Comic-Verfilmungen waren im klassischen Hollywoodfilm Futter für die kiddie matinees, die Serials und die B-Produktionen, den schönen Unfug, mit dem der Bodensatz des Kino-Marktes versorgt wurde. Nun sind sie von der Peripherie ins Zentrum der Industrie gerückt. Das hat mit den Wandlungen des Konsumverhaltens zu tun: Comics haben das Ghetto der Kinderkultur verlassen und gehören mittlerweile zu den tragenden Elementen der popular culture; man mag sich über Sex & Drogen & Rock ’n‘ Roll streiten, Batman und Donald Duck sind bei Eltern und Kindern gleichermaßen respektiert. Das hat überdies mit den Strategien der Medienmultiplikation zu tun: Eine bereits eingeführte Bilderwelt wird durch den Film verstärkt und abermals in anderen Medien vermarktet. Das freilich macht die Comic-Verfilmung riskant. Der Erfolgszwang ist noch größer als der bei einer Bestseller-Verfilmung, denn ein Flop, wie Warren Beattys „Dick Tracy“, kann eine ganze Serie, ja ganze Comic-Genres ruinieren. Das Risiko mindern helfen Produktionswerte, Stars und die Nivellierung von Bild und Erzählung; Übersetzungen von Sex, Gewalt, Subversion und ästhetischem Eigensinn in die Sprache des Mainstream. Geraspelt, püriert und gemixt, werden die ursprünglich eher heftigen Zutaten leicht verdaulich und beliebig kombinierbar.

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Gute Menschen wissen nicht genau, ob sie sich mehr über den Pop-Faschismus der Serie oder über ihre maßlosen Geschmacklosigkeiten empören sollen. Schlechte Menschen, wie unsereiner, grummeln etwas von Reflexion des Mythenzerfalls, postmodernem Meta-Diskurs und Baudrillard. Aber in Wirklichkeit macht uns der Scheiß einfach einen Heidenspaß.
Der hält sich, was die Verfilmung durch den jungen Engländer Danny Cannon anbelangt, in gewissen Grenzen, nicht nur weil Judge Dredd völlig regelwidrig bald seinen blankpolierten Helm abnimmt und darunter das Gesicht von Sylvester Stallone zum Vorschein kommt. Die Story, die aus mehreren Comic-Vorlagen zusammengesetzt wurde, ist so lange bearbeitet worden, bis sie einigermaßen politisch korrekt und fast schon geschmackvoll daherkam. Es geht nämlich darum, dass Judge Dredd „vermenschlicht“ wird, und das macht man seit ungefähr dreißig Jahren mit drei Story-Tricks: Der Held erhält eine „Vergangenheit“, die erklärt, warum er so geworden ist, wie er ist; er bekommt ein love interest, das seine verschütteten Emotionen zum Vorschein bringt; und er macht einen Selbstfindungsprozess durch.

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Freilich geht der Diskurs zwischen Fascho-Pop und satirischer Subversion auch im Umfeld des Neunzig-Millionen-Dollar-Films weiter. Während der Regisseur Danny Cannon in seinen Äußerungen eher auf das ästhetische Spiel mit der Vorlage eingeht, sondert Stallone in seinen Interviews den üblichen rechtspopulistischen Nonsense ab. Die Utopie des Mainstreams besteht offensichtlich gerade darin, das Widersprüchliche und Chaotische der subkulturellen oder trash-kulturellen Produktion in eine mehrfache Lesbarkeit zu verwandeln, in der jede Lesart für sich vollständig eindeutig erscheinen will. „Judge Dredd“ ist nicht, wie vielleicht noch das klassische Hollywood-Kino, „unpolitisch“ (oder besser: vorpolitisch); es ist ein Film, der politische Phantasien ebenso beliebig abrufbar macht und verstärkt und zu einem scheinbaren Konsens in der Mainstream-Kultur vereint, wie er ästhetische Impulse beliebig montiert. Von „Metropolis“ zum Western, „Blade Runner“ ohne Regen, „Dune“ ohne Lynch – „,Star Wars’ meets ,Ben Hur’“, wie der Regisseur das nennt.
„Judge Dredd“ ist das Dokument einer Mythenbastelei, die unter den Händen der Bastler schon wieder zerfällt. Weder konnten sich die Schauspieler auf einen einheitlichen Darstellungsstil einigen – Armand Assante gibt den Mega-Al-Pacino, Max von Sydow möchte uns etwas vorleiden, und Joan Chen ist schon wieder im falschen Film -, noch macht die Dekoration aus ihren vielen Zutaten eine neue Einheit. Die Mehrfach-Codierung der Mainstream-Produktion birgt auch die Gefahr, dass sich niemand so richtig bedient fühlt. Die guten Menschen sind immer noch empört. Und die schlechten langweilen sich.
Diese Kritik erschien zuerst in: Die Zeit 35/1995
Judge Dredd
USA – 1995
Regie: Danny Cannon – Produktionsfirma: Edward R. Pressman Prod./Cinergi – Produktion: Charles Lippincott, Beau E.L. Marks – Buch: Steven E. de Souza, William Wisher – Kamera: Adrian Biddle – Musik: Alan Silvestri – Schnitt: Alex Mackie, Harry Keramidas – Darsteller: Sylvester Stallone, Armand Assante, Diane Lane, Rob Schneider, Max von Sydow, Jürgen Prochnow – 96 min. – Scope – Verleih: Tobis, Constantin (VCL) (Video) – Erstaufführung: 24.8.1995/21.2.1996 Video
Georg Seeßlen, geboren 1948, Publizist. Texte über Film, Kultur und Politik für Die Zeit, Der Freitag, Der Spiegel, taz, konkret, Jungle World, epd Film u.v.a. Zahlreiche Bücher zum Film und zur populären Kultur, u. a.: Martin Scorsese; Quentin Tarantino gegen die Nazis. Alles über INGLOURIOUS BASTERDS; Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität (zusammen mit Markus Metz); Tintin, und wie er die Welt sah. Fast alles über Tim, Struppi, Mühlenhof & den Rest des Universums; Sex-Fantasien in der Hightech-Welt (3 Bände) und Das zweite Leben des ›Dritten Reichs‹. (Post)nazismus und populäre Kultur (3 Bände). Kürzlich erschien im Bertz+Fischer Verlag Liebe und Sex im 21. Jahrhundert. Streifzüge durch die populäre Kultur.