„Als ob ich Zeit zum Heiraten hätte! Ich hab keine Zeit, einen Mann zu bewundern oder zu bemuttern. Entweder werde ich eine schlechte Ehefrau oder eine schlechte Malerin!“ Das sagte Tove Jansson Ende der dreißiger Jahre ihren Kommilitoninnen, von denen viele ihr Kunststudium gegen ein Leben als Ehefrau eintauschen wollen. Jansson bricht ihr Studium ab, weil sie im etablierten Kunstbetrieb als Frau permanent an den Rand gedrängt wird. Sie gründet ein Künstlerkollektiv, zeichnet in Helsinki antifaschistische Karikaturen, lebt offen in einer lesbischen Beziehung und erfindet die surrealistische „Mumin“-Familie, für die sie später bekannt wird.
Dass sich junge Zeichnerinnen in der Gegenwart einen Platz in der von Männern dominierten Comicszene erkämpfen konnten, liegt auch an Pionierinnen wie Tove Jansson, die zu einem Vorbild wurde, obwohl sie in der Comicgeschichtsschreibung bis heute wenig Raum erhält. Eine Selbstverständlichkeit sind Comiczeichnerinnen nach wie vor leider nicht, trotz aller positiven Entwicklungen der letzten Jahre. Und diese Diskriminierung existiert nicht nur in der Welt der Comics, sondern auch in zahlreichen kulturellen Milieus.Dem möchte eine Geschichtsschreibung entgegenwirken, die sich der Vergessenen und Übersehenen annimmt. Eine solche Perspektive nimmt Pénélope Bagieu in ihrem Comic „Unerschrocken“ ein (ein zweiter Band erscheint dieser Tage), in dem die 1982 geborene französische Zeichnerin die lauten und leisen Kämpferinnen der Welt- und Kulturgeschichte aus der Vergessenheit holt. Bereits in ihrem 2016 auf Deutsch erschienenen Werk „California Dreamin’“ hatte sie sich ausführlich mit der Biographie von Cass Elliot beschäftigt. Als Kind jüdischer Einwanderer in Baltimore, Maryland, geboren, musste sich die Sängerin von The Mamas & the Papas die Anerkennung in der Musikszene trotz ihrer stimmlichen Leistungen hart erkämpfen. An diese Beschäftigung mit Biographien marginalisierter oder unangepasster Frauen knüpft Bagieu nun an. Fünfzehn Porträts außergewöhnlicher Frauen hat sie zusammengetragen, und gerade in der Vielfalt der vorgestellten Lebensgeschichten spiegelt sich die Idee, die die Künstlerin umtreibt: Quer durch die Jahrhunderte und Kulturen findet sie Biographien von Frauen, die durch kleine und große Handlungen ihre unmittelbare Umwelt verändert haben. Viele von ihnen erhalten in der großen Geschichtsschreibung nicht den ihnen gebührenden Platz eingeräumt, weil ihre Taten zu marginal erscheinen oder ihnen die Anerkennung bewusst verweigert wird.
Letzteres trifft auf die chinesische Kaiserin Wu Zetian zu. Sie wurde im Jahr 624 unserer Zeitrechnung geboren und war eine Pionierin auf dem Gebiet der weiblichen Geschichtsschreibung. Eine ihrer ersten Amtshandlungen war es, etliche Gelehrte damit zu beauftragen, die Biographien bedeutender Frauen niederzuschreiben, um die Rolle der Frau in der Gesellschaft aufzuwerten. Wu Zetian ist innerhalb weniger Jahre von der Konkubine des Kaisers zu seiner Ehefrau, wichtigsten politischen Beraterin und nach seinem Tod zur ersten und einzigen Frau in der Geschichte Chinas aufgestiegen, die je den Kaisertitel trug. Doch auch in der Erfüllung ihrer politischen Aufgaben setzte die Kaiserin neue Akzente; Bagieu zählt auf: „Ermutigt Bewohner aller sozialer Schichten, sich in der Politik zu engagieren. Um der Vetternwirtschaft ein Ende zu setzen, führt die Kaiserin die Vorstellungsgespräche selbst durch. Außerdem erlässt sie zwölf Dekrete, die die Stellung der Frau in den Bereichen Bildung und Justiz sowie ihren Zugang zu öffentlichen Ämtern stärken.“ In der offiziellen Geschichtsschreibung Chinas wurde Wu Zetian dämonisiert. Der Comic verfährt genau umgekehrt. Während er die positiven Aspekte ihrer Regentschaft betont, vernachlässigt er die Brutalität des kaiserlichen Geheimdienstes.
