Notizen aus dem Meta-Strudel

Als Lemire in seinem Newsletter Anfang des Jahres verkündete, er wolle einen Gang zurückschalten, klang das angesichts der zahllosen Projekte, die er aufzählte, wie Ironie. Neben dem Hammerverse hat Lemire das Kickstarterprojekt „Cosmic Detective (zusammen mit Matt Kindt und David Rubin) fertiggestellt, während eine neue Black-Hammer-Serie („Madame Dragonfly“) und weitere Spin-offs in Arbeit sind. Und „Black Hammer Reborn“. Und „Sweet Tooth: The Return“. Und „Snow Angels“ bei Comixology. Und die Graphic Novel „Mazebook“ mit eigenen Zeichnungen. Nun sind zwei weitere Black-Hammer-Spin-offs erschienen, nachdem den Leser*innen nach den vergangenen Auskoppelungen schon etwas schwindelig zu werden drohte: Bisher sind neben den Comics der Hauptserie „Doctor Star“, „The Quantum Age“, „Sherlock Frankenstein“, „Die Straßen von Spiral City“, „Black Hammer ‘45“ und „Colonel Weird – Cosmagog“ erschienen. Nun also Nummer sieben und acht, „Skulldigger + Skeleton Boy“ und das erste Crossover „Black Hammer / Justice League“.

Jeff Lemire (Autor), Tonci Zonjic (Zeichner): „Black Hammer: Skulldigger & Skeleton Boy“.
Aus dem amerikanischen Englisch von Katrin Aust. Splitter Verlag, Bielefeld 2021. 168 Seiten. 24 Euro

Skulldigger und Skeleton Boy

Im Spiral City des Jahres 1996 verliert der junge Matthew bei einem Raubüberfall seine Eltern. Der von der Polizei halbherzig verfolgte Superheld Skulldigger kann die Tat nicht verhindern, zieht aber den Übeltäter blutreich zur Verantwortung. Detective Reyes ermittelt gegen den Skulldigger, aber damit zugleich auch gegen die Anweisungen ihres Captains, der die Verbrechensbekämpfung des Skulldiggers zu schätzen weiß: „Sie halten sich von Skulldigger fern, Sie kümmern sich nur um den Mord an den Eltern!“ Die Frage ist, was noch zu ermitteln bliebe, da der Täter identifiziert und endgültig unschädlich gemacht ist…

Matthew verlässt das Waisenhaus und begibt sich in die Obhut des maskierten Rächers. Dieser sperrt ihn ein, um ihn einem brutalen Training zu unterziehen. Am Ende wird Matthew zu Skeleton Boy, dem jugendlichen Sidekick des totenkopfmaskierten Helden.

Einige Rückblenden führen zurück in das Jahr 1976, als Skulldigger noch nicht Skulldigger war, sondern als junge „Alley Rat“ an der Seite von „Crimson Fist“ gegen das Verbrechen kämpfte. Dieser wiederum kandidiert in der Gegenwart des Jahres 1996 als Tex Reed für das Amt des Bürgermeisters von Spiral City. Wie für Lemire so typisch, haben wir also mehrere Ersatz-Vaterfiguren, und als der Superschurke Grimjim, der zugleich Tex Reed als auch Skulldigger jagt, ins Spiel kommt, wird es noch etwas komplizierter.

Es ist unverkennbar, an welche Superhelden-Traditionen Lemire anknüpft: Der Totenkopf-Look und die Figur des Grimjim erinnern leichthin an den Punisher und dessen vernarbten Gegner Jigsaw. Die Serie wurde 1986 ins Leben gerufen und fand in Klaus Janson einen prominenten Zeichner, der mit Frank Miller auch „The Dark Knight Returns“ (1986) schuf. Nicht nur die Eingangssequenz, in der Matthew in einer Gasse seine Eltern verliert, verweist auf diesen Batman-Klassiker. Skulldiggers Geheimversteck befindet sich an der Kreuzung Miller und Janson Street, und überhaupt erinnern viele Panels an Batman und seinen jungen Sidekick.

Seite aus „Black Hammer: Skulldigger & Skeleton Boy“ (Splitter Verlag)

Aber damit ist „Skulldigger“, der 1976 und 1996 spielt, aber ständig auf 1986 anspielt, noch nicht fertig mit diesem Jahrzehnt: Die Zwangsausbildung von Matthew in Skulldiggers Gefangenschaft bezieht sich natürlich auf Alan Moores „V for Vendetta“ (1982-89), und eine Doppelseite, deren Layout spiegelbildlich angeordnet ist, mag man an Hommage an Alan Moores „Watchmen“ (1986/87) verstehen.

