„Alles ist provisorisch, alles ist unsicher“

„Von Unten“ lautet der Titel des jüngst erschienenen, autobiographischen Graphic-Novel-Debüts der polnischen, in Schweden lebenden Comickünstlerin Daria Bogdanska, das sich mit der Ausbeutung von MigrantInnen im Niedriglohnsektor, der Parallelwelt von SchwarzarbeiterInnen, Gewerkschaftsengagement, aber auch Punk, Parties und dem Lebensgefühl und Politikverständnis der Millennial-Generation beschäftigt. Wir präsentieren das Presse-Interview mit freundlicher Genehmigung des Avant-Verlags.

Liebe Daria, du hast dich für dein Debüt „Von Unten“ für einen rein autobiografischen Ansatz entschieden. War dir von vornherein klar, dass du diesen Ansatz nimmst, oder stand auch eine fiktionale Geschichte zur Auswahl?
Fiktion ist tatsächlich nicht so mein Ding. Dazu fehlt es mir schlicht an Vorstellungskraft … Aber ich habe mein Leben, das die Geschichten für mich schreibt. Wie in diesem Fall: Ich habe nie „geplant“, einen autobiografischen Comic über genau diese Themen zu schreiben, geschweige denn ein ganzes Buch darüber. Es waren die in „Von Unten“ beschriebenen Ereignisse, die mich dazu motivierten, über sie zu erzählen.

Kannst du uns mehr über deinen Arbeitsprozess erzählen?
Mit den ersten Vorzeichnungen begann ich schon während der Monate, über die ich in „Von Unten“ erzähle. Das Buch fertigzustellen, dauerte dann drei Jahre. Über den eigentlichen kreativen Prozess habe ich nicht viel Schlaues zu vermelden, da ich ihn selbst noch nicht gemeistert habe. Ich bin immer noch überrascht, dass ich es geschafft habe, das Buch überhaupt fertig zu bekommen. Es war nicht leicht. Ich musste sieben Tage die Woche arbeiten. Vier Tage an dem Buch und am Wochenende für andere Jobs. Ich bin auch niemand, der Spaß an solchen Langzeitprojekten hat. Ich kann mich schlecht über Stunden konzentrieren, komme selten in einen Work-Flow. Das einzige, was mich in den drei Jahren bei der Stange hielt, war meine Motivation, die Geschichte zu erzählen, nicht meine Liebe zum Zeichnen…

Daria Bogdanska (Autorin und Zeichnerin): „Von Unten“.
Avant-Verlag, Berlin 2019. 200 Seiten. 22 Euro

Du erzählst die Geschichte auf einer sehr persönlichen Ebene, dennoch fühlt es sich an, als würdest du für deine gesamte Generation sprechen. Was, denkst du, ist es, das die Lebensgeschichten von deinen AltersgenossInnen prägt?
Danke, das war tatsächlich auch meine Intention. Klar geht es in „Von Unten“ um Migrationserfahrungen, aber ich wollte eben auch von Menschen in meinem Alter erzählen. Wir ziehen oft um, suchen uns neue Freunde, haben Scheißjobs, die wir ständig wechseln. Und dann das Ganze wieder von vorne. Die Welt um uns herum ändert sich so schnell, und wir scheinen keine Kontrolle über unsere Leben zu haben. Alles ist provisorisch, alles ist unsicher. Wir müssen uns immer sagen lassen, unsere Generation sei „verwöhnt“. Aber wir sind Produkt und Opfer von dem System, in dem wir leben: vom Kapitalismus. Was Konsum anbelangt, mag meine Generation die meiner Eltern und Großeltern überholt haben, aber wir sind auch die erste Generation, die es schlechter hat als vorherige, wenn es um ökonomische Stabilität und Wohnraum geht. Prekäre Arbeitsbedingungen und unsichere Immobilienmärkte … oder schon alleine die Tatsache, dass alles heutzutage ein Markt ist, bereitet uns Sorgen.

Was macht all das aus uns Menschen? Was könnte die Antwort auf diese Entfremdung sein?
Diese Fragen versuche ich in meinem Buch zu beantworten. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht die einzige bin, die versucht, darauf Antworten zu finden.

Panel aus „Von Unten“ (Avant-Verlag)

In deinem Buch beschreibst du deine Ankunft im schwedischen Malmö, deine erste Zeit als unter der Hand bezahlte Arbeitskraft, deine ersten Kontakte zu Gewerkschaften und deine persönliche Situation. Wie laufen die Dinge, seitdem das Buch erschienen ist?
Es läuft gut. Vor ein paar Jahren habe ich angefangen, an einer Schule zu arbeiten, an der ich Comicunterricht gebe. Ich denke, es ist eine Mischung aus meinen zwei größten Träumen im Leben, eine Comiczeichnerin zu sein und eine Lehrerin. Ich mache hier und da freie Auftragsarbeiten. Und ich erzähle überall herum, dass ich an einem neuen Buch arbeite, was ein bisschen geflunkert ist…

Ich habe viel Zeit damit verbracht, mit der Gewerkschaft zu arbeiten, in der ich aktiv bin. Ich habe als Vermittlerin begonnen, aber mittlerweile bin ich mehr als Organisatorin tätig. Das frisst zurzeit meine gesamte Freizeit, aber ich liebe es. Ich arbeite hauptsächlich mit GastarbeiterInnen. Ich will Menschen helfen, die in der gleichen Situation sind, wie ich es einst war. Ich will ihnen helfen, sich zu organisieren und dass sie Gerechtigkeit, Lohn und Rechte bekommen, die sie verdienen.

