Internationaler Comic-Salon Erlangen 2018: Die Max und Moritz-PreistrÀgerInnen

Gestern wurde auf dem Internationalen Comic-Salon Erlangen der Max und Moritz-Preis 2018 in neun Kategorien vergeben. Die PreistrÀgerInnen sind:

– Bester deutschsprachiger Comic-KĂŒnstler: Reinhard Kleist

– Bester deutscher Comic: „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“ von Ulli Lust

– Bester internationaler Comic: „Esthers TagebĂŒcher“ von Riad Sattouf

– Bester deutscher Comic-Strip: „Das Leben ist kein Ponyhof“ von Sarah Burrini

– Bester Comic fĂŒr Kinder: „Die drei ??? – Das Dorf der Teufel“ von Ivar Leon Menger, John Beckmann und Christopher Tauber

– Beste studentische Comic-Publikation: „Paradies“ von der HBKsaar

– Spezialpreis der Jury: Paul Derouet

– Publikumspreis: „NiGuNeGu“ von Oliver Mielke und Hannes Radke

– Sonderpreis fĂŒr ein herausragendes Lebenswerk: Jean-Claude MĂ©ziĂšres

Nachfolgend finden Sie die Laudationes zu den Max und Moritz-PreistrÀgerinnen und -PreistrÀgern 2018 sowie die Liste der 25 nominierten Titel.

Bester deutschsprachiger Comic-KĂŒnstler
Reinhard Kleist

Bereits fĂŒr seine erste Comic-Veröffentlichung wurde er mit dem Max und Moritz-Preis fĂŒr den besten deutschsprachigen Comic ausgezeichnet. Das war 1996 und der Band hieß schlicht „Lovecraft“. Inzwischen ist Reinhard Kleist aus der deutschen Comic-Gegenwart kaum noch wegzudenken. Was schnell vergessen lĂ€sst, dass es 10 Jahre kontinuierlicher Arbeit und Entwicklung erforderte, bis ihm mit seiner Johnny-Cash-Biografie „I see a Darkness“ der Durchbruch gelang – und das gleich international: Reinhard Kleist zĂ€hlt heute zu den beachtetsten deutschen Comic-KĂŒnstlern – auch jenseits der Landesgrenzen.

2010 folgt die Biografie Fidel Castros, in der Kleist die Jahre vor und nach der Revolution in expressivem Schwarz-Weiß ebenso lebendig inszeniert wie Kubas StĂ€dte und Landschaften, bevor er sich „kleineren“ Geschichten zuwendet: Schicksalen, die ihn persönlich bewegen und die er davor bewahrt, im immer schnelleren Strom unserer Zeit vergessen zu werden, indem er ihnen nachspĂŒrt. Sich auf die Suche macht, nach den Fakten und den UmstĂ€nden, vor allem aber nach den Menschen, die hinter den Ereignissen stehen – oder besser: in ihrem Mittelpunkt, im Zentrum des Sturms.

In „Der Boxer“ ist es der jĂŒdische Teenager Hertzko Haft, der sich in Auschwitz als Boxer zum VergnĂŒgen der SS-Offiziere durchschlĂ€gt und der spĂ€ter, nach geglĂŒckter Flucht, in den USA zum Profiboxer aufsteigt. In „Der Traum von Olympia“ verfolgt Kleist die mehr als einjĂ€hrige Flucht der somalischen Leichtathletin Samia Yusuf Omar vor islamistischen Fundamentalisten, durch glĂŒhende WĂŒsten bis nach Tripolis, von wo aus sich ihre Spur auf einem Schlauchboot im Mittelmeer verliert. Schicksale, in denen Geschichte ein Gesicht bekommt.

