Corinne Maier (die in dem Band Mayer geschrieben wird) arbeitete 2004 als angestellte Volkswirtin in dem französischen Energiekonzern EDF (Électricité de France). Inspiriert durch klug klingende, aber leere Phrasen ihrer Vorgesetzten, durch unsinnige Projekte und aufgebauschte bürokratische Selbstverwaltungs-Kapriolen schrieb sie ein Buch, in dem sie die klarmachte, dass es als Angestellte in solch einem Großkonzern am besten sei, einfach so wenig wie möglich bzw. gar nichts zu tun. Mit dem Strom schwimmen, nirgendwo anecken. Dienst nach Vorschrift. Wenn überhaupt. Stichwort: faule Haut. Und sie gab in dem Buch Ratschläge, wie ein solches Vorgehen, das sie offenbar selbst erfolgreich praktizierte, am besten zu realisieren ist. Das Buch wurde zum Bestseller und erschien seinerzeit in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Die Entdeckung der Faulheit“. So, und jetzt darf man dreimal raten, was ihr Arbeitgeber damals von der Sache gehalten hat…
Doch wir greifen vor. Zuerst begleiten wir Corinne in der ultramodernen wie einschüchternden Firmenzentrale in Meetings mit bedeutungsschwangeren, wuchtigen Themen und Inhalten wie „Brainstorming zur Kostenreduktion und ihre Auswirkungen auf die Qualität in einem starkem Wettbewerb ausgesetzten Sektor“ und Veranstaltungen wie „Strategische Modernisierung und Zukunftsszenarien“. Wir lernen ihren hippen Vorgesetzten kennen, der mit Wirtschafts-Anglizismen nur so um sich wirft, der alles und jeden optimieren will, ohne jemals einen Plan oder gar tieferen Sinn dahinter erkennen zu lassen. Floskeln um der Floskeln willen. Ihr Buch erwähnt sie nebenher. Es erscheint in einem kleinen Verlag in einer kleinen Auflage, ohne großes Tamtam und ohne auf dem Markt sonderlich wahrgenommen zu werden. Anfangs. Als EDF Wind von dem Buch bekommt, ist der Konzern not amused. Sie muss zum Rapport erscheinen. Ein Disziplinarverfahren soll gegen sie eröffnet werden. Von wegen freie Meinungsäußerung… Bald erscheinen in der Presse erste Meldungen über den unerhörten Vorgang, bis aus heiterem Himmel der Medienrummel über Corinne hereinbricht.Teilnahmen an Talkshows (die für die medial verständlicherweise unerfahrene Corinne nicht unbedingt glücklich verlaufen), Interviews in Funk und Fernsehen, Zeitungsartikel befeuern ihren Fall und damit auch ihr Buch, das plötzlich – zur Freude ihres Kleinverlages – zum nationalen und dann internationalen Bestseller wird. Corinne schwebt auf Wolke sieben. Doch die wird immer dunkler und dünner. Natürlich wird sie im Büro inzwischen als vermeintliche Nestbeschmutzerin weitgehend ignoriert und höchstens noch mit bösen Blicken bedacht. Viel schlimmer: Für ihr Buch hat sie noch keinen roten Heller gesehen und nun schließt auch noch ihr Verlag, der sich – in Bestseller-Dingen nicht minder unerfahren als seine Star-Autorin – massiv übernommen hat, wegen Überschuldung die Pforten. Und Corinne hat langsam aber sicher genug von der PR-Lawine und ist endgültig bedient…
Corinne Maier hat sich übrigens schon vor „Mein Leben ist ein Bestseller“ mit dem Medium Comic beschäftigt: In Zusammenarbeit mit Zeichnerin Anne Simon schrieb sie Comic-Biografien von Einstein, Freud und Marx, die auf Deutsch in den vergangenen Jahren bei Knesebeck veröffentlicht wurden. Ihre neueste Graphic Novel beschreibt ihren turbulenten Lebensabschnitt vor, während und nach Veröffentlichung ihres ersten Bestsellers. Einerseits schildert sie die Situation, die absurden Begebenheiten und Worthülsen auf dem abgehobenen Konzernplaneten. Hier ist man als Leser ständig versucht, satirische überzogene Motive erkennen zu wollen, muss dann aber einsehen, das dies wohl die bittere Realität ist. Andererseits zeigt Maier ihre Unerfahrenheit und Naivität als aufstrebende Neu-Autorin in Sachen PR und Medien. Auch hier wird sie von der Realität eingeholt. Beides ist ironisch, lebensnah und natürlich autobiographisch geschildert. Wie würde Loriot sagen: „Das ist fein beobachtet.“
Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de
Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.