Seit 1977 schrieb der Schriftsteller und Comicautor Peter Mennigen zunächst deutsche Geschichten für Comicreihen wie „Gespenster Geschichten“, „Spuk Geschichten“, „Conny“, „Biggi“, „Vanessa“, „Felix“, „Lasso“, „Phantom“, „Axel F.“ und zahlreiche weitere Serien des Bastei Verlags. Ab den 90er Jahren arbeitete er für andere Verlage wie Egmont (Disney-Magazine), Panini (Jessy, Sternentänzer, Willi will‘s wissen) und Ravensburger (u.a. Fix und Foxi). In dieser Zeit verfasste er auch internationale Comics: „Lucky Luke“, „Schlümpfe“, „Bessy“ und „Isnogud“. Aktuell arbeitet er zusammen mit Ingo Römling an der Mystery-Steampunk-Serie „Malcolm Max“. Für comic.de blickt er in unregelmäßigen Abständen zurück auf seine Arbeit im deutschen Comicverlagsgeschäft.
Hier findet sich der 2. Teil, hier der 3., hier der 4.
Die Geschichte von „Malcolm Max“ nahm nicht mit Erscheinen seines ersten Comic-Albums im März 2013 ihren Anfang. Auch nicht mit der Premiere seiner Hörspielreihe im Oktober 2008. Begonnen hat sie im Sommer 1977 mit meinem ersten Skript für die Bastei Comicserie „Gespenster Geschichten“. Denn ohne „Gespenster Geschichten“ hätte es „Malcolm Max“ niemals gegeben.
Frühsommer 2008, zwei Jahre lag die Einstellung der „Gespenster Geschichten“ zurück; ich steckte mitten in einer „Käpt’n Blaubär“-Story und überlegte mir gerade etwas ungemein Blödes für Hein Blöd, als mich der ehemalige Redakteur der Bastei Jugendredaktion Ewald Fehlau anrief. Er fragte an, ob ich noch Hörspiele schreiben würde und mir vorstellen könne, als Autor bei einem neuen Projekt einzusteigen. Vorstellen konnte ich mir schon von Berufs wegen vieles, weshalb ich beides bejahte. Danach informierte er mich, dass der „Tigerpress“ Verlag eine Wiederbelebung der alten „Gespenster Geschichten“ in Form von Nachdrucken plane und die Redaktion ihn deswegen als Berater engagiert hatte. Eine CD mit einem Hörspiel sollte kostenlose Beilage zu jedem Heft sein. Weiter vertiefte er das Thema nicht, die Details wollte der Verleger Jan Wickmann nach dieser ersten Kontaktaufnahme telefonisch mit mir besprechen.
Eine Stunde später lernte ich dann Jan Wickmann, Sohn des ehemaligen „Gruner & Jahr“ Generalbevollmächtigten und Beiratsvorsitzenden der „Henri-Nannen“-Journalistenschule Rolf Wickmann, kennen. Drei Jahre zuvor war er mit seinem Verlag und einer Neuauflage von Rolf Kaukas „Fix & Foxi“-Comics an den Start gegangen. Nun beabsichtigte er das Verlagsportfolio um einige Bastei-Comicserien zu erweitern. Nach „Gespenster Geschichten“ würde die Mädchen-Pferde-Reihe „Conny“ eine Renaissance erfahren.
Da die meisten „Gespenster Geschichten“ aus meiner Feder stammten, sollte ich der Kontinuität wegen auch die „Gespenster“-Hörspiele schreiben. Für die Konzeption gab man mir vollkommen freie Hand. Einzige Bedingung: Die Geschichten mussten thematisch zum Heftinhalt passen. Nachdem wir uns über mein Honorar geeinigt hatten, legte ich nach Abschluss meiner „Käpt’n Blaubär“-Story sofort mit dem Brainstorming los.
Bei einer Serie war es zumeist naheliegend, dass in den Episoden dieselben Protagonisten auftraten. Bei einem klassischen Horror-Szenario bot sich fast zwangsläufig der Bekämpfer von okkulten Bedrohungen als Held an. Andererseits bevölkerte damals eine regelrechte Schwemme von Geister- und Vampirjägern den Markt. Weswegen es mir wenig originell erschien, dem bereits bestehenden Überangebot noch eine weitere Kopie dieser Berufsgruppe hinzuzufügen. Man musste kein Genie in Wahrscheinlichkeitsrechnung sein, um abzuschätzen, dass mein neuer Held ansonsten ziemlich bald in der Masse des Austauschbaren untergegangen sein würde.