Lemires Meta-Serie bleibt also konsequent in ihrem Bestreben, die Geschichte der Superheldencomics erzählerisch zu kommentieren. Die Zeichnungen von Tonci Zonjic sind konzentriert auf die Figuren und die Handlung, sparsam hingegen in der Hintergrundgestaltung. Wenn er sogar auf Farbe verzichtet, kommt einem beinahe Frank Millers „Sin City“ in den Sinn. Manches Mal ist die Seitenarchitektur verspielt, ohne dabei allzu produktiv zu sein, so vergeben Lemire und Zonjic etwa manche erzählerische Chance, als sie auf acht Hochkantpanels die Perspektiven wechseln lassen, die Erzählerstimme aber konstant bleibt. Daraus hätten sich interessante Widersprüche oder Parallelen entwickeln lassen können, so aber bleibt die Seitengestaltung hier bloße Spielerei.

Black Hammer / Justice League – Hammer der Gerechtigkeit

Wer das zweite Spin-off in die Hand nimmt, fühlt sich in eine fremde, nur entfernt vertraute Dimension versetzt, irgendwie leicht versetzt zu unserer Realität: Dieser Hardcover-Band kommt im Splitter-Format daher, wird aber von Panini vertrieben. Deutschsprachige Comicfreunde verorten das Hammerverse zwar beim Bielefelder Comicdealer, allerdings hat Panini hierzulande die Exklusivrechte an DC-Titeln. Was die Ausstattung angeht, haben die beiden Verlage aber im Sinne der Kund*innen zusammengearbeitet.

Jeff Lemire (Autor), Michael Walsh (Zeichner): „Black Hammer / Justice League – Hammer der Gerechtigkeit“.
Aus dem amerikanischen Englisch von Katrin Aust. Panini, Stuttgart 2021. 172 Seiten. 20 Euro

In „Hammer der Gerechtigkeit“ treffen die Mitglieder der Justice League auf den außerirdischen Riesenseestern Starro – durchaus nicht zufällig, immerhin springt Lemire damit in die Justice-League-Gründungsausgabe #28 von „The Brave and the Bold“ (1960) zurück. Der Gegner ist schnell besiegt, allerdings tritt sogleich ein neuer, und viel undurchsichtigerer Spieler auf den Plan…

Währenddessen erhalten auch die Black-Hammer-Exilanten um Abraham Slam Besuch auf ihrer Ranch: „Nun, wie es der Zufall so will, bin ich auf der Suche nach neuem Land. Und ihre hübsche Farm hat es mir angetan.“ Mit Melone, Aktenkoffer und lilafarbenem Anzug kommt der Fremde nicht sehr vertrauenserweckend daher. Plop, und plötzlich finden sich die Black-Hammer-Held*innen in Metropolis wieder, während Batman, Superman, Wonder Woman und Cyborg in der ländlichen Einöde des Mittleren Westens gelandet sind: auf der Hammer-Farm. Ein Rollentausch, wie man ihn aus amerikanischen Serien wie „Wife Swap“ oder „Same Name“ bzw. dem deutschen Pendant „Frauentausch“ kennt. Clark Kent, Bruce Wayne, Diana Prince und Victor Stone schlüpfen in die Rollen von Abraham Slam, Barbalien, Golden Gail und Madame Dragonfly, während Colonel Weird und Green Lantern durch die Parazone irrlichtern.

Der Rollentausch ist zunächst einmal unterhaltsam, wenn etwa Golden Gail zu fluchen versucht und alle unflätigen Ausdrücke zensiert werden – zu ihrem ausdrücklichen Ärger: „Warum kann ich hier nicht fluchen?! Jedes Mal, wenn ich’s versuche, klingt es %*$# seltsam!“ Auch der aufdringliche Flirt Golden Gails mit Aquaman hat jede Menge Charme.

Colonel Weird, Green Lantern und The Flash kommen dem Fremden allmählich auf die Spur: Es handelt sich um einen alten Bekannten aus dem DC-Universum, der die Welten scheinbar nur aus Freude am Chaos ein wenig ins Wanken hat bringen wollen. Ob das aber wirklich sein einziges Interesse ist, lässt das leicht offene Ende unbeantwortet.

Jeff Lemire und Michael Walsh führen uns durch die Geschichte der Justice League, in der auch Spectre oder Zatanna Zatara einen kurzen Gastauftritt haben. Die Erzählung hat, wie von Lemire gewohnt, sehr schöne Momente, mal unterhaltsam, mal rührend: Als Bruce Wayne nachts durch die Gegend patrouilliert, um die ländliche Idylle vor den Schrecken der Großstadt zu bewahren, wird er von Sheriff Trueheart zur Rede gestellt: „Das haben wir doch schon x-mal durch, Wayne. Sie sind kein Hilfssheriff. Sie haben kein Recht, die Bürger zu belästigen oder eingebildete Verbrechen zu bekämpfen.“ Man sieht: Die Akzeptanzprobleme trägt der Caped Crusader offenbar mit sich, wohin auch immer es ihn verschlägt…

Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.

Seite aus „Black Hammer: Skulldigger & Skeleton Boy“ (Splitter Verlag)