„Genosse Superman“ – Unter Roten

Die Geschichten aus der losen „Elseworld“-Reihe des DC-Verlages erzählen den „What if?“-Heften von Konkurrent Marvel nicht unähnlich – alternative Geschichtsverläufe ihrer Muskelprotz-Mythen. Während man bei Marvel aber eher in „Zurück in die Zukunft“-Tradition den Wirkungskreis des Schmetterlingseffekts auslotet, möchten „Elseworld“-Szenarien den Helden und ihrer Welt auch immer visuell neue Aspekte abgewinnen. Egal ob im Wilden Westen oder im viktorianischen England, die Charakter-Designer sollen was zu tun haben, und wenn nebenbei neues Merchandise abfällt, wird das sicher auch niemandem schaden. Außer dem einen oder anderen Geldbeutel vielleicht.

Tatsächlich hat dieses Konzept hervorragende Comics wie „Gotham by Gaslight“ oder „Kingdom Come“ hervorgebracht. Und auch Mark Millars „Genosse Superman“ darf sich neben diesen stets abgeschlossenen Comic-Perlen durchaus sehen lassen! Während das Zeichnerduo Johnson / Plunkett tatsächlich das Kunststück vollbringt, ihre Stile so aufeinander abzustimmen, dass trotz zwischenzeitlichem Schichtwechsel alles herrlich wie aus einem Guss wirkt, darf sich der schottische Provokateur nach Herzenslust austoben, während er mit Superman eine durch und durch amerikanische Ikone dem nie vergessenen Intimfeind (ehemalige) Sowjetunion auf den Leib schreibt. Richtig. Der kleine Kal-El landet in „Genosse Superman“ nicht, wie so oft zuvor in Kansas, sondern irgendwo in der Ukraine.

Die allgegenwärtige Retro-Propaganda-Ästhetik und Millars schamlos-brillanter Perspektivwechsel sorgen für ein absolut ungewohntes und frisches Feeling bei der Lektüre einer Superman-Story, ohne dabei auf elementare, klassische Bestandteile wie die ewige Frage nach Verantwortung und Selbstbestimmung des gottgleichen Wunderknaben zu verzichten. Zahlreiche alternative Geschichtsverläufe, Anspielungen auf Verschwörungs-Evergreens wie Roswell und natürlich auch jede Menge Easter-Eggs und augenzwinkernde Seitenhiebe auf die Hauptkontinuität der DC-Helden lassen den Band dabei wie im Flug vergehen.

„Genosse Superman“ könnte ein tiefgründigeres, bedeutungsschwangeres Buch sein. Voll von schwermütigen, politischen und philosophischen Dialogen und existenziellen Fragen. Das Zeug dazu hätte der aufregende Ansatz allemal. Aber als actiongeladener, gewohnt anarchisch-frecher Millar-Cocktail macht er sich schon ganz ausgezeichnet. Vielleicht bekommen wir ja irgendwann doch eine Fortsetzung serviert…

Mark Millar, Dave Johnson, Kilian Plunkett: Genosse Superman (Mark Millar Collection Bd. 4). Panini, Stuttgart 2017. 172 Seiten, 24,99 Euro