Also experimentierte ich zunächst mit abgeschlossenen Grusel-Kurzgeschichten und wechselnden Hauptfiguren, ganz im Sinne von „Gespenster Geschichten“-Comics in Audioform. Wie sich jedoch herausstellte, reichte der Speicherplatz einer CD noch nicht einmal für zwei solcher Storys. Als Hörbücher hätte eine Anthologie auf dem Medium funktioniert, nicht aber als Hörspiele mit ihren relativ zeitintensiven Dialog- und von Geräuscheffekten unterlegten Actionpassagen.
Nach einigen misslungenen Versuchen mit jeweils nur einem Gespenster Hörspiel pro CD dachte ich mir „Pfeif auf die Konkurrenz“ und griff die Idee mit dem Geister- und Dämonenjäger wieder auf. Schließlich hatte ich bereits von 1978 an Comics über einen Geisterjäger geschrieben, was mich – hoffte ich zumindest – vom Vorwurf eines Nachahmers befreite, der bloß auf einer Erfolgswelle mitschwimmen wollte. Der Name der damaligen Serie lautete „Arsat – Der Magier von Venedig“. Bis 1995 in der Bastei-Reihe „Spuk Geschichten“ erschienen, hatte es die Serie auf fast fünfhundert Hefte plus elf Taschenbücher und zwei Hörspiele gebracht.
Im nächsten Schritt der Entwicklungsphase suchte ich nach einem Ansatz, der meinen Held von seinen gängigen Konkurrenten unterschied. Gewissermaßen als Gegenentwurf des unfehlbaren Heroen legte ich ihn vielschichtiger, mit Fehlern und Schwächen behaftet, an. Einen sympathischen Antihelden, der sich in gefährlichen Situationen zwar als intelligenter und kühner Kämpfer präsentierte, aber auch nicht vor einer guten Portion Selbstironie zurückschreckte. Bei der Namensgebung stand – sozusagen als kleine Hommage an eine meiner damaligen Lieblingsfernsehserien – Malcolm Reynolds, der Commander des Raumschiffs „Firefly“, Pate. Den Nachnamen wählte ich mittels Ausschlussverfahren aus einer Liste von Möglichkeiten: „Max“ klang kurz, knackig und einprägsam.
Wie jeder anständige Held brauchte Malcolm Max jetzt noch einen Sidekick, mit dem er während seiner Abenteuer Dialoge führen und so indirekt auch den Leser informieren konnte, was gerade Sache war. Ich kreierte Charisma Myskina, eine sowohl vom Aussehen als auch von ihrer Ausstrahlung her attraktive Begleiterin. Sie sollte auf jeden Fall mehr darstellen, als lediglich eine hübsche „Mitläuferin“ oder „Stichwortgeberin“, deren Hauptaufgabe darin bestand, sich von dem Helden aus brenzligen Situationen retten zu lassen. Mir schwebte vielmehr eine junge Frau vor, die sich in erster Linie durch eine starke Persönlichkeit definierte. Bei der Intelligenz und Selbstständigkeit die Grundpfeiler ihrer Identität bildeten. Kurzum, eine Gefährtin, die dem männlichen Helden ebenbürtig war.
So weit so gut, doch diese Persönlichkeitsprofile allein genügten mir noch nicht, um den beiden Hauptfiguren markante Konturen mit unverwechselbarem Charakter zu verleihen. Ich brauchte einen Dreh, wodurch sich Malcolm und Charisma von der üblichen Heldenduo-Dynamik abhoben. Etwas Widersprüchliches wie zum Beispiel: Was, wenn die Begleiterin eines Vampirjägers selbst ein Vampir war?
Diese Ambivalenz klang zwar interessant, brachte aber auch einige Einschränkungen mit sich, da der Fokus von Vampiren bekanntlich auf ihrem Heißhunger nach menschlichem Blut und ihrer Allergie gegen Sonnenlicht liegt. Das wurde thematisch bereits in allen denkbaren Facetten ausgewalzt. Weshalb ich aus der Vampirin eine Halbvampirin machte, die sich dank ihrer menschlichen Seite mütterlicherseits normal ernährte und auch keine Abneigung gegenüber Sonnenlicht besaß. Dafür verliehen ihr die vom Vater geerbten Vampir-Gene übermenschliche Stärke. Zudem hatte sie von ihrer Mutter, einer mächtigen Hexe, einige übernatürliche Begabungen mit in die Wiege gelegt bekommen, die Charismas Optionen im Kampf gegen Bedrohungen um einiges erweiterten.
