Als der Comicautor Stanley Martin Lieber, besser bekannt als Stan Lee, 1922 in New York geboren wurde, gab es Comics noch nicht in eigenen Magazinen, sondern auf den Unterhaltungsseiten von Zeitungen – und die Superhelden waren noch lange nicht erfunden worden. Jetzt ist Lee gestorben, und er hat ein ganzes Superhelden-Universum hinterlassen.
Eine der anmutigsten Szenen, in denen Stan Lee je zu sehen war, kam im Jahr 2012 in „The Amazing Spiderman“ in die Kinos: Der Comicautor spielt einen alten Bibliothekar mit weißem Hemd, Fliege und Strickweste – und hinter ihm bersten die Bücherregale, weil Spiderman mal wieder gegen das Böse kämpft. Stan Lee indes merkt nichts davon – er bewegt mit seligem Lächeln beschwingt die Hände zur Musik, die er über seine ausladenden Kopfhörer hört.
Seit die Marvel-Studios angefangen haben, ihre Comics zu verfilmen, ist Stan Lee rund 40 Mal auf der Leinwand zu sehen gewesen. Die meisten Superhelden, die verfilmt wurden, hat er selbst erfunden, darunter die „X-Men“, „Hulk“ oder „The Fantastic Four“. Stan Lee: „Spiderman probably ist the most popular.“
Vielleicht ist Spiderman deshalb so populär geworden, weil er ein ganz normaler Typ ist: Im Alltag ein Schuljunge, der nicht gerade brilliert und auch schon mal gemobbt wird, doch in Wirklichkeit ein Spinnenmensch mit Superkräften. Stan Lee: „Ich sah eine Fliege an der Wand – und ich dachte: Wow! Was wäre, wenn ein Mensch das könnte? Wie nenne ich ihn? Den Mückenmann? Das hatte keinen Glanz. Insektenmann? Das war noch schlimmer. Dann aber: Spiderman! Mysteriös – mysteriös, dramatisch!“
Die meisten Charaktere hatte Lee mit dem Zeichner Jack Kirby entwickelt. Die beiden galten als kongeniales Team, das dem Superhelden-Genre einen völlig neuen Drive gegeben hat: Die Geschichten spielten nicht mehr in Fantasiestädten, sondern in der ganz normalen Nachbarschaft. Und die Figuren haderten mit ihren Superkräften, wie etwa „Hulk“, der vor Wut ganz grün wird und dann seine Kräfte nicht mehr kontrollieren kann, 2003 verfilmt von Starregisseur Ang Lee.
Lees und Kirbys Superhelden sind eitel, gierig oder können ihre Miete schon mal nicht bezahlen. Figuren mit Schwächen und Problemen. Bei seinem Verlag Marvel kamen solche Ideen erst mal nicht gut an, nicht mal Spiderman stieß auf Begeisterung.
Stan Lee: „Keiner wollte ihn. Mein Verleger sagte: ‚Das ist das schlimmste, was ich je gehört habe, Menschen hassen Spinnen.‘ Dann sagte ich auch noch, er soll ein Teenager sein. Und er: ‚Du verstehst das alles nicht, ein Teenager kann nur eine Nebenrolle haben.‘ Und als ich dann auch noch sagte, er soll viele persönliche Probleme haben, hieß es: ‚Stan, weißt Du überhaupt, was einen Helden ausmacht?'“
Am Ende hatte Stan Lee den richtigen Riecher. Anfang der 60er Jahre, als Lee den Spiderman entwickelte, hatte er auch die meisten anderen Superhelden erfunden – und er war nebenbei auch noch Redakteur für viele weitere Marvel-Reihen. Allein wegen dieses Pensums waren seine Storys nie besonders ausgearbeitet. Oft gab es nur eine Zusammenfassung der Geschichte – oder Lee forderte von seinem Zeichner eine ordentliche Verfolgungsjagd und erfand die Texte für die Sprechblasen erst, als die Zeichnungen schon fertig waren. Das war neu in der Branche und nur so konnten sich Autor und Zeichner gegenseitig inspirieren – vermutlich ist das auch ein Grund, warum die Superhelden von Stan Lee so erfolgreich wurden. Stan Lee: „They all like my children anyway, I like them equally the same.“
Mit Mitte 80 hat Lee aufgehört, Comics zu schreiben – und blieb doch bis zum Schluss erfolgreich. Noch im Jahr 2017 stand er mit einem Jahreseinkommen von geschätzten 58 Millionen Dollar auf Platz 1 der Liste der bestbezahlten Autoren der Zeitschrift „People with Money“.
Im Jahr 2018 hatte die Marvel-Verfilmung von „Black Panther“ in der Regie von Ryan Coogler in Nordamerika den besten Februar-Start aller Zeiten. Als Lee das Szenario 1966 schrieb, war das revolutionär – denn hier traten schwarze Superhelden auf. Natürlich hatte er in der späteren Verfilmung wieder einen kurzen Auftritt – als Spieler im Casino.
Kein anderer Autor hat den westlichen Comic so sehr beeinflusst wie Stan Lee.
Dieser Text erschien zuerst auf: Deutschlandfunk.
Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.