Die Auswahl der Porträts lässt sich grob in drei Kategorien aufteilen. Zum Ersten werden Frauen vorgestellt, die in der Geschichtsschreibung, zumindest der westlichen, kaum oder verzerrt dargestellt wurden, neben Wu Zetian etwa Nzinga, die Königin von Ndongo und Matamba, die im 17. Jahrhundert gegen die portugiesische koloniale Besatzung kämpfte, oder „Las Mariposas“, die drei Schwestern Minerva, Patria und Maria Teresa Mirabal aus der Dominikanischen Republik, die ihr Leben dem Kampf gegen den Diktator Rafael Trujillo verschrieben und 1960 ermordet wurden.Zum Zweiten porträtiert Pénélope Bagieu Frauen, deren Vermächtnis auf den ersten Blick unbedeutend erscheint, die aber dennoch in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld eine enorme Wirkung hatten. Dazu gehören Frauen wie die 1865 geborene Clémentine Delait, die „Dame mit Bart“, die sich mit dem Attraktivitätsideal ihrer Zeit nicht unterwerfen wollte, oder die Australierin Annette Kellerman, die Anfang des 20. Jahrhunderts den ersten Badeanzug für Frauen entworfen hat und einige Jahre darauf als Schauspielerin in Hollywood für einen Boom an Schwimmfilmen verantwortlich war. „Ich habe geholfen, den weiblichen Körper zu befreien“, soll sie gesagt haben.
Und zum Dritten rücken Frauen in den Fokus, die zwar zu Berühmtheit gelangt sind, deren Kämpfe aber verkannt wurden. Die 1902 geborene Schauspielerin Margaret Hamilton etwa, die dem Ratschlag, sich einer karrierefördernden Schönheitsoperation zu unterziehen, trotzte und mit einem der berühmtesten Filme ihrer Zeit, „Der Zauberer von Oz“, zum Hollywoodstar wurde – wenn auch in der Rolle der bösen Hexe. Die wohl berühmteste Frau unter den Porträtierten ist Josephine Baker, die 1925 aus den USA nach Paris kam und dort als Tänzerin Karriere machte. Was jedoch unterschlagen wird, ist die Tatsache, dass sie die erste Schwarze war, die im Kino eine Hauptrolle spielte, und dass sie unter der nationalsozialistischen Besatzung – sie hatte mittlerweile die französische Staatsbürgerschaft angenommen – als Spionin für die Résistance arbeitete. Sie nutzte ihre Prominenz, um an geheime Informationen zu gelangen und diese dem Widerstand zuzuspielen. Nach dem Zweiten Weltkrieg adoptierte sie zwölf Kinder aus aller Welt und engagierte sich in der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung sowie der Ligue internationale contre l’antisémitisme. Dafür vernachlässigte Baker sogar ihre Karriere. Sie starb 1975 verarmt an den Folgen eines Schlaganfalls.
Auch wenn die Auswahl der Porträtierten auf den ersten Blick beliebig wirkt, machen Bagieus Blick auf besondere biographische Details und ihre Sympathie für die unerschrockenen Frauen der Weltgeschichte das wieder wett und lassen den Comic zu einer ebenso gewinnbringenden wie unterhaltsamen Lektüre werden. In Frankreich ist Anfang 2017 bereits ein zweiter Band erschienen, der unerschrockene Frauen der Gegenwart in den Mittelpunkt stellt – der Bedarf an Vorbildern ist noch nicht gedeckt.
Dieser Text erschien zuerst in: Jungle World
Hier gibt es eine weitere Kritik zu „Unerschrocken“.
Jonas Engelmann ist studierter Literaturwissenschaftler, ungelernter Lektor und freier Journalist. Er hat über „Gesellschaftsbilder im Comic“ promoviert, schreibt über Filme, Musik, Literatur, Feminismus, jüdische Identität und Luftmenschen für Jungle World, Konkret, Zonic, Missy Magazine und andere, ist Mitinhaber des Ventil Verlags und Co-Herausgeber des testcard-Magazins.