„Wir waren Originale“ – „Black Hammer ’45“

„Black Hammer ’45“ ist das fünfte Spin-Off der Lemire’schen Erfolgsserie „Black Hammer“, die seit 2016 bei Dark Horse und seit 2018 auf Deutsch bei Splitter erscheint. Lemire führt die Leser*innen diesmal in den Zweiten Weltkrieg.

„Black Hammer ’45“ wird auf zwei Zeitebenen erzählt: In der Gegenwart, etwa zu Beginn der Nullerjahre, treffen John Paul, Li und der gealterte Superheld Wingman (bekannt aus dem Black-Hammer-Spin-Off „Sherlock Frankenstein“) aufeinander, um ein gemeinsames Ritual zu begehen: „Jaja. Heute ist der Tag. Ich weiß.“ Worin das besteht, erfahren die Leser*innen erst auf den letzten Seiten. Der Plot folgt nicht der Erinnerung einer einzelnen Figur, sondern sondern wird als Rückblende erzählt.

Jeff Lemire (Autor), Ray Fawkes (Autor), Matt Kindt (Zeichner): „Black Hammer ’45“.
Aus dem amerikanischen Englisch von Katrin Aust.
Splitter, Bielefeld 2020. 120 Seiten. 22 Euro

Es ist Frühling 1945, und das Ende des Zweiten Weltkriegs zeichnet sich, ungeachtet der fortlaufenden Kämpfe, bereits ab. In einem Gefangenenlager östlich von Wien wird der Wissenschaftler Herman Greenbaum mit seiner Familie von den Nazis festgehalten. Seine Expertise irgendwo zwischen Physik und Okkultismus hat für die militärisch unterlegenen Deutschen keinen Wert mehr, sehr wohl aber für die Russen und Amerikaner. Während erstere die Red Tide (sowjetische Riesenroboter) schicken, um Greenbaum für sich zu gewinnen, werfen die Amerikaner die Black Hammer Squadron in den Ring, eine heroische Luftwaffeneinheit, bestehend u. a. aus den drei Herren aus der Rahmenhandlung. Weil sich auch noch der österreichische Superflieger Oberst Klaus von Löwe („Ghost Hunter“) einmischt, kommt es zu einem Kampf auf dem Boden und in der Luft. Es kommt, wie es kommen muss, nämlich zu Toten, und damit ist die Geschichte eigentlich auch schon vorbei.

Jeff Lemire hat sich diesmal prominente Unterstützung ins Black-Hammer-Boot geholt – gute Freunde: Ray Fawkes als Co-Szenarist und Matt Kindt als Zeichner. Die schrullig-rauen Zeichnungen von Matt Kindt (auf Deutsch liegt der erste Band von „DEPT.H“ vor) sind Geschmackssache, erinnern aber auch immer auch an Lemires eigenen Stil, den er in seinen Soloprojekten pflegt („Essex County“, „Frog Catchers“). Der Kanadier Ray Fawkes ist hierzulande noch nicht bekannt genug, weil dessen spannendsten Comics wie „One Soul“ und „In the Flood“ noch nicht übersetzt sind, im Gegensatz zu seinen DC- und Marvel-Arbeiten.

Immer wieder scheint das Hammerverse durch die schroffe Oberfläche der eigenwilligen Zeichnungen: Golden Gail fliegt vorbei, Abe Slam fungiert als Militärfahrer, auch Doctor Star hat einen kurzen Auftritt (als Doctor Andromeda). Aber was zieht die Black-Hammer-Helden in den Zweiten Weltkrieg? Der Gedanke, Superhelden in ein historisches Setting zu versetzen, ist schon so vielen gekommen: Während der Kriegsjahre 1939-45 haben Helden verschiedener Verlage ihre Fäuste gegen Hitler erhoben, darunter Batman und Superman – der Comic-Historiker Alexander Braun hat kürzlich eine ganze Ausstellung in Dortmund hierzu durchgeführt. Und auch lange nach Kriegsende haben Hitlers Schergen immer wieder Künstlern als Material für Storys gedient, so etwa Mike Mignola für dessen „Hellboy“ (seit 1993).

