Wenn die Superhelden in „Black Hammer“ durch die Luft fliegen, sieht das nicht gerade dynamisch aus. Colonel Weird ist so alt und gebrechlich, dass er nur noch gebeugt gleitet. Und Golden Gail ist zwar blutjung – 9 Jahre um genau zu sein –, doch sie bewegt sich fast gar nicht mehr, sondern hängt in der Luft, als sei die depressiv. Kein Wunder, denn außer dem Fliegen ist von den alten Kräften nicht viel geblieben. Im Kampf gegen einen Superschurken wurde Gail zusammen mit fünf anderen Superhelden auf eine einsame Farm katapultiert und muss sich nun mit den einfältigen Bewohnern eines benachbarten Dorfs rumschlagen. Das Ziel der Superhelden: bloß schnell zurück nach Spiral City.
Jeff Lemire: „Je mehr ich an der Geschichte gearbeitet habe, desto mehr ging es mir dabei um Identität. Weil die Idee hinter den Superhelden beruht auf ihrer geheimen Identität. Und dann haben die auch noch eine Super-Identität – aber keine von denen ist eine echte Person. Also habe ich die auf eine Farm geschickt und hab ihnen beides weggenommen: die geheime Identität und die Superkräfte. Und ich habe die verschiedenen Figuren zusammengesteckt, um herauszufinden, wer die wirklich sind und damit sie echte Menschen werden.“Superhelden in der Identitätskrise
Das ist gar nicht so einfach, denn Gail ist eigentlich schon Mitte 50 und hat nicht die geringste Lust, in ihrem zwar jungen, aber abgetakelten Superheldinnen-Körper in die örtliche Schule zu gehen. Und dann ist da noch Barbalien, der von seinen kriegerischen Marsianer-Kollegen weggeschickt wurde, weil er zu weich und zu feminin wirkte. Auf der Erde hat er bis zu dem großen Unglück als Superheld gearbeitet.
Jeff Lemire: „Er nutzt seine Kräfte, um ein anderer zu sein: Er ist ein Gestaltwandler, der kann sich in jeden anderen verwandeln. Ich habe das genutzt um zu zeigen, wie der seine sexuelle Identität und seine ganze Persönlichkeit verbirgt. Ich habe seine Superheldeneigenschaft also benutzt, um über Menschliches zu erzählen.“
Ein tragisches Schicksal
Jeff Lemire macht aus den Superheldenstoffen psychologische Studien und schlägt dabei mal lustige, mal melancholische und immer wieder auch wütende Töne an. Vom Kampf gegen den Superschurken und die persönlichen Geschichten der verlorenen Superhelden erzählt Lemire in Rückblenden, die so kunstvoll verschachtelt sind, dass es ein Vergnügen ist, ihnen zu folgen. Deutlich stringenter sind die Spin Offs zur „Black Hammer“-Serie erzählt. Darin werden die Biografien von Figuren aus Spiral City erzählt. Gerade ist „Doctor Star“ erschienen. Es geht um einen Forscher, der so sehr für seine Arbeit lebt, dass er seine Familie verliert.
Jeff Lemire: „Das beruht auf der Art von Science Fiction, die in den 50er Jahren veröffentlicht wurde. Da ist einer, der mit seiner Wissenschaft die Rätsel unseres Universums erkunden will. Und die Ironie ist, dass er tatsächlich das Geheimnis des Universums entdeckt, aber er kommt damit nicht klar und kann das Wissen nicht nutzen und das zerstört ihn. Das, was er am meisten möchte, zerstört ihn also.“
Abgesang und Hommage
Die „Black Hammer“-Reihe ist ein Abgesang auf die Superhelden und eine Hommage an sie. Das verdeutlichen auch Dean Ormstons Zeichnungen. Das Leben auf der Farm ist in so gedeckten Farben gehalten, dass klar wird, dass hier nichts super ist. Und dann zitiert Ormston immer wieder verschiedene Superhelden-Ästhetiken: vom strahlenden Supermann der 40er Jahre über den düsteren Batman der 90er bis hin zu den Formspielen Jack Kirbys.
Jeff Lemire: „Es gibt so viele Superheldencomics – mit denen wurde schon alles gemacht, warum sollte man noch einen Superhelden-Comic zeichnen? Andererseits glaube ich, dass ein Genre nicht tot ist, nur weil schon alles gesagt wurde. Und darin liegt für mich die Herausforderung: Ich möchte einen neuen Weg finden, um die alten Stoffe zu erzählen.“
Im Laufe der Geschichte stellt sich heraus, dass manche der Superhelden die Versuche ins alte Leben zurückzukehren sabotieren. Damit wird die „Black Hammer“-Serie auch noch zu einem spannenden Thriller. Und den Superhelden bleibt mehr Zeit, zu sich selbst zu finden.
Dieser Text erschien zuerst am 21.01.2019 auf: Deutschlandfunk.
Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.