Fans des altgedienten belgischen Zeichners Hermann Huppen, der seit jeher nur unter seinem Vornamen „firmiert“ und der gerade erst zu Gast auf dem Comicfestival in München war, werden im Moment bestens bedient. Neben den neuen Werken des noch immer höchst produktiven Hermanns, die gegenwärtig mit schöner Regelmäßigkeit im Erko Verlag erscheinen (zuletzt der Western „Duke“), sind gleich drei Gesamtausgaben seiner älteren bzw. ganz alten Serien neu auf dem Markt: „Die Türme von Bos-Maury“, das Ritterepos, das ebenfalls bei Erko veröffentlicht wird, „Jugurtha“, die Reihe um den numidischen Prinzen, die Hermann später nicht weiter zeichnete (dt. bei Finix) und schließlich „Andy Morgan“, jene klassische Abenteuer-Serie, die bereits ab 1966 im Magazin Tintin erschien. Die Gesamtausgabe zu „Andy Morgan“ bringt der Carlsen Verlag heraus, der bereits von 1986 bis 1995 die Serie – erstmals komplett und chronologisch – in Softcover-Alben veröffentlichte.
Andy Morgan startete seine Comic-Karriere als Inspektor bei Interpol in mehreren Kurzgeschichten bis zu sechs Seiten, die schnell aufgelöst werden und in denen er es mit diversen Gaunern und Gangstern zu tun bekommt. Als strahlender Held und Saubermann, stets cleverer und aufgeweckter als seine Gegenspieler. Und recht eindimensional. In der letzten dieser Storys wird ihm eine Yacht vermacht, die Cormoran. Und damit werden die Weichen für den weiteren Verlauf der Serie gestellt, die nun erst richtig Fahrt aufnimmt, im wahrsten Sinne des Wortes. Denn fortan bestreiten Andy, sein indischer Pflegesohn Ali und das seemännische Raubein Barney Jordan, das sich in der ersten langen Episode dazugesellt, ihre Abenteuer in aller Herren Länder, (fast) immer unterwegs mit der Cormoran. Den Anfang macht eine Fahrt ins afrikanische Lokanga, wo man flussaufwärts eine mysteriöse Fracht bergen soll („Die Piraten von Lokanga“, 23 Seiten), gefolgt von einer gefährlichen Mission im chinesischen Raum, wo man dem gefürchteten Piraten Wang-Ho, genannt General Satan, gegenübersteht („General Satan“, 22 Seiten).
In anschließenden „Die Rebellen von Coronado“, erstmals 1967 im Magazin Tinin erschienen, bestreiten Andy, Ali und Barney endlich ihr erstes albumlanges Abenteuer. Nach einem Motorschaden muss die Cormoran das südamerikanische Coronado anlaufen. Hier treffen die drei den schurkischen Bronzen aus Lokanga wieder, der als Großgrundbesitzer die einfachen Bauern übers Ohr haut und sich wie ein Despot aufführt. Andy und seine Gefährten schlagen sich auf die Seite der Rebellen um den grobschlächtigen El Lobo. Danach führt es die Cormoran Crew an „Die Grenze zur Hölle“, erneut nach Asien, nach Lao-Todang, wo Barney und Andy bereits kurz nach dem Anlegen in ein Komplott geraten und ins berüchtigte Gefängnis Suong-Bay gebracht werden. Durch Ali, der seinen Häschern entkommen konnte, erfahren sie, dass Wang-Ho, General Satan persönlich, hinter dem Komplott steckt und seine alten Widersacher nun endgültig loswerden will.
Mit Andy Morgan betritt ein klassischer Zack-Held wieder die deutsche Comic-Bühne, die er vor gar nicht allzu langer Zeit verlassen hat. Denn zwischen 2010 und 2015 veröffentlichte Kult Editionen bereits eine Gesamtausgabe, die im Albumformat, das sich im Design und im Layout frappierend genau an der Comanche Reihe von Splitter orientierte, alle Abenteuer Andys chronologisch enthielt, jeweils mit Sekundär-Teil, inklusive des neuen Albums „Gefahr auf dem Fluss“, das von Hermanns Sohn Yves H. geschrieben wurde. Gerade einmal zwei Jahre später nun die Gesamtausgabe? Mit fast identischen redaktionellen Texten (von Volker Hamann) und Abbildungen (wobei bei den Covern die Kult-Ausgaben unterschlagen werden)? Wer braucht das? Klare Antwort: niemand. Zumindest niemand, der alle Kult-Alben sein eigen nennt. Es sei denn, er ist Hermann-Fan und Sammler. Für alle anderen gilt natürlich: Wer gerne dem aktuellen Trend folgt und dicke, bibliophile Gesamtausgaben sein eigen nennen möchte und wer dem alten Zack-Recken (das Koralle Zack, versteht sich) schon lange nicht mehr begegnet ist, ihn gar erst kennen lernen will oder in dem Zug seine Softcover-Alben entsorgen möchte (was man natürlich nicht tut), der ist hier richtig. Außerdem, das ist ja hinlänglich bekannt, stehen Gesamtausgaben besonders gut im Schrank…
Hermann startete seine Karriere mit „Andy Morgan“ (im Original „Bernard Prince“) unter der Regie von Autor Greg (d.i. Michel Régnier), mit dem er später ebenso erfolgreich die Western-Serie „Comanche“ realisieren sollte. „Andy Morgan“ etablierte sich schnell, ebenso wie der Zeichenstil Hermanns, der von Anfang an erstaunlich ausgereift war – wenngleich er mit dem heutigen Stil des Belgiers rein gar nichts mehr gemein hat (heute zeichnet Hermann als einer der wenigen im Couleur Directe Verfahren). Viele Panels und Szenen aus den ersten langen Geschichten prägen sich dem Leser auch heute noch ein und sind in ihrem realistischen Stil zeitlos: Die Cormoran im Dschungelfluss, daneben das abgestürzte Flugzeug und die Signalraketen, die direkt auf den Leser zuzufliegen scheinen. Die Flotte der Dschunken auf dem Meer, die die Cormoran verfolgen. Die Erstürmung der Stadt Ciudad del Mar und des Ballsaals durch die berittenen Rebellen oder die Flucht durch den Moskito verseuchten Dschungel beindrucken sowohl mit ihrer Intensität als auch als Action-Stilleben und zeigen Hermann schon früh als Meister seines Fachs. Und machen auch im xten Aufguss noch Laune.
Greg, Hermann: Andy Morgan Gesamtausgabe, Band 1. Carlsen Verlag, Hamburg 2017. 192 Seiten, 29,99 Euro