Seite aus „Black Hammer ’45“ (Splitter Verlag)

Lemires sogenanntes „Hammerverse“ expandiert in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit. Im Juli 2016 erschien das erste Heft bei Dark Horse, inzwischen liegen etwa 1.300 Buchseiten vor, die sich auf die Hauptserie und mehrere Spin-Offs („Sherlock Frankenstein“, „Doctor Star“, „Streets of Spiral City“) verteilen. Noch aktueller ist das Crossover-Event „Black Hammer/Justice League: Hammer of Justice!“, dessen erste vier Hefte seit Juli 2019 erschienen sind. In Deutschland liegen die vier Sammelbände der Hauptserie und die Spin-Offs vor. Dass Lemire daneben noch jede Menge anderer Projekte am Laufen hat, darunter „Gideon Falls“, die „Descender“-Nachfolgeserie „Ascender“ oder die Joker-Miniserie „Joker: Killer Smile“, die Oktober 2019 gestartet ist (vom aktuellen „Berserker Unbound“ ganz zu schweigen), macht den kanadischen Erfolgsautor zu einem Vielschreiber, der mit seinen Comics erstaunlicherweise rundum erfolgreich ist. Und nun? Funktioniert die Übersiedlung in die dunkeldeutsche Realgeschichte?

War bei den Golden-Age-Comics, in denen Hitler und seine Schergen auftraten, die Propaganda-Funktion noch augenscheinlich, müssen spätere Autor*innen einen guten Grund liefern, warum sie sich diese Zeit als Schauplatz ausgesucht haben. Spiegelmans „Maus“ hat diesem Vorwurf gute Argumente gegenüberstellen können. Bei „Black Hammer ’45“ liegen solche nicht auf der Hand. Braucht man das? Zudem hätten die Fliegergeschichten 1:1 als Kriegsschilderungen des Ersten Weltkriegs durchgehen können.

Plausibler wird der Rückgriff erst, wenn man sich vor Augen führt, dass die Black-Hammer-Serie sich als Hommage an Genres, Epochen oder Stile der Comic-Geschichte versteht, wie Lemire in einem Interview zusammenfast: „Golden Gail and Abe were both Golden Age heroes. Barbalien was like the bronze age sword and sandal heroes meets a more sci-fi bronze age concept. Colonel Weird is obviously Silver Age sci-fi and Dragonfly was 80’s or 90’s proto-Vertigo horror. Black Hammer is a 70’s blaxploitation character etc.”

Seite aus „Black Hammer ’45“ (Splitter Verlag)

Man tut also gut daran, „Black Hammer ’45“ nicht in erster Linie als Kriegscomic zu verstehen, sondern als eine Hommage an Kriegscomics wie die DC-Serie „Enemy Ace“, in der der Flieger Hans von Hammer (nomen est omen) im Zentrum steht, übrigens im Ersten Weltkrieg. „Wir waren Originale“, sagt John Paul in „Black Hammer ’45′ wehmütig – die Black-Hammer-Crews der verschiedenen Storys sind meist keine, kommen aber als originelle Kopien daher. By the way: Auch „Hellboy“-Schöpfer Mignola hat übrigens weniger ein historisches Setting im Blick gehabt, als er Hellboy als Nazi-Schöpfung inszenierte, sondern dies als Reflex seiner Comicsozialisation interpretiert, so Mignola in einem Interview von 2019. Das plausibilisiert das Setting, macht die schlichte Handlung aber nicht wirklich spannender. Die Figuren haben kaum psychische Tiefe, verfolgen keine erkennbaren Motive, haben keine inneren Konflikte und entwickeln sich nicht. Dabei hat genau dies doch die Black-Hammer-Serie ausgezeichnet.

In der Rahmenhandlung, die 14 der 100 Buchseiten ausmacht, scheinen Fawkes und Lemire nachholen zu wollen, was die Binnenhandlung vermissen lässt: Die gealterten Helden bringen die menschlichen Makel in die Lemire’schen Superhelden – aber das wiegt die monotone Schlichtheit der Fliegerkämpfe nicht auf. Der von Lemire sonst so elegante Balanceakt zwischen Superheldenaction und komplexer Figurengestaltung geht diesmal nicht auf. Unter den Black-Hammer-Spin-Offs sind „Doctor Star“ und „Sherlock Frankenstein“ weiterhin zu empfehlen – ‚das waren Originale‘, wohingegen „Black Hammer ’45“ nurmehr eine farblose Kopie ist.

Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.

Seite aus „Black Hammer ’45“ (Splitter Verlag)