Ebenso wie als Zeichner hat Reinhard Kleist somit auch als ErzĂ€hler einen unverkennbar eigenen Stil entwickelt, den er immer wieder ĂŒberraschend neu interpretiert. So etwa in „Mercy on me“, seinem jĂŒngsten Werk und mit ĂŒber 300 Seiten bisherigem Opus Magnum, in dem er den kompromisslos heiklen Weg Nick Caves aus einem Provinzkaff im australischen Nirgendwo zur Popikone nicht nur in Bildern nachzeichnet, sondern auch in dessen Songs. „I can’t remember anything at all“, singt Cave am Schluss des Bandes. In Reinhard Kleists Graphic Novels jedoch bleiben die Erinnerungen lebendig.
ANDREAS C. KNIGGE

Bester deutschsprachiger Comic
Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein
von Ulli Lust (Suhrkamp Verlag)

Ulli Lust, Mitte zwanzig, angehende KĂŒnstlerin in Wien, liebt zwei MĂ€nner: Den zwanzig Jahre Ă€lteren Schauspieler Georg, mit dem im Bett aber nichts mehr lĂ€uft, und den nigerianischen FlĂŒchtling Kimata, den sie auf einer Party abschleppt, und zu dem sie in sexueller Leidenschaft entbrennt. Dann ist da noch ein dritter Mann im Hintergrund, ihr Sohn Philipp, fĂŒnf, der bei seinen Großeltern auf dem Land aufwĂ€chst. Das ist ein Beziehungsgeflecht mit großem erzĂ€hlerischem, emotionalem und dramatischem Potenzial, und Ulli Lust entfaltet mit ihren direkten, skizzenhaften Zeichnungen eine Dringlichkeit und einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann.

Mit „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ ĂŒber eine selbstzerstörerische Italienreise als Teenager sorgte Ulli Lust weltweit fĂŒr Furore. Nun enthĂŒllt die in Berlin lebende Österreicherin ein weiteres Kapitel aus ihrer Jugend: In „Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein“ verarbeitet sie eine explosive, in einem Mordversuch gipfelnde MĂ©nage-Ă -trois im Wien der frĂŒhen Neunzigerjahre.

Tabu- und schonungslos dringt sie tief ein in dunkelste AbgrĂŒnde und verknĂŒpft ihre Erfahrungen mit großen Themen: Liebe und Sex ĂŒber Alters- und Kulturgrenzen hinweg, die sexuelle Selbstbestimmung der Frau, alternative Familien- und Beziehungsmodelle, ethnische Vorurteile, FlĂŒchtlingspolitik und der Traum von einer anderen Gesellschaft.

Das ist ĂŒberzeugend, weil Ulli Lust sich weder als Opfer noch als TĂ€terin zeichnet, sondern als junge, streckenweise reichlich naive, egoistische und sexuell anspruchsvolle Frau, die von der Situation und ihren Rollen als GefĂ€hrtin, Liebhaberin und Mutter ĂŒberfordert ist.

Dass Lust sich traut, kulturelle Vorurteile aufzugreifen und zu den Ambivalenzen in ihrer Wahrnehmung zu stehen, statt sie politisch korrekt abzuschleifen, ist ihr hoch anzurechnen. Ihr afrikanischer Liebhaber ertrĂ€gt ihre UnabhĂ€ngigkeit immer weniger und seine Eifersucht und AnsprĂŒche fĂŒhren zu GewaltausbrĂŒchen, die sie in Angst und Schrecken versetzen – und doch lĂ€sst sie ihn immer wieder in ihr Bett. Lusts Versuch, inmitten dieser verworrenen Situation „gut“ zu sein, muss als gescheitert betrachtet werden, dafĂŒr ist ihre Reflektion dieser Lebensphase ein kĂŒnstlerischer Erfolg.
CHRISTIAN GASSER

Bester internationaler Comic
Esthers TagebĂŒcher
von Riad Sattouf. Übersetzung: Ulrich Pröfrock (Reprodukt)

Esther ist zehn und ein ganz normales MĂ€dchen. Und doch ist sie Protagonistin einer ungewöhnlichen Comic-Serie. In „Esthers TagebĂŒcher“ wird der franko-syrische Comic-Autor Riad Sattouf Esther, die Tochter eines befreundeten Paars, bis zu ihrem 18. Geburtstag begleiten und Jahr fĂŒr Jahr aufzeichnen, was sie ihm erzĂ€hlt.

