Lost in Space – „Überlebende“

ueberlebende-cvrStell dir vor, du wachst auf einem fremden, unbekannten Planeten auf. Gemeinsam mit elf anderen jungen Menschen, Teenager, zwei davon noch Kinder. Du kennst nicht einmal den Namen des Planeten, geschweige denn seine Flora und Fauna. Du weisst nur eins: du wirst hier den Rest deines Lebens verbringen, ob du nun willst oder nicht. Und Dein einziger Plan: Überleben. So geschieht es einer Gruppe von zwölf Menschen, die auf wundersame Weise eine interstellare Katastrophe überlebt haben. Denn ihr Raumschiff, die Tycho Brahe (benannt nach dem dänischen Astronom des 16. Jahrhunderts) ist beim Flug zur Kolonie Aldebaran während der Lichtgeschwindigkeits-Phase havariert und wurde offenbar komplett zerstört. Jetzt müssen die zwölf, die in einem Shuttle nach sechs Monaten Dauerschlaf den nächsten bewohnbaren Planeten ansteuerten und die aus aller Herren Länder stammen, sich wohl oder übel mit ihrer neuen Situation arrangieren.

Viele davon kennen sich bereits. Man stammt von der gleichen Schule für UNO-Beamten. Die Geschichte wird aus der Sicht des 18-jährigen Alex Muniz erzählt (wie Leo ein Brasilianer). Zur Gruppe gehören u.a. auch eine Deutsche, die Alex zugetan ist, der Amerikaner Mel, der Italiener Max und Manon, eine Französin. Dabei macht sich Mel schnell unbeliebt, als der den typischen ignoranten Ami gibt, der leichtsinnig wertvolle Gewehr-Munition vergeudet. Denn man begibt sich in dem üppigen Wald, in dem man gelandet ist, auf die Suche nach etwas Essbarem und stößt dabei bald auf erste geheimnisvolle und unerklärliche Dinge, seien es Tiere, Pflanzen oder eine seltsame, sich bewegende schwarze Spur hoch oben am Himmel. Dann werden plötzlich zwei Frauen aus der Gruppe von „eingeborenen“ Wesen entführt und der Rest der Überlebenden streitet sich ob der sich auftuenden Zwickmühle: das Risiko eingehen und die Entführten befreien oder sich nicht weiter in Gefahr begeben und die Entführten damit aufgeben…

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Beinahe könnte man den Überblick verlieren angesichts der vielen Leo-Serien, die Splitter inzwischen im Programm hat – abgeschlossene, laufende oder zukünftige. Deren Kernstück sind die „Welten von Aldebaran“, welche aus den Serien „Antares“, „Aldebaran“ und „Betelgeuze“ bestehen. Alle sind von Leo sowohl geschrieben als auch gezeichnet. Dann gibt es die Mystery-Reihen, die auf der Erde spielen und die er mit Rodolphe und Marchal (dessen Zeichenstil dem von Leo sehr ähnelt) realisiert: „Namibia“, „Amazonia“ und „Kenya“. Und schließlich die SF-Serien außerhalb der Aldebaran-Zyklen: „Centaurus“ und „Ferne Welten“. Hier wird der Zeichenstift von Techno-Vater Zoran Janjetov, bzw. Icar geschwungen. Der Mountie-Western „Trent“, der auch nicht bei Splitter, sondern bei Salleck erscheint, fungiert hier als Ausnahme der Regel, auch Genre-technisch. Nun also „Überlebende“. Das Gute daran: die Serie ist zwar ein Aldebaran-Ableger, wer aber keine Lust auf den Leo’schen Serienwust hat und mal ganz unabhängig davon in eine seiner SF-Reihen und in die Art, wie er Comics macht, hineinschnuppern will, dem kann man die Reihe guten Gewissens empfehlen, ist sie doch ohne jegliche Vorkenntnisse genießbar. Auf den Vorsatzseiten wird kurz die Katastrophe um die Tycho Brahe geschildert, danach geht es unvermittelt ins Geschehen.

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Dabei sind wieder alle Zutaten des für Leo so charakteristischen Science Fiction-Stils dabei: eine fremde Welt, die erforscht werden will, die wie immer von unbekannten Pflanzen und Lebewesen bevölkert ist, welche Wunder, Gefahren und Überraschungen bergen. Wir stets geht Leo nicht abgehoben vor, sondern eher unspektakulär und bedächtig. Wir haben hier keine Space-Opera, keine Robinsonade im Weltall oder gar eine Alien-typische Monsterhatz. Die Gruppe, in der es natürlich massiv menschelt, besteht aus hormongesteuerten Kindern, Jugendlichen oder Fast-Erwachsenen. Darunter Personen mit unbekannter Vergangenheit (Manon), wie auch die üblichen Alpha-Tiere (Mel und Max), die jeder gleich eine Gruppe um sich scharen. Man trennt sich, man faucht sich an, man streitet sich, man hintergeht sich und natürlich liebt man sich auch. So stehen im ersten Teil des Bandes auch die unfreiwilligen Neuankömmlinge im Vordergrund (ja, auch in den Panels), die sich erst einmal sortieren und die Lage sondieren. Für Nahrung und Wasser muss gesorgt werden. Und für Toiletten. Doch ehe die Sache zum stellaren Dschungelcamp ausartet, geht es schnell in die Vollen. Eine erste Sichtung von „Außerirdischen“ (aus menschlicher Sicht…) und dann gleich die Entführung durch jene Lebewesen, einer kuriosen Mischung aus Käfern und Ninja Turtles. Aber das ist erst der Anfang, eine viel größere Überraschung erwartet die Überlebenden noch.

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Auch bei der xten Variation von Leos Lieblingsthema dreht der gebürtige Brasilianer geschickt an den Stellschrauben seiner bisherigen Serien, indem er nur einige wenige Dinge verändert (junge Menschen und ihr unfreiwilliger Aufenthalt) und präsentiert so einmal mehr eine frische, originell unterhaltsame Reihe, die wie immer als Fünfteiler angelegt ist. Dabei scheinen ihm die Ideen noch lange nicht auszugehen. Und wie immer passt der klare, nüchterne Zeichenstil und die kräftigen Farben zur Story, die völlig ohne Horror- und Schock-Elemente auskommt (vom dem vermeintlichen Riesenviech mal abgesehen, das nachts um das Shuttle schleicht) und trotzdem fasziniert. „Überlebende“ ist damit sowohl für alte Aldebaran-Hasen als auch für Neuleser eine Reise wert. Band 2 erscheint im September.

Leo: Überlebende, Episode 1. Splitter Verlag, Bielefeld 2017. 48 Seiten, 14,80 Euro