, wird international gesucht und lebt deshalb versteckt hier in der Türkei. Pandora ist all dies verständlicherweise höchst suspekt und so sucht sie, noch ehe es zum ersten Treffen mit Castex kommt, ihr Heil in einer überstürzten Flucht…
Die Story, die mit konventionellen Thriller-Motiven startet, kommt durch einen kleinen Twist erst nach einer Weile in Fahrt. Zuvor dient Pandora, die stets im aufreizenden Minikleidchen auftritt (wobei es nackt-technisch auch bleibt), bei ihrer wilden Hatz durch Ankara als potenzielles Freiwild für die Männer. Nach dem Treffen mit ihrem angeblichen Erzeuger packt die Geschichte schließlich den Leser und man fragt sich, was oder wer noch hinter Pandoras Entführung steckt. Der Band erschien offenbar im Original in Schwarz-Weiß und feiert hier in der Farbversion seine Deutschland-Premiere. Dementsprechend kommen die Panels konventioneller daher, farbliche Feinabstufungen fehlen. Die Bilder sind präzise mit Tusche ausgearbeitet und wirken daher kräftiger und routinierter als beim „Goldenen Esel“. So präsentiert der Band zwei höchst unterschiedliche Werke Manaras, inhaltlich und optisch. Womit die künstlerische Bandbreite des Italieners eindrucksvoll präsentiert wird. Der einleitende Sekundärpart geht auf die Autoren und deren Werke ein, während einmal mehr ein Portfolio (diesmal wieder mit „typischen Manara-Damen“) den Band beschließt.
Milo Manara, Vincenzo Cerami : Manara Werkausgabe, Band 17: Der goldene Esel / Pandoras Augen. Panini Comics, Stuttgart 2017. 132 Seiten, EUR 29,99