Der erste Band umkreist Esthers Schule, beste Freundinnen und ausgewĂ€hlte Feindinnen, den schwierigen Ă€lteren Bruder und andere doofe Jungs, Spielsachen, Klamotten und den Traum vom eigenen iPhone, Pop- und Reality-TV-Stars, er umkreist auch das Mobbing auf dem Pausenhof, Rassismus, Neid und Eifersucht 
 mit anderen Worten: Esther erzĂ€hlt uns den ganz normalen Irrsinn und die konstante Überforderung im Teenager-Alltag. Daneben verblassen natĂŒrlich weltpolitische ErschĂŒtterungen wie die AnschlĂ€ge in Paris oder die Wahl Trumps, die Esther nur am Rand wahrnimmt.

Das Leben eines Teenagers im westlichen Europa des 21. Jahrhunderts: Beschönigungen? Niedlichkeiten? Nein – Riad Sattouf bleibt auch in diesem MĂ€dchenkosmos der genaue, scharfe, satirische Beobachter, den man aus seinen anderen Comics kennt.

Hierzulande wurde der 1978 geborene Sattouf dank des autobiographischen Bestsellers „Der Araber von morgen“ bekannt, in welchem er mit beißendem Humor sein Aufwachsen in Syrien schildert.

Ähnlich genau und unbestechlich bringt er uns auch Esthers Welt nĂ€her, wobei er konsequent in der Perspektive der ZehnjĂ€hrigen bleibt. Esthers Blick wird nie gebrochen. Was sie nicht begreift oder falsch einschĂ€tzt, wird nicht reflektiert, sondern möglichst unmittelbar wiedergegeben. Dabei achtet Sattouf aber darauf, Esther nie vorzufĂŒhren, sondern ihr Vertrauen mit Respekt und FeinfĂŒhligkeit zu erwidern.

Esthers gleichermaßen naiver wie kritischer Blick entlarvt viele Ungereimtheiten, WidersprĂŒche und AbsurditĂ€ten – und darin liegt ein großes Potenzial zu haarstrĂ€ubender Komik, die Riad Sattouf, in Frankreich lĂ€ngst als einer der großen Humoristen seiner Zeit gefeiert, zelebriert.

In zwanzig Jahren gehören „Esthers TagebĂŒcher“ zur StandardlektĂŒre angehender Soziologen; wir haben das Privileg, diese Serie sozusagen live zu lesen – und einiges zu erfahren ĂŒber unsere Zeit.
CHRISTIAN GASSER

Bester deutschsprachiger Comic-Strip
Das Leben ist kein Ponyhof
von Sarah Burrini (www.sarahburrini.com / Panini Books)

Seit fast zehn Jahren verbindet Sarah Burrini in ihrem Comic-Strip „Das Leben ist kein Ponyhof“ Absurdes und AlltĂ€gliches. Inzwischen sind drei SammelbĂ€nde als BĂŒcher veröffentlicht worden – und jeden Montag gibt es online Nachschub. Ereignisse aus ihrem eigenen Leben und Betrachtungen aktueller politischer und sozialer Ereignisse kombiniert Burrini höchst unterhaltsam mit fantastischen Elementen wie den sprechenden Tierfiguren, die mit dem gezeichneten Alter Ego der Autorin in einer Wohngemeinschaft leben. In den vergangenen Jahren sind zunehmend auch kritische Kommentare zu aktuellen gesellschaftlichen Diskursen wie dem wachsenden Rechtspopulismus, Fake-News-VorwĂŒrfen oder Sexismus hinzugekommen.

Neben humorvollen und mit kulturellen Anspielungen gespickten Dialogen der Hauptfigur ĂŒber den Alltag als freiberufliche Zeichnerin oder das Älterwerden, ihre Ateliergemeinschaft oder Burrinis Leidenschaft fĂŒr Nutella gibt es immer wieder lĂ€ngere ErzĂ€hlstrĂ€nge, in denen der Alltagsbezug aufgehoben wird und die Handlung in einem komplett fiktiven Kontext fortgesetzt wird. Zwischendurch tritt die ErzĂ€hlerin dann immer wieder aus der Comic-Rahmenhandlung heraus und erinnert den Leser daran, dass es auch noch eine RealitĂ€t jenseits des Comics gibt.