Mochte Charisma auch Malcolm Max körperlich überlegen sein und ihre geistige Stärke mit spitzer Zunge in ironische Kommentare zu verpacken wissen, so hatte ihr Begleiter der Halbvampirin in puncto Weltgewandtheit und Lebenserfahrung doch einiges voraus, was das Gleichgewicht in dieser Partnerschaft wieder herstellte.
Vertraglich räumte mir „Tigerpress“ die Rechte an „Malcolm Max“ inklusive der Hörspielproduktionen ein, falls die Serie ein Jahr lang nicht mehr produziert wurde oder der Verlag Insolvenz anmeldete. Zu der Zeit ahnte ich nicht, wie wichtig diese Abmachung eines Tages noch werden würde.
Als nächstes verfasste ich das Skript des ersten Abenteuers, dessen Schwerpunkt auf der Einführung der Hauptcharaktere in eine stimmigen Story lag: Ein Auftrag führte Malcolm Max in die Karpaten, wo er ein Dorf von einer Vampirplage befreien sollte. Das klang nach einer typischen Vampirjäger-Klischeestory. Darum stellte ich die Geschichte in ihrem Verlauf auf den Kopf, indem ich die Menschen als die wahren Ungeheuer entlarvte. Stereotyp wirkte zunächst auch Charismas Befreiung durch Malcolm Max aus einem Kerker, wobei die Halbvampirin ihrem Retter aber schnell begreiflich machte, dass in ihrer Beziehung nicht nur einer die Hosen anhat.
Beim Schreiben des Skriptes unterlag ich einigen Sachzwängen, die die kreativen Möglichen einschränkten: Da die „Gespenster Geschichten“ in erster Linie für Kinder und Jugendliche gedacht waren, durfte ich bei der Story die Abgründe des Grauens nicht allzu blutig gestalten. Außerdem war deren Laufzeit durch die Speicherkapazität der CD begrenzt, deswegen durfte die Story nicht zu komplex und dadurch zu lang sein. Hinzu kam die Einhaltung eines niedrigen Produktionsbudgets. Jede Sprecherrolle bedeutete höhere Kosten, entsprechend klein musste das Ensemble in der Geschichte gehalten werden.
Das fertige Skript mit dem genregerechten Titel „Im Banne der Untoten“ wurde von Jan Wickmann und der zuständigen Redakteurin Silke Bäck genehmigt. Für die Hörspiel-Produktion waren die „Graceland Studios“ in Hamburg vorgesehen. Im Spätsommer 2008 stand dem ersten „Malcolm Max“-Hörspiel also nichts mehr im Wege. So schien es zumindest.
Einige Tage nach Einreichung des Skripts meldete sich Silke Bäck bei mir, weil der Inhaber der „Graceland Studios“ um meinen Rückruf bat. Hörspielfreunden ist der am 30. November 2012 leider verstorbene Konrad Halver auch als Regisseur, Produzent, Sprecher und wegen seiner Produktionen wie „Kommissar Dobranski“ ein Begriff. Ich muss zu meiner Schande gestehen, mir war er bis zum Zeitpunkt unseres Telefonats unbekannt.
Schon nach ein paar Sätzen wurde jedoch klar, dass wir beide auf derselben Wellenlänge lagen und so redeten wir wie alte Bekannte stundenlang über Gott und die Welt. Am Ende unserer Unterhaltung gestand mir Konrad Halver, dass das Gespräch eigentlich ein Test war. Er hatte zwar mein Skript gelesen und für gut befunden, aber seine „Graceland Studios“ waren zu der Zeit so mit Produktionen ausgelastet, dass er eine strenge Auswahl bei neuen Aufträgen traf. Zweck unserer Besprechung war für ihn herauszufinden, ob ich ein „arroganter Autorenfatzke“ sei, der das Studioteam mit seinen Anweisungen und Einwänden nerven würde. In dem Fall hätte er die Produktion von „Malcolm Max“ abgelehnt. Offenbar hatte er den Eindruck gewonnen, dass man mit mir zusammenarbeiten konnte, denn in der darauffolgenden Woche starteten die Aufnahmen des ersten „Malcolm Max“ Hörspiels.
