Auch wenn wir das damals nicht wussten, standen unsere Fernseh-Montagabende durchaus unter dem tiefen Eindruck von Alex Raymond, dessen Werke wir natürlich erst Jahre später kennenlernten. Wenn wir nämlich nicht amüsiert-fasziniert die Abenteuer von Flash Gordon auf dem Planeten Mongo verfolgten, wo der blonde Haudrauf forsch durch Pappdeckel-Kulissen schritt, beteiligten wir uns auch gerne an den Ratespielen, die der Detektiv Charlie Chan (inklusive Sohn 1-35) in der amerikanischen High Society veranstaltete. In einer Glitzerwelt ermittelte man dabei zwischen Cocktails und Soufflés, wobei die Sache stets durch den Scharfsinn und die philosophischen Sprüche der fernöstlichen Spürnase adrett gelöst wurde. Spätestens seit 1930 war das Krimi-Phänomen ohnehin multimedial unterwegs: Im Radio löste der Shadow vertrackte Fälle (die 1937 und 1938 von Orson Welles himself gesprochen waren), und in der Zeitschrift „Black Mask“ lieferten Autoren wie Raymond Chandler und Dashiell Hammett Kurzgeschichten für das hungrige Publikum.

Ward Greene (Text), Alex Raymond (Text und Zeichnungen): „Rip Kirby Band 1 +2“.
Bocola Verlag, Klotten 2018. Je 156 Seiten. Je 25,95 Euro
Als erfolgreicher, gut situierter Wissenschaftler warf die Figur des Rip den mondänen Gentleman-Ermittler in die Waagschale, der wie Hammetts Nick Charles in den Mordsachen „Dünner Mann“ mit Eleganz, Scharfsinn und Glamour vorging – und dabei nicht nur auf seinen schlagkräftigen Butler Desmond, eine Art Super-Alfred, zählen konnte, sondern auch auf seine Freundin Honey Dorian, ihres Zeichens Topmodel und Society-Girl allererster Kajüte. Gleichzeitig kamen Freunde des „hardboiled“-Genres à la Philip Marlowe und Sam Spade auf ihre Kosten: Vor allem in den Charakterisierungen von Rips Widersachern fanden sich Abseitigkeiten, Gewalt und schattenhafte Figuren, wie man sie von Chandler und Hammett kannte. Gewürzt mit einem Schuss realistischer Polizeiarbeit, ging Rip Kirby mit der ersten Episode des Handlungsbogens „Der Mörder von Chip Faraday“ am 4. März 1946 an den Start und führte mit einem Mordfall aus der Glitzerwelt der Model-Agenturen gleich sämtliche Zutaten zum Erfolg ins Feld, mitsamt zwielichtigen Gangsterbossen, misshandelten Damen, schnellen Autos und einem pfeifeschmauchenden, hornbebrillten, klavierspielenden und ebenso schlagkräftigen Protagonisten.
Im zweiten Handlungsbogen „Die Hicks-Formel“ macht sich Rip dann auf in Richtung Universität Northchester, wo er einen Vortrag über Chemie halten soll und prompt in einen weiteren Kriminalfall verwickelt wird: Studenten verhalten sich reihenweise seltsam, der Hund des Dekans stirbt – offenkundig an einer höchst giftigen chemischen Verbindung, die der Forscher Hicks entwickelt hat und vor der Welt in Sicherheit bringen will. Hier kann Rip noch einigermaßen Licht ins Dunkel bringen, aber in der direkt darauf aufbauenden, sehr langen Storyline „Der Mangler“ bekommt die Sache noch mehr Brisanz. Ein auch „Fleischwolf“ genannter schwerer Junge flieht aus Alcatraz und schreckt vor nichts zurück, um sich die Formel unter den Nagel zu reißen. Mithilfe seiner Freundin Pagan Lee und des fiesen Mad Scientist Doktor Varda entführt er Rip, der die Formel nach Washington bringen will, aber gar nicht daran denkt, das Geheimnis preiszugeben. Als der Mangler allerdings auch Honey in die sprichwörtliche Mangel nimmt, gerät die tödliche Formel, die so vernichtend wie eine Atombombe ist, doch in die Gewalt des verbrecherischen Manglers…
Neben den Handlungselementen des so elegant wie hartgesottenen Detektivs, der als Wissenschaftler der Deduktion ebenso frönt wie sein entfernter Kollege in der Bathöhle – Verbrechen, Sex, Drogen, antiutopische Bedrohungen à la Robert Aldrichs „Kiss Me Deadly“ –, beeindruckt Rip Kirby vor allem durch die höchst aufwendige zeichnerische Inszenierung. Dominierten bei „Flash Gordon“ noch farbige, zunehmend expressive Panels mit fremdartigen Landschaften, futuristischen Gefährten und hünenhaften Physiognomien, so bestechen Raymonds Zeichnungen mit feinem Strich, wunderbarer Akzentuierung und vor allem einem prononcierten Licht/Schattenspiel, das die besten Chiaroscuro-Elemente der Film Noir-Welle auf modernste Weise evoziert. Kein Wunder somit, dass Raymond für den sensationell erfolgreichen Rip seine anderen Serien abgab, um sich nur noch auf seinen Meisterdetektiv zu konzentrieren, den er bis zu seinem Unfalltod 1956 regelmäßig auf Abenteuer sandte.
Der vorliegende Band umfasst vollständig restauriert die Zeitungsstrips der Jahre 1946 und 1947, wofür Herausgeber Achim Dressler das kleine Kunststück gelang, erstmals ungekürzte und vor allem ungeschnittene Fassungen (bei vorigen Ausgaben wurden aus Formatgründen gerne fast 10% der unteren Ränder entfernt) verwenden zu können. Rip Kirby erscheint somit wie bei Bocola guter Brauch in strahlendem Hardcover-Gewand, das mit Band 3 und dem ganz neuen Band 4 bereits weitere Ausgaben umfasst.
Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.
Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben dem Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.