Ohnmacht des Wortes – „Rosa. Die Graphic Novel über Rosa Luxemburg“

„Mit ihrem Stift erschafft sie Bilder, die so lebendig sind wie die des modernen Fotojournalismus“, so schwärmt Kate Evans in „Rosa. Die Graphic Novel über Rosa Luxemburg“ von der 1919 ermordeten jüdischen Sozialistin. Und in der Tat erinnern die in den Comic integrierten Textauszüge daran, dass Luxemburg nicht nur eine herausragende Theoretikerin, sondern auch eine ausgezeichnete Autorin war.

Kate Evans (Autorin und Zeichnerin): „Rosa. Die Graphic Novel über Rosa Luxemburg“.
Aus dem Englischen von Jan Ole Arps. Karl Dietz Verlag, Berlin 2018. 224 Seiten. 20 Euro

Evans’ reduzierter, klarer und doch im Detail verspielter Stil könnte sich sehr gut mit Luxemburgs Sprache ergänzen, doch leider will dies über die Strecke von fast 200 Seiten nicht so recht gelingen. Der Mut, den Evans im Leben von Rosa Luxemburg herausstellt, findet sich in der Ästhetik des Comics nicht gespiegelt. Fast jedes Panel zeigt Luxemburg und ihre Mitstreiter, in Diskussionen, bei Reden oder im Streit mit politischen Gegnern. Der Fokus auf die Gesichter, der jeglichen größeren Rahmen ausspart, lässt den Sachcomic seltsam leer erscheinen; es will sich kein Gesamtbild der Person ergeben, da man sie zwar am Tisch sitzen und über ihr Hauptwerk „Die Akkumulation des Kapitals“ reflektieren sieht, nichts jedoch erfährt vom Entstehungskontext, von Berlin kurz vor dem Ersten Weltkrieg, oder wenigstens von ihrer Wohnung. Selbst wenn die Zeichnerin den Lesern einen kurzen Einblick in das Sexleben ihrer Protagonistin gewährt, doziert die Erzählerin weiter: „Ein Stück lebendiges Leben aus Fleisch und Blut, das mit dem ganzen Drum und Dran der Revolution durch tausend Adern verbunden ist.“

Womöglich hat das Cover zu viele Erwartungen geweckt. Es zeigt das Potential von Comics, gerade von solchen, die sich mit historischen Ereignissen beschäftigen: Eindringlicher als jeder Text zeugt ein einziges Bild von einem komplexen Sachverhalt: Auf dem leicht nach vorne gebeugten Kopf von Luxemburg im Profil finden sich Soldaten des Ersten Weltkriegs, Explosionen in ihrem Haar, die Last der Geschichte. Statt diese Kraft des Bildes zu nutzen, vertraut die Graphic Novel einzig der Macht des Wortes und verschenkt damit die Chance, einen wirklich eigenständigen Beitrag zum Leben von Rosa Luxemburg zu leisten. So bleibt es immerhin eine solide Einführung in Leben und Werk. Mehr aber nicht.

Dieser Text erschien zuerst in: KONKRET 10/2018

Jonas Engelmann ist studierter Literaturwissenschaftler, ungelernter Lektor und freier Journalist. Er hat über „Gesellschaftsbilder im Comic“ promoviert, schreibt über Filme, Musik, Literatur, Feminismus, jüdische Identität und Luftmenschen für Jungle World, Konkret, Zonic, Missy Magazine und andere, ist Mitinhaber des Ventil Verlags und Co-Herausgeber des testcard-Magazins.