„The Sixth Sense“, „The Village“, „The Visit“. Retroaktive Thriller, deren Enden alles wenden, ihre jeweilige „Welt“ von Grund auf umdefinieren, uns den Boden unter den Füßen wegziehen. Das sind Trademarks des kapriziösen Hollywood-Regisseurs M. Night Shyamalan, stets verwoben in Soziopanoramen von Trauma, Trauer und Verlust, angesiedelt in Amerikas Gründungshauptstadt Philadelphia. Erwartungsgemäß unerwartet wird es immer schon anders gewesen sein.
Die Reize und Register der Retroaktion wendet Shyamalan nun auf sein eigenes Oeuvre an. Sein Psychokiller-Rätselschocker „Split“ entpuppte sich vor zwei Jahren unmittelbar vor dem Vorspann als Fortsetzung seines Melodrama-Mystery „Unbreakable“ von anno 2000: als ein „Geheim-Sequel“, auf das siebzehn Jahre lang eigentlich niemand gewartet hat. „Glass“ beschließt nun, was offenbar seit jeher eine herrlich verhatscht phrasierte Trilogie über Superhelden – oder Psychopathen? – und deren endlos schmerzhafte Initiation war. Der actionreichste der drei Filme (auch der schwächste – aber immer noch recht gut) fusioniert leidende Delirien: die „Unbreakable“-Dyade (manischer Mastermind mit „Glasknochen“-Krankheit, unverwundbarer Security-Mann als „der Aufpasser“) und den muskulär eruptiven „Split“-Schizophrenen namens The Horde. Oder Beast. Oder Patricia…

© The Walt Disney Company Germany GmbH

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Prägnanter als die kulturdiagnostischen Sprechdurchfälle von Shyamalans Filmen – obwohl die schon auch liebzugewinnen sind, und die Art, wie in „Glass“ die Polizei ins Bild kommt, nämlich von vornherein als Farce von einem Fascho-Verein, das ist schon einnehmend –, prägnanter also sind bei diesen Filmen seit jeher ihre gewarpten Zeiten, ihre auf irgendwie seltsame Weise „alten“ Räume (manche davon sind Historylands…) – und ihre in Posen verkrampften, mehr intensiven denn mobilen Körper (nicht alle davon sind dead people). Dementsprechend und beeindruckend ist Samuel L. Jackson hier ganz Tic, Bruce Willis ist ganz Kopf, und James McAvoy ist ganz Spasmus. Mit den X-Men teilt Shyamalans Trilogie den letzteren Schauspieler sowie die Figur eines manipulierenden Denkers im Rollstuhl – und den Status als „ältestes aktives Superhero-Kino-Franchise“. (Den Titel „weirdestes Superhero-Kino-Franchise“ wird ihr kein anderes Universum streitig machen.) Kurz zurückgedacht ins Jahr 2000, als ganz unzerbrechlich etwas begann, das nun in Glassplittern endet, und das durch die Zersplitterung reflexiv ist noch in der Diffraktion: Damals, vor 9/11, noch tief im Web 1.0, da mutete das Thema Comic-Helden so eigen an wie „Glass“ heute. Security war ein düsteres Omen, Transparenz noch keines. Wir waren damals schon split, aber darüber maximal traurig. Sie war damals schon, immer schon um uns, und heute tobt es in ihr, in der Glass Society.
Glass
USA 2018 – 129 min.
Regie: M. Night Shyamalan – Drehbuch: M. Night Shyamalan – Produktion: Marc Bienstock, Jason Blum, M. Night Shyamalan – Kamera: Mike Gioulakis – Schnitt: Luke Ciarrocchi – Musik: West Dylan Thordson – Verleih: Walt Disney – FSK: ab 16 Jahren – Besetzung: Bruce Willis, Samuel L. Jackson, James McAvoy, Anya Taylor-Joy, Spencer Treat Clark, Charlayne Woodard, Sarah Paulson – Kinostart (D): 17.01.2019
Drehli Robnik, geb. 1967, Theoretiker in Sachen Film und Politik, Edutainer, Kritiker, Disk-Jockey. Doktorat Universität Amsterdam (2007). Universitäre Lehrtätigkeit in A, D, CZ, FL 1992-2015. Monografien zu Stauffenberg im Film, zu Jacques Rancière und zur Regierungs-Inszenierung im Kontrollhorrorkino. Herausgeber der Film-Schriften von Siegfried Mattl. In Arbeit: DemoKRACy: Siegfried Kracauers Politik[Film]Theorie. Im Frühjahr 2019 erscheint bei neofelis der von ihm herausgegebene Sammelband „Put the X in PolitiX: Machtkritik und Allianzdenken mit den X-Men-Filmen“.