Doch nicht so märchenhaft

Worldcon 75 in Helsinki 2017 (Foto © Markku Lappalainen)

Science-Fiction-Fans aus Saudi-Arabien wollen die Worldcon anno 2022 in die Küstenstadt Jeddah holen. In einem offenen Brief wehren sich rund 80 Autor*innen gegen dieses Vorhaben – sie sind der Meinung, das saudische Regime stehe gegen alles, wofür die Sciene Fiction eintritt.

Da gibt es ein malerisches Sternenzelt, darunter brodelt eine Art Plasma-Geysir, der mit etwas Fantasie als Palme durchgeht. Auch orientalische Lampen sind auf dem Online-Banner zu sehen, im Vordergrund der Kulisse duellieren sich zwei Lichtschwertkämpfer. Man merkt: Da hat sich jemand redlich Mühe gegeben, Science-Fiction-Themen mit persischer Märchen-Romantik zu verknüpfen.

Das Banner wirbt dafür, die Worldcon 2022 nach Saudi Arabien zu bringen, nach Jeddah, um genau zu sein – in die zweitgrößte Stadt des Wüstenstaates also. Die Worldcon findet jährlich in ganz unterschiedlichen Ländern statt, sie gilt als eine der wichtigsten Science-Fiction-Convention weltweit. Abgestimmt über den Veranstaltungsort wird im Netz.

Für arabische Verhältnisse haben in Jeddah Nerdthemen zumindest ein wenig Tradition, beispielsweise fand 2017 die erste „Saudi Comic Con“ in der Küstenstadt statt. Nicht zuletzt klingt „Jeddah“ so schön nach „Jedi“ und so labelt das saudi-arabische Orga-Team, das sich um die Teilnahme bewirbt, die Veranstaltung augenzwinkernd als „Jeddicon“, weist zudem darauf hin, wie weltoffen Jeddah sei.

Saudi Arabien sei das Tor zur arabischen und islamischen Kultur, so heißt es in der Selbstbeschreibung, alte Science-Fiction-Traditionen wie „1001 Nacht“ seien hier entstanden. Auf Nachfrage von Comic.de ergänzt Orga-Chef Yasser Bahjatt, Jahrgang „als der erste Star-Wars-Film rauskam“, warum die Worldcon seiner Meinung nach in Saudi Arabien stattfinden sollte: Er will nicht nur den Besuchern aus aller Welt die eigene Kultur „aus erster Hand“ näherbringen, er will auch die arabischen Kreativen und Fans stärker mit der weltweiten Szene verknüpfen.

Nun ließe sich in Ruhe das Ergebnis der Online-Abstimmung um die Worldcon 2022 abwarten. Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn Saudi-Arabien ist als Veranstaltungsort hoch umstritten.

Eine Gruppe von 80 Autorinnen und Autoren um die englische Schriftstellerin Anna Smith Spark (u. a. „Das Reich der zerbrochenen Klingen“, deutsche Übersetzung von Knaur) hat sich nun in einem offenen Brief zu Wort gemeldet, um gegen eine mögliche saudische Worldcon zu protestieren.

Die Grundrichtung des Schreibens ist, dass das saudische Regime im Widerspruch zu allem steht, wofür Science Fiction eintritt („The Saudi regime ist antithetical to everything SFF stands for“). Spark und ihre rund 80 Mitunterzeichner*innen zählen dafür eine gewichtige Reihe von Argumenten auf. Sie sprechen über fehlende Grundrechte, über die Unterdrückung von Minderheiten und Kulturschaffenden, gehen auf den Krieg im Jemen ein, den Saudi-Arabien führt und der bereits Hundertausende Menschenleben gekostet hat. Sie führen außerdem den Mord an dem systemkritischen Journalisten Jamal Khashoggi an. Allein dieser Vorfall reiche aus, um das Konzept einer literarischen Convention in dem Land ad absurdum zu führen, sagen sie.

Eine Worldcon in Saudi Arabien – das würde demnach eine Weltoffenheit suggerieren, die das Regime nicht besitzt. Es wäre ein allzu günstiger Imagegewinn für ein Land, in dem Kunst, Literatur und Journalismus gefährlich für die Schaffenden werden können, vor allem, wenn sie politisch und gesellschaftskritisch sind.

Aus Sicht der Science-Fiction-Literatur-Szene gibt es zudem noch ein sehr spezielles Momentum, das gegen Jeddah spricht, und das Spark ebenfalls hervorhebt: Die Jeddicon wäre alles andere als inklusiv. Lesbische, schwule, transsexuelle und generell queere Menschen werden in Saudi-Arabien nicht nur diskriminiert, sondern kriminalisiert und müssen um Leib und Leben fürchten. Frauen werden unterdrückt, Science-Fiction-Fans jüdischer Herkunft dürfte es ebenfalls nicht nach Saudi Arabien ziehen. Und so fort. Spark drückte es in einem Twitter-Post wie folgt aus:

„If you’re a woman, queer, trans, black, Jewish, Shi’a… you do not want to travel to Saudi, basically. You’d be excluded from attending this con.“

Die Worldcon 2022 in Jeddah wäre – weiter gedacht – im Kern eine Con, die vorrangig gemacht ist für weiße und arabischsstämmige Kerle. Die Diskussion um die saudische Worldcon-Bewerbung läuft unter