Und hin und wieder wird aus der Comic-Sarah-Burrini das mit ĂŒbermenschlichen KrĂ€ften ausgestattete Nerd Girl – deren Geheimwaffen sind ein rasiermesserscharfer Umhang aus alten Comicseiten, eine von zahllosen Computerspielen gestĂ€hlte Fingerfertigkeit und ein Kampfschrei, der aus einer Flut an unnötigem Wissen aus der Popkultur besteht. Mit dieser Figur persifliert Burrini die schlichte, von einfachen Lösungen geprĂ€gte Welt vieler Superhelden-Comics ebenso wie deren ĂŒberholte Geschlechterrollen.

Der besondere Charme der cartoonhaft gezeichneten und sich an klassischen Zeitungsstrips orientierenden Reihe ergibt sich aus dem Wechselspiel von jugendlich wirkender Fantasie und erwachsenem Reflexionsvermögen sowie aus der spielerischen Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Comics. Sarah Burrini verfĂŒgt ĂŒber ein tiefes VerstĂ€ndnis der Tradition der Kunstform, gepaart mit postmodernem Reflexionsvermögen, dazu kommt ein fundiertes handwerkliches Können. So zeigt sie ihren Leserinnen und Lesern Woche fĂŒr Woche, dass der Comic-Strip auch mehr als 120 Jahre nach seiner Entstehung noch Geschichten zu erzĂ€hlen hat, die es so nirgendwo anders gibt.
LARS VON TÖRNE

Bester Comic fĂŒr Kinder und Jugendliche
Die drei ??? – Das Dorf der Teufel
von Ivar Leon Menger, John Beckmann und Christopher Tauber (Kosmos)

Die Graphic Novel „Die drei ???“ erzĂ€hlt eine der beliebtesten Krimiserien fĂŒr Kinder und Jugendliche im grafischen Medium weiter. Arbeitsteilig – Ivar Leon Menger und John Beckmann ĂŒbernehmen das Schreiben der Geschichte, Christopher Tauber zeichnet die Bilderfolge – erzĂ€hlt das Trio neue spannende Abenteuer. Alfred Hitchcock höchst persönlich schreibt Vor- und Nachwort.

In „Das Dorf der Teufel“ helfen Justus Jonas, erster Detektiv, Peter Shaw, zweiter Detektiv und Bob Andrews, Recherche und Archiv, dem Chauffeur Morton einen vermissten Freund zu finden. Diese Suche fĂŒhrt alle vier nach Redwood Falls, in ein Dorf wie aus dem 19. Jahrhundert, mit AnklĂ€ngen an das Leben der Amischen in den USA. Die Zeit ist dort stehen geblieben. Nach einer Einleitung startet das Abenteuer mit der Fahrt ins teuflische Dorf. Die wunderbaren Zeichnungen, die die Charaktere bestens vorstellen, werden in zurĂŒckhaltender Farbigkeit meist in Blautönen ergĂ€nzt. Im lĂ€ndlichen Bereich dominiert GrĂŒn, wĂ€hrend die Gefahrenmomente und Teufelsbegegnungen im gefĂ€hrlichen Rot erscheinen.

Neben der Zeitreise in die Vergangenheit werden Elemente aus der Alltagswelt der Kinder und Jugendlichen, wie das Smartphone oder Fast-Food-Verpackungen, mit eingebunden. In abwechslungsreichen Panelgestaltungen, die immer wieder ganz- oder zweiseitige Überblicksszenen zeigen, wird der Lauf der Geschichte mit seinen vielen Windungen und durch die drei ??? vorangetriebenen Entdeckungen erzĂ€hlt. Auch Actionszenen und Situationswitz fehlen nicht.

