Das hätte schon etwas werden können: Die Comic-Serie „The Crow“ von James O’Barr zeichnet sich durch ein wahrhaft düsteres Gemenge von Gothic Horror, Superhelden-Tradition und Rock-Feeling aus. Sie bricht ein paar der Genre-Klischees auf, lässt aber seine Grundstruktur bestehen. Die Originalstory bringt die alten Rachemotive mit ein paar visuellen Bizarrerien zusammen: Der Gitarrist Eric Draven und seine Verlobte werden von einer im Auftrag des sadistischen Drogengangsters Top Dollar stehenden Gang ermordet. Ein Jahr später, in der Nacht vor Halloween, kommt Eric aus dem Grab zurück, begleitet von einem Raben, der ihm Späher und Hilfe ist. Seine Kraft ist ins Unermeßliche gewachsen, Kugeln können ihm nichts anhaben – einen Toten kann man nicht ermorden. „The Crow“ gibt sich ein düsteres Outfit, das Gesicht ist geschminkt zwischen Clown und Todesmaske. Sein freudloses Lachen ängstigt seine Gegner, auf die er von den Dächern der verrotteten Stadt herabstößt. Und in der Nacht klingt seine Gitarre über die Straßen, in denen sich nichts Gutes tut. Einer nach dem anderen werden seine Mörder und schließlich der Boss hinter dem Terror von ihm zur Strecke gebracht. Aber nicht so sehr diese Geschichte ist wichtig als vielmehr die Charakterisierung eines Helden, der nicht von Heroismus und Sendungsbewusstsein getragen wird, sondern von sehr menschlichen Gefühlen wie Angst und Verzweiflung, und der weder für sich noch für die Menschen der Stadt wirklich Hoffnung finden kann. Er wandert an der Grenze zwischen Traum und Tag, zwischen Leben und Tod, und wenn früher die Superhelden durch allerlei geheimnisvolle Essenzen oder Gesteine bezwungen werden konnten, so „The Crow“ durch seine Fähigkeit, sich zu erinnern und mit anderen zu leiden. Seine Gewalttätigkeit steht in unauflösbarem Widerspruch zu einer mehr oder weniger zarten Seele; er rezitiert Gedichte und spricht auch in eher sonderbaren Situationen von der großen Liebe, die sein Leben bestimmt hat. „The Crow“ ist, unter anderem, ein kaputtes und krankes Gespenst der untergegangenen Hippie-Kultur.

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Der Film überträgt die Schwarzweiß-Welt des Comics in eine dunkle, morbide Modell-Stadt, in der die Dämonen von Notre-Dame und Renaissance-Phantasien mit Reklametafeln korrespondieren, die nichts anderes mehr versprechen als das, worin sich die Menschen hier bewegen: „Trash“. Und es regnet dauernd wie in den Gangsterfilmen der vierziger Jahre.
Im Comic ist Eric nach dem Vorbild verschiedener Pop-Helden gezeichnet; im wesentlichen ist er eine Mischung aus Peter Murphy von der Gruppe Bauhaus und Iggy Pop. Die Wahl von Brandon Lee betont zwar das Athletische in der Erscheinung des Helden, aber der Schauspieler erwies sich als durchaus mit dem Charisma eines jugendlichen Rebel Hero begabt. Er macht diese Mischung aus Zorn und Verletzlichkeit, The Doors und Edgar Allan Poe, Albtraum und Poesie durchaus glaubhaft und übersteht auch jene Stellen des Drehbuchs, wo Sentimentalität und Überdeutlichkeit in unfreiwillige Komik umzukippen drohen.

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Brandon Lee ist bei den Dreharbeiten durch eine furchtbare Schlamperei der technischen Crew ums Leben gekommen. Die Szenen mit ihm waren zwar größtenteils abgedreht, dennoch musste mit dem Material danach ein wenig gearbeitet werden, was hier und dort zu bemerken ist. Aber mehr noch verändert das Bewusstsein von seinem Tod den Blick: Die Todesbilder des Films erhalten eine andere Bedeutung. Seltsame Wehmut durchspukt ein B-Movie, das unter anderem davon handelt, dass die Helden nur noch schlimme Träume der Toten sind.
Diese Kritik ist zuerst erschienen in: epd film 07/1994
Die Krähe (The Crow)
USA 1994.
R: Alex Proyas. B: David J. Schow, John Shirley. P: Edward R. Pressman, Jeff Post, Robert L. Rosen. K: Dariusz Wolski. Sch: Dov Hoenig, Scott Smith. M: Graeme Revell. T: Buddy Alper. A: Alex McDowell, Simon Murton. Ko: Arianne Phillips. Pg: Miramax/Dimension FiIms/Entertainment Media Investment. V: Buena Vista. L: 100 Min. St: 14.7.1994. D: Brandon Lee (Eric Draven), Ernie Hudson (Albrecht), Michael Wincott (Top Dollar), David Patrick Kelly (T-Bird) Angel David (Skank), Rochelle Davis (Sarah), Bai Ling (Myca), Lawrence Mason (Tin Tin).
Georg Seeßlen, geboren 1948, Publizist. Texte über Film, Kultur und Politik für Die Zeit, Der Freitag, Der Spiegel, taz, konkret, Jungle World, epd Film u.v.a. Zahlreiche Bücher zum Film und zur populären Kultur, u. a.: Martin Scorsese; Quentin Tarantino gegen die Nazis. Alles über INGLOURIOUS BASTERDS; Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität (zusammen mit Markus Metz); Tintin, und wie er die Welt sah. Fast alles über Tim, Struppi, Mühlenhof & den Rest des Universums; Sex-Fantasien in der Hightech-Welt (3 Bände) und Das zweite Leben des ›Dritten Reichs‹. (Post)nazismus und populäre Kultur (3 Bände). Kürzlich erschien im Bertz+Fischer Verlag Liebe und Sex im 21. Jahrhundert. Streifzüge durch die populäre Kultur.