Als Sprecher der Hauptrolle des Malcolm Max hatte man den Schauspieler Robert Missler engagiert, der unter anderem die deutsche Synchronstimme von Dr. James Wilson in der TV-Serie „Doctor House“ war. Charisma wurde von der Theater- und Filmschauspielerin Tanja Dohse gesprochen. Für Ton und Regie war der Mitinhaber der „Graceland Studios“ Marko-Peter Bachmann verantwortlich.
Im Oktober 2008 kam die erste Ausgabe der „Gespenster Geschichten“-Neuauflage inklusive Hörspiel auf den Markt. Erscheinungsweise zweimonatlich, Umfang 52 Seiten. Zeitgleich erteilte „Tigerpress“ die Freigabe zur Produktion des zweiten Hörspiels, das ich inzwischen geschrieben hatte. Die Geschichte spielte in London und drehte sich um Malcolm Max‘ Begegnung mit dem ultimativen Serienkiller Jack the Ripper. Titel: „Blutnächte in Whitechapel“. Bei dessen Veröffentlichung in „Gespenster Geschichten“ #2 wurde in den „Graceland Studios“ bereits mein drittes Skript „Tod in Paris“ aufgenommen. Allerdings kam es zu keiner Veröffentlichung der CD mehr bei „Tigerpress“.
Erstes Anzeichen der „Verlagsdämmerung“ war die Veröffentlichung des dritten „Gespenster Geschichten“-Comics mit einem „Hellboy“- statt eines „Malcolm Max“-Hörspiels als Gimmick. Offizielle Begründung des Verlages: Der „Hellboy“-Lizenzgeber hatte „Tigerpress“ das Hörspiel kostenlos zur Verfügung gestellt. Wenige Wochen danach rief mich Jan Wickmann an und setzte mich davon in Kenntnis, dass sein Verlag Insolvenz anmelden müsse. Hauptauslöser dafür waren wohl die inzwischen katastrophalen Verkaufszahlen der „Fix & Foxi“ Nachdrucke.
Gemäß unserer Vereinbarung fielen mit dem Konkurs des Verlages die Rechte an „Malcolm Max“ und seinen Hörspielen an mich. Anfangen konnte ich damit allerdings herzlich wenig. Also legte ich die Serie zu den Akten und schloss eigentlich für immer mit ihr ab. Doch mein viktorianischer Held weigerte sich hartnäckig in seinem medialen Grab in Frieden zu ruhen.
Seine Wiedererweckung erfolgte einige Monate später in Form eines Anrufs von Marko-Peter Bachmann. Er teilte mir mit, dass der Verleger Joachim Otto „Malcolm Max“ fortsetzen wolle. Und zwar in lockerer Folge innerhalb seiner bereits etablierten Hörspielreihe „Geister-Schocker“. Ohne recht zu wissen, was ich davon halten sollte, telefonierte ich erst mit Joachim Otto, bevor wir uns kurz darauf bei einem persönlichen Treffen auf eine Weiterführung der „Malcolm Max“ Hörspiele einigten. Das dritte Hörspiel lag bereits fertig produziert vor und erschien Anfang 2011 im Verlag „Romantruhe“. Eine zweite CD als kostenlose Beilage enthielt außerdem noch einmal das erste Hörspiel von „Tigerpress“. Die zweite „Tigerpress“-Folge gab es dann ebenfalls umsonst bei der nächsten „Malcolm Max“-Folge „Venedig sehen und sterben“.
Bis 2015 erschienen bei der „Romantruhe“ insgesamt fünf neue „Malcolm Max“-Hörspiele, von denen sich vor allem die letzten beiden Folgen intensiv mit Fragen aus Malcolms Vergangenheit befassten: Wo lagen die Wurzeln seiner Herkunft? Welche Umstände prägten seine Motivation beim Kampf gegen böse Mächte? Welches Schicksal hatte seine Familie erlitten? Das bislang letzte Hörspiel „Blutsbande“ endete an dem Punkt, an dem die Story im ersten „Malcolm Max“-Comicalbum ihren Anfang nahm.
Die Idee, die Popularität der „Malcolm Max“ Hörspiele für eine Comicserie zu nutzen, war nach der Unterzeichnung des Vertrages mit der „Romantruhe“ in mir gereift. Doch bis das erste Comic-Album von „Malcolm Max“ tatsächlich das Licht seiner Veröffentlichung erblickte, war es noch ein beschwerlicher Weg, gepflastert mit Rückschlägen und gesäumt von zahlreichen Unwägbarkeiten.