Die drei ??? sind mit ihren FĂ€llen angemessen in die Jetztzeit ĂŒbertragen. Es macht Spaß den Bildern zu folgen und an der Lösung des Falles mit zu rĂ€tseln. Kongenial arbeitet das Dreierteam zusammen. Zeichnungen und Text ergĂ€nzen sich bestens und man taucht tief mit ein in die Welt der drei schlauen und manchmal auch im Beziehungs- und Freundschaftsgeflecht sich verheddernden Detektive. Ein spannender Spaß fĂŒr Kids und Teens und auch fĂŒr die heute erwachsenen Fans der drei ???.
CHRISTINE VOGT

Beste studentische Comic-Publikation
„Paradies“ von der HBKsaar

GegensĂ€tze ziehen sich an – wenn auch nicht immer mit glĂŒcklichem Ende. Das macht schon das Umschlagmotiv der studentischen Anthologie „Paradies“ deutlich: In protzigem Golddruck prangt der Titel des Bandes ĂŒber einer idealisierten Landschaftsszene mit Hirsch. Doch auf der RĂŒckseite dann die ErnĂŒchterung: Unter eine Textzeile aus Coolios „Gangsta’s Paradise“ legt ein JĂ€ger zum Schuss auf das Tier an.

Drinnen nĂ€hern sich sieben Studierende der Hochschule der Bildenden KĂŒnste Saar auf humorvolle und erfrischend vielfĂ€ltige Weise dem durch den Titel vorgegebenen Thema. So spielt Eric Schwarz mit der Diskrepanz zwischen Erwartung und RealitĂ€t beim Beginn einer neuen Beziehung und reflektiert dabei auch das SpannungsverhĂ€ltnis von medialer und erlebter Wirklichkeit. Myriam Kind behandelt in einer Geschichte von zwei Wanderern die Dichotomie von Zuneigung und Ablehnung in menschlichen Beziehungen. Und Carl-Angelo Kivu kontrastiert die Monotonie des Alltags mit der surrealistischen Vielfalt von Traumwelten.

Weitere Kurzgeschichten von Pol Borschette, Hanna Gressnich, Eric Heit und ValĂ©rie Minelli halten das erzĂ€hlerisch wie zeichnerisch hohe Niveau der Auswahl. Kunstvolle Aquarell-Miniaturen und Episoden im Funny-Stil, klare Linie und dynamischer Skizzenstil – jeder Beitrag hat seine eigene, aufs Thema abgestimmte Handschrift.

ErgĂ€nzt wird die Zusammenstellung der kurzen Episoden durch farblich abgesetzte Seiten, die die abenteuerlichen Seereisen James Cooks mit Bildzitaten von Internet-Plattformen kombinieren, auf denen heute manch einer sein persönliches Paradies sucht. Die gezeichneten Postings von Instagram, Tinder oder Airbnb lassen diese Art von virtuellen GlĂŒcksversprechen im Kontrast mit den historischen Abenteuern Cooks noch profaner erscheinen, als sie es ohnehin schon sind.

Ein vielversprechendes Werk aus einer Hochschule, die sich gerade anschickt, eine zunehmend wichtige Rolle in der deutschen Comiclandschaft zu spielen: Seit dem Wintersemester 2017/18 wird hier der Masterschwerpunt Comic / Graphic Novel angeboten. Sieht so aus, als ob das „Paradies“ erst der Anfang einer vielversprechenden Entwicklung ist – das macht Lust auf mehr!
LARS VON TÖRNE

Spezialpreis der Jury
Paul Derout

Statt einer Laudatio – Ein Kompliment von Isabel Kreitz

Es muss im Sommer 1990 gewesen sein, ich saß mit meinem Mitstudenten Hinnerk Bodendieck auf dem Flachdach unserer Fachhochschule in Hamburg. Hinnerk rĂ€ucherte die ĂŒbliche Makrele fĂŒrs FrĂŒhstĂŒck und erzĂ€hlte mir von einem Comic-Seminar, an dem er teilnehmen wolle, eine Woche in Erlangen, 800 Mark, mit Übernachtung. Ob ich mich nicht auch bewerben wolle? Ein französischer Profi-Zeichner wĂŒrde kommen, vielleicht auch zwei … Ein paar Wochen spĂ€ter klingelten wir mit der Bewerbungsmappe unterm Arm bei der Agentur Becker&Derouet in der Lerchenstraße.

