Gleitmittel Vatikan – „In God We Trust“

Der Comic-Künstler Winshluss hat sich die Bibel vorgeknöpft.

Dieser Comic wird Christen zur Weißglut treiben, Atheisten glücklich machen. Linken wird er das Herz öffnen, Rechten im besten Fall ein paar Infarkte bescheren. Elegante Bildererzähler in der Nachfolge Will Eisners wünscht man sich allerorten, aber das schmutzige Erbe eines Robert Crumb wird derzeit nur verhalten gepflegt. Doch wer sich sorgt, dass dem Comic im Zuge der großen Graphic-Novel-Sause Wut, Witz und Punkrock ausgetrieben werden, dem dürfte „In God We Trust“ die Angst ein wenig nehmen.

Winshluss erzählt auf knapp 100 Seiten die Geschichte des Alten wie Neuen Testaments neu. Klingt erst einmal langweilig, und 2009 trat Crumb höchstselbst mit „Genesis“ den Beweis an, dass ein solches Vorhaben ordentlich in die Hose gehen kann, wenn einzig Ehrfurcht vor biblischen Metaphern den Zeichenstift führt – Kunst für Büchertische auf Kirchentagen.

Winshluss (Text und Zeichnungen): „In God We Trust“.
Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock. Avant Verlag, Berlin 2016. 104 Seiten. 19,95 Euro

Dort wird „In God We Trust“ niemals ausliegen, denn obgleich die Aufmachung mit Goldprägedruck und Lesebändchen im edlen Hardcover vollendet schwergewichtig daherkommt, wartet im Innern die brachiale Mogelpackung. Das war schon bei Winshluss′ 2009 veröffentlichter Groteske „Pinocchio“ (leider der einzigen weiteren deutschen Übersetzung seines mittlerweile zweistelligen Werks) der Fall und wurde vom Betrieb sogar honoriert: Auf dem Angoulême-Festival wurde das Buch als bestes Album ausgezeichnet, also mit dem Comic-Oscar, in Deutschland folgte in Erlangen der Max-und-Moritz-Preis für die beste internationale Veröffentlichung, der Comic-Globe.

Schön, dass sich der Künstler davon nicht domestizieren ließ, sondern in „In God We Trust“ sintflutartig einen Kotzeteppich über den christlichen Aberglauben ausbreitet. Das beginnt bereits mit der Dürer-Variation auf dem Schmutztitel: zwei abgehackte Hände, die zum Gebet geformt sind.

Auf der ersten Seite heißt uns der Erzähler willkommen: St. Franky, ein dem Bier erlegener Mönch und nunmehriger Engel, der die Episoden einleitet und dabei immer besoffener wird. Schon auf der zweiten Seite folgt das formatfüllende Bildnis Gottes: ein dicker, haariger, nur mit hautengem Slip bestückter Kerl (auf dem Sack prangt die Aufschrift God) mit langer Matte und Bart, Typus Bauarbeiter mit Metal-Affinität. Glückselig hüpft er von Wolke zu Wolke und bejubelt sich selbst: „Ha! Ha! Ha! Ich bin der große Weltenschöpfer!“ Selbstmitleid ist ihm nicht fremd, sei es, wenn er hypernervös Maria zu becircen versucht oder seine Depressionen auf Tequila, Pilzen und Koks wegquatscht („Am liebsten hätte ich ja Musik gemacht …“). Das Ganze leitet St. Franky so ein: „Viele von euch wollen mehr erfahren über die Begegnung von Gott und Maria … Dazu habe ich jede Menge SMS bekommen. Und auch welche, die anfragen, ob Gott ein Rechter ist … Das geht euch aber nichts an!“

Der Tonfall wird bleiben, nicht jedoch der Stil. Episodisch arbeitet sich Winshluss an den Höhepunkten des Bibeltextes ab – Schöpfungsgeschichte, Adam und Eva, Kreuzigung Jesu, Tag des Jüngsten Gerichts und so weiter – und passt die Zeichnungen dem jeweiligen Format an. Das sind mal Werbeanzeigen oder Detektivgeschichten, Fünfziger-Jahre-Monsterparanoia-Movies oder Superheldenparodien (God vs. Superman!). Seine alternativen Geschichtsschreibungen sind in puncto Ideenvielfalt nicht minder originell als das Original: Vielleicht lässt sich die Auferstehung Jesu mittels der beiden Römer erklären, die, statt seine Grabstätte zu verschließen und zu bewachen, lieber saufen gegangen sind, woraufhin ein Bär Jesus′ Überreste fraß und ein zufällig des Weges strauchelnder Bettler namens José den traumatisierten und deswegen leichtgläubigen Jüngern ein geeigneter Ersatz war („Hallo Jungs, ich heiße José und bin obdachlos.“ – „JESUS!?!“). Zwischendurch informiert eine Werbeanzeige: „Die Wege des Herrn sind unergründlich … die der Chorknaben allerdings nicht! Optimale Penetration bei größter Diskretion: Gleitmittel Vatikan!“ Eine weitere preist „Das Leiden Christi“ an: das präzise Modell des heiligen Kreuzes zum Selberbauen. Während sich zwei Kinder blutig ans Kreuz schlagen, frohlocken die Eltern im Hintergrund: „Sieh doch, Schatz. Sind sie nicht süß?! … Sollen wir noch eine dritte Nummer schieben …?“

So begrüßenswert die Institutionalisierung des Comics auch ist, weil sie langfristig möglicherweise mehr als nur einer Handvoll Künstler/innen ein regelmäßiges Einkommen ermöglicht, so vorhersehbar ist auch, dass eine großangelegte Leck-mich-Attitüde wie die Winshluss′ an den Hochschulen, die nun mal das Trainingscenter für den Markt sind, keine Chance hat. Gottlob wird selbiger noch nicht in Gänze von Weh und Weihe der Controller gesteuert.

Dieser Text erschien zuerst in: Konkret

Sven Jachmann ist Comic.de- und Splitter-Redakteur und Herausgeber des Filmmagazins filmgazette.de. Beiträge u. a. in KONKRET, Tagesspiegel, ND, Taz, TITANIC, Junge Welt, Jungle World, Das Viertel, Testcard sowie für zahlreiche Buch- und Comicpublikationen und DVD-Mediabooks.

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