Vermutlich ist es noch niemanden aufgefallen, aber Corto Maltese, Hugo Pratts berühmtester Comic-Held, feiert 2017 seinen 50. Geburtstag.
Hugo Pratt hat Corto Maltese im lange zurückliegenden Jahr 1967 kreiert. Im genannten Jahr gründete der Genueser Verleger und Pratt-Fan Florenzo Ivaldi das Magazin Sgt. Kirk, das ausschließlich dazu dienen sollte, die bisherigen Arbeiten Pratts vollständig in Europa zu publizieren. Für das neue Magazin konzipierte Pratt eine neue Comic-Erzählung mit dem Titel „Una ballata del mare salato“ (1967, dt. Die Südseeballade, 165 Seiten) in der auf Seite 7 eine Figur debütierte, die den Autor endgültig berühmt machen sollte: Corto Maltese. Pratt nutzte die Figur des Kapitäns ohne Schiff, um Selbsterlebtes in die Handlung einzubringen. Die Parallelen zwischen dem Lebenslauf des Autors und seines Protagonisten sind daher kein Zufall.
Corto Maltese tritt im Verlauf seiner verschiedenen Abenteuer als sensibler, unberechenbarer Held an den markantesten historischen Schauplätzen des beginnenden 20. Jahrhunderts auf: Man trifft auf Corto Maltese zunächst in der Mandschurei während des russisch-japanischen Krieges (1904-1905), sieht ihn im Südpazifik und auf der Insel Escondida in Pratts Meisterwerk Südseeballade wieder (1913-1915), reist dann mit ihm nach Südamerika, in die Karibik, nach Maracaibo und ins Orinoco-Delta (1916-1917), gelangt schließlich mit Corto nach Europa (1917-1918), nach Afrika (1918) und verfolgt seine Spur von Hong Kong bis nach Sibirien (1918-1920). Nach Abenteuern in Venedig (1921) und auf der Seidenstraße (1921-1922) kommt Corto Maltese 1923 nach Buenos Aires, um eine Freundin wieder zu finden. 1924 führt ihn sein Weg in die Schweiz und 1925 macht er sich auf die Suche nach dem verlorenen Kontinent (Mû). Für alle seine Serien, vor allem aber für Corto Maltese entwickelte Pratt ein Erzählkonzept, das darauf angelegt war, die Grenzen zwischen historischen Fakten und Fiktion aufzuheben.
Eines der besten Corto Maltese ist für mich das Abenteuer in Sibirien. Es gibt nicht nur ein Wiedersehen mit Rasputin, sondern auch eine Begegnung der besonderen Art mit General Baron Roman Fjodorowitsch von Ungern-Sternberg. Ein schillernde Person, die mich gleich nach dem Lesen des Sibirien-Bandes dazu veranlasste, mich weitergehend mit Ungern-Sternberg und die damalige russische Geschichte zu befassen, die für mich nahezu unbekannt war. Sehr interessant das Ganze!
Die Geschichte selbst beginnt in einem verträumten Innenhof in Venedig, und sie endet in blutigen Machtkämpfen an der Grenze zwischen Sibirien und der Mandschurei. Nach der Oktoberrevolution 1918 ist eine ganze Region in Aufruhr. Zudem reist der legendäre Zarenschatz angeblich in einem Panzerzug durch die sibirischen Steppen. Corto Maltese lässt sich von Rasputin und dem Geheimbund der Roten Laternen zu einem Überfall auf eben diesen Goldzug überreden. Doch dieses Mal bleibt er nicht der spöttische Beobachter, sondern gerät zwischen die Fronten…
Corto Maltese ist ein beinahe biografischer Comic über einen vagabundierenden Helden, der die Leser auf seine vielen Reisen, dieses mal u.a. nach Sibirien, mitnimmt und ein Stück zum Träumen über exotische Welten anregt, sofern man sich darauf einlässt. Der Sibirien-Band ist eine ausgesprochen schöne Pratt-Story. Wieder mal sehr gelungen: die Cover-Komposition des neuen Albums. Auch in dieser Corto-Ausgabe gibt es wieder einen umfangreichen Sekundärteil mit vielen Abbildungen. Wenn auch hier und da skizzenhaft bzw. reduziert, so sind die Zeichnungen von Pratt auf ihre ganz eigene Weise brillant. Besonders hervorzuheben ist die schöne Kolorierung. Es dominieren blaue, bräunliche und rote Pastelltöne.
Wie bereits von den ersten Bänden der Schreiber & Leser-Neuedition gewohnt, erscheint auch „Corto Maltese in Sibirien“ als Farbausgabe und als Klassik-Edition in Schwarz-Weiß.
Text via PPM.
Hugo Pratt: Corto Maltese in Sibirien. Schreiber und Leser, Hamburg 2017. 136 Seiten, € 29,80 (Farbausgabe)
Hugo Pratt: Corto Maltese in Sibirien. Schreiber und Leser, Hamburg 2017. 136 Seiten, € 29,80 (Schwarzweißausgabe)