Uns empfing ein absoluter Bilderbuch-Franzose. Mit der Zigarette im Mundwinkel beschaute er unsere Mappen und wĂ€hrend sich ein Asche-Film auf unsere Zeichnungen legte, skizzierte er bereits unsere Karrieren in den großen Studios von Paris.

Hinnerk und ich fuhren nach Erlangen, zeichneten mit 15 anderen Enthusiasten im E-Werk die NĂ€chte durch, holten Pommes und Nudelsalat im damals noch etwas ranzigen Imbiss „HĂŒhnertod“, gingen fĂŒr ein paar Stunden Schlaf in den „Frankenhof“, um am nĂ€chsten Tag wieder der oder die Erste am Leuchttisch zu sein.

Obwohl ich dann doch nicht die Nachfolgerin von Franquin geworden bin, weiß ich, drei Seminare und zwei Jahrzehnte spĂ€ter, wie viel ich von Pauls Optimismus und seiner Arbeit profitiert habe.

Dass es heute eine nennenswerte deutsche Comicszene gibt, ist auch Paul Derouet zu verdanken, der so viele Zeichner entdeckt, motiviert und gefördert hat, die heute von Ihnen gelesen, gedruckt, ausgestellt und rezensiert werden.

Wenn nun alle Zeichner, Verleger, Redakteure, Comic-HĂ€ndler und -Leser, die sich angesprochen fĂŒhlen, vielleicht einmal kurz aufstehen … Dann wird man einen Eindruck davon bekommen.

Lieber Paul, vielen Dank von uns allen!

Sonderpreis fĂŒr ein herausragendes Lebenswerk
Jean-Claude MéziÚres

Was fĂŒr Bilder! Was fĂŒr Welten! Das Reich der tausend Planeten etwa
 in einer entfernten Galaxie. Oder am Rande des erforschten Universums, das Land ohne Sterne. Bevölkert von bizarren Wesen wie den kauzigen Alfloloern einschließlich ihrer Haustiere, den putzigen Gumuns. Von den Shinguz, den unerlĂ€sslichen HĂ€ndlern von Informationen, von dem Grunztier-Transmutator oder dem Schnarf. Einmal hat sich Jean-Claude MĂ©ziĂšres selbst bei der Arbeit gezeichnet. Er blickt ĂŒber die Schulter und sagt: „Ihr könnt wieder rauskommen! Der Fotograf ist weg!“ Und schon drĂ€ngelt hinter seinem RĂŒcken eine Schar skurrilster Aliens hervor, in aller Artenpracht. Was fĂŒr eine ausufernde Fantasie!

Als Jean-Claude MĂ©ziĂšres vor gut 50 Jahren zusammen mit seinem Szenaristen Pierre Christin „Valerian und Veronique“ ins Leben ruft, Ende 1967 in dem französischen Magazin Pilote, gilt Science-Fiction als LektĂŒre fĂŒr Nerds und ist kein Thema. Ebenso wenig wie dass der Held einer Comic-Serie seine Rolle mit einer Frau teilt: nicht nur selbstbewusst und emanzipiert, sondern in der Regel auch weit cleverer und geschickter als ihr Counterpart.

Obwohl in ferner Zukunft spielend, verhandeln die Alben Konflikte unserer Zeit, die MĂ©ziĂšres in fantastische Bilderwelten ĂŒbertragen hat, wie sie vorher noch nicht zu sehen waren. Von ihrer Wirkkraft zeugen etliche Beispiele aus der populĂ€ren Kultur des spĂ€ten 20. Jahrhunderts, bis hin zu „Bladerunner“ oder „Star Wars“. Mitte der 90er entwirft MĂ©ziĂšres das futuristische New York fĂŒr Luc Bessons „Das fĂŒnfte Element“, in dem fliegende Taxis und Trucks durch atemberaubende HĂ€userschluchten jagen, inzwischen zigmal an anderer Stelle aufgegriffen. Besson, fĂŒr den „Valerian“ schon als Teenager Kult war, ist es auch, der vergangenes Jahr zwei Alben der Serie verfilmte, die bis dato teuerste europĂ€ische Kinoproduktion.

Neben ihrer ĂŒberschĂ€umenden Erfindungskraft und grafischen Opulenz ist mindestens ebenso erstaunlich an MĂ©ziĂšres‘ Zeichenkunst, wie frisch selbst auch die ersten BĂ€nde heute wirken – kein Anflug von Patina wie gerade bei Utopien genretypisch, vielmehr eine höchst eigene Optik, spektakulĂ€re, rauschhafte Bilderwelten, die eben erst entstanden zu sein scheinen. Auch das zeigt, wie weit der VisionĂ€r Jean-Claude MĂ©ziĂšres der Zeit vorauseilt – womit er, und das nicht allein in Europa, zu den faszinierendsten und bedeutendsten Virtuosen der neunten Kunst zĂ€hlt.
ANDREAS C. KNIGGE

Die 25 fĂŒr den Max und Moritz-Preis 2018 nominierten Titel in alphabetischer Reihenfolge:

– Ambient Comics von Nadine Redlich. Rotopol
– A Silent Voice von Yoshitoki ƌima (Übersetzung: Christine Steinle). Egmont Manga (nominiert durch das Publikum)
– Black Hammer von Jeff Lemire und Dean Ormston (Übersetzung: Katrin Aust). Splitter Verlag
– Brodecks Bericht von Manu Larcenet (Übersetzung: Ulrich Pröfrock). Reprodukt
– Chiisakobee von Minetarƍ Mochizuki (Übersetzung: Cordelia Suzuki). Carlsen Manga
– Das Leben ist kein Ponyhof von Sarah Burrini. www.sarahburrini.com / Panini Books
– Dead Dead Demon’s Dededede Destruction von Inio Asano (Übersetzung: Hana Rude). Tokyopop
– Der große böse Fuchs von Benjamin Renner (Übersetzung: Benjamin Mildner). avant-verlag
– Der Ursprung der Welt von Liv Strömquist (Übersetzung: Katharina Erben). avant-verlag
– Die drei ??? – Das Dorf der Teufel von Ivar Leon Menger, John Beckmann und Christopher Tauber. Kosmos Verlag
– Die Welt der Söhne von Gipi (Übersetzung: Myriam Alfano). avant-verlag (ET: 7. Mai 2018)
– Esthers TagebĂŒcher von Riad Sattouf (Übersetzung: Ulrich Pröfrock). Reprodukt
– Geisel von Guy Delisle (Übersetzung: Heike Drescher). Reprodukt
– German Calendar No December von Birgit Weyhe und Sylvia Ofili. avant-verlag (ET: 22. Mai 2018)
– Gung Ho von Thomas von Kummant und Benjamin von Eckartsberg. Cross Cult
– Herbst in der Hose von Ralf König. Rowohlt Verlag
– Maggy Garrisson von Lewis Trondheim und StĂ©phane Oiry (Übersetzung: Resel Rebiersch). Verlag Schreiber&Leser
– MĂŒhsam – Anarchist in AnfĂŒhrungsstrichen von Jan Bachmann. Edition Moderne
– Nick Cave – Mercy on me von Reinhard Kleist. Carlsen Verlag
– NiGuNeGu von Oliver Mielke und Hannes Radke. Pyramond Verlag (nominiert durch das Publikum)
– SchlĂ€fst du? von DorothĂ©e de Monfreid (Übersetzung: Ulrich Pröfrock). Reprodukt
– The Artist von Anna Haifisch. www.vice.com / Reprodukt
– Tracht Man von Christopher Kloiber. Plem Plem Productions (nominiert durch das Publikum)
– TĂŒti von Dominik Wendland. Jaja Verlag
– Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein von Ulli Lust. Suhrkamp Verlag