Die Comicszene hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Besonders die schwedischen Kunsthochschulen und die ZeichnerInnen, die dort studieren, scheinen einen sehr persönlichen und dennoch politischen Stil hervorzubringen. Kannst du uns mehr über diese Szene erzählen, die Motive und warum Comics deine „Waffe der Wahl“ sind?
Ja, die schwedische Comicszene ist definitiv sehr entwickelt, besonders wenn es um das Bewusstsein von Klassengesellschaft und Feminismus geht. Es gibt eine große Präsenz von Frauen. Ich würde sogar behaupten, dass 90 Prozent meiner KollegInnen, oder Comic-SchreiberInnen, mit denen ich in Kontakt bin, Frauen sind. Das hat natürlich viel mit den Universitäten zu tun und einer ziemlich starken feministischen Bewegung in unserem Land. Hochschulen eignen sich sehr gut zum Networken, das macht es einfacher für Frauen, sich gegenseitig zu unterstützen. Heutzutage wird es nicht einmal mehr als ein neues Phänomen betrachtet. Wir können definitiv von einer fünften, sechsten oder siebten Generation von weiblichen Comiczeichnerinnen sprechen, die jedes Jahr etwas veröffentlichen.

Seite aus „Von Unten“ (Avant-Verlag)

Zu dem Thema Comic als Medium meiner Wahl: Ich liebe Comics. Und besonders autobiografische Comics. Ich wuchs damit auf, Underground-Comic-Zines zu lesen, die Geschichten aus dem beschissenen Loser-Leben von Großstadtmenschen in ihren 20ern erzählten. Damit konnte ich mich identifizieren. Ich träume aber auch davon, eines Tages einen richtigen Roman zu schreiben, aber dafür fehlt mir leider das nötige literarische Know-how. Comic als Medium macht es einem Menschen wie mir möglich, meine Geschichte dennoch zu erzählen. Ein anderes Beispiel ist meine Sprache: Ich habe „Von Unten“ teils auf Englisch, teils in Schwedisch verfasst. Im echten Leben bin ich ebenfalls etwas verloren in Übersetzungen, da ich meine Muttersprache nicht sehr oft verwende. Wenn ich eine Geschichte oder ein kurzes Comic auf Schwedisch schreibe, kann ich dort Bilder benutzen, wo mir die Worte fehlen.

Der Kampf für eine gerechte und gleiche Bezahlung ist eine Konstante in europäischen und nichteuropäischen Ländern, selbst in Zeiten des Wohlstands. Welche Chancen siehst du in den Arbeitervereinigungen? Und wie könnten mehr Menschen mit einbezogen werden? Es scheint, dass in Deutschland immer weniger junge Menschen Gewerkschaften als eine Möglichkeit für ihren politischen Aktivismus sehen.
Ja, das bereitet mir zurzeit am meisten Kopfschmerzen. Die einzige Chance, unser Leben in dieser unsicheren Welt zu verbessern, ist es, uns zu organisieren. Aber wie kann man die jungen Leute für diese Idee gewinnen? Das ist etwas, was sich mir selbst auch nicht nicht ganz erschließt. Ich selbst war auch nie eine Super-Aktivistin und hatte bis vor ein paar Jahren noch keine Ahnung von Gewerkschaften. Ich versuche diese Perspektive zu nutzen, um Wege zu finden, mit jungen Leuten ins Gespräch zu kommen, und über Gewerkschaften so zu reden, wie es für mich selbst vor ein paar Jahren reizvoll geklungen hätte.

Dass Gewerkschaften überall an Ansehen und Stellenwert verlieren, ist kein Problem, was nur diesen Bereich betrifft. Auf der ganzen Welt können wir beobachten, wie sich immer mehr Menschen von politischen Organisationen abwenden. Es interessiert sie nicht, weil sie wissen, dass es immer wieder der gleiche Müll ist. Deshalb denke ich, dass die Gewerkschaften aufhören sollten, so zu tun, als ob alles gut wäre, und stattdessen einen offensiveren und radikaleren Weg einschlagen. Die großen Firmenchefs beherrschen heute alles. Das ist in keinster Weise demokratisch. Wir müssen es ändern. Eine andere Sache, die meiner Meinung nach die Gewerkschaften nicht verstehen, ist es, MigrantInnen zu organisieren. Es ist hart, da MigrantInnen meist viel riskieren, wenn sie sich organisieren. Aber genau deshalb ist es notwendig, eine Bewegung aufzubauen und Wege der Organisation zu finden, die es MigrantInnen möglich machen, die sich immer weiter ausbreitende Ausbeutung zu stoppen.

Seite aus „Von Unten“ (Avant-Verlag)