Eine Emanzipation vom polnischen Katholizismus

Katholischer Glaube, das sind für Magdalena Kaszuba vor allem viele Regeln, eine ständige Beobachtung durch einen allmächtigen Gott und unbedingte Demut: „Das war so eine große dunkle Kirche, die Leute haben sehr inbrünstig und sehr tranceartig praktiziert und da waren wirklich von klein auf bis zur ältesten Generation alle dabei und ich war wirklich zerschlagen von der Szenerie. Es war halt wirklich sehr, sehr aufgeladen und sehr dicht. Und die Vorstellung, die ich von Gott oder von der Hölle hatte, das kam eher dadurch, dass meine Mutter mir aus der Bibel vorgelesen hat.“

Magdalena Kaszuba: „Das leere Gefäß“.
Avant Verlag, Berlin 2018. 152 Seiten. 20 Euro

Magdalena Kaszuba wurde Ende der 80er-Jahre in Polen geboren. Als Kind zieht sie mit ihren Eltern nach Deutschland – der katholische Glaube aber wird ihr in der polnischen Variante vermittelt. Die Oma nimmt sie mit in ihre schlesische Kirche und die Mutter liest ihr Geschichten aus der Bibel vor. Magdalena Kaszuba findet das schaurig, erzählt sie in ihrer Graphic Novel „Das leere Gefäß“, viel zu blutrünstig und erschreckend: „In der Geschichte greif ich das dann auf, dass ich mich manchmal wie ein Gefäß gefühlt habe, das mit irgendwas gefüllt wurde – vor allem im Hinblick auf die religiöse Erziehung. Da kam ganz viel Input und man hat das alles aufgenommen. Und das leere Gefäß bezieht sich eben auf die Schlüsselszene in der Graphic Novel, wo ich das Gefäß einmal komplett ausleere, das war ein sehr heftiger psychischer Eingriff, den ich vorgenommen hab.“

Ihre heftigen Emotionen zwischen einer allumfassenden Angst auf den Allmächtigen und einer immer mehr aufkeimenden Wut darüber hat die Comic-Künstlerin in ihre Bilder gepackt: Es sind vor allem Aquarelle, in denen die Farben Schwarz und Gelb dominieren. Groß wirken die meist lichten Marienfiguren ihrer Kindheit, überwältigend schwarz die Ängste, die der Glaube auslöst – wie wilde Tiere, die den ganzen Raum einnehmen. Magdalena Kaszuba malt das ungelenk wie eine Kinderzeichnung – und lässt sich selbst dabei ganz klein erscheinen. Vor allem bei ihrer ersten Beichte wirkt der Raum um sie herum so schräg, als würde gleich alles aus den Fugen geraten. Das tut es auch, als sie merkt, dass sie dem Pastor direkt gegenüber sitzt: „Ich ging tatsächlich davon aus, dass es da so einen Beichtstuhl gibt und ich dachte, wenn ich da in dem geschützten Raum bin, dann kann ich alles sagen. Aber ich glaub, der hat auch einfach einen falschen Eindruck von mir gehabt, der dachte einfach, ich würde noch irgendwas verheimlichen und das wollte der aus mir rauskitzeln. Und mir war das furchtbar unangenehm und hab dann noch Sachen dazu erfunden.Während einer Beichte zu lügen, das ist ja ein Widerspruch an sich. Und das war für mich dann der Punkt, wo der Prozess anfing mit der Abkehr.“

Magdalena Kaszuba empfand ihre erste Beichte als so erniedrigend, dass sie kurze Zeit später ihrem Glauben abschwört. Vielleicht war die Sache mit dem fehlenden Beichtstuhl ein kulturelles Missverständnis. Denn die deutsche Gemeinde, in der sie ihre erste Beichte absolvierte, war eigentlich viel lockerer, als die Gemeinden, die sie aus Polen kannte: „Das war auch mit viel Spaß verbunden, dass man auch zusammen gekocht hat und gesungen und gebastelt hat, das war auch so etwas, was ich von zuhause nicht kannte, da hieß es: Ok, sitzen, still sein. Ich lese vor und dann erklär ich es euch und dann wisst ihr Bescheid, wo der Hase langläuft.“

Der Comic zeigt, wie sehr Magdalena Kaszuba zwischen diesen beiden Welten steht – fast zerrissen wird. Mit Erschrecken beobachtet sie heutzutage wie die autoritäre Glaubensauslegung ihrer Kindheit in ihrem Heimatland immer wichtiger wird: „Momentan wird die Religion wieder stärker genutzt und auch als Institution wird sie wieder aktiver, gerade die Abtreibungsdebatte, also grad von der PiS-Partei, die rückt schon wieder mehr ins Zentrum.“

Magdalena Kaszuba hat sich von diesem Glauben schon als Kind radikal abgewandt. Mit ihrer Graphic Novel „Das leere Gefäß“ legt sie nicht nur ein bildstarkes Debüt hin, sondern auch die intime Analyse einer bedrückenden Religionsauslegung.

Dieser Text erschien zuerst am 04.04.2018 auf: Deutschlandfunk.

Hier und hier gibt es zwei weitere Kritiken zu „Das leere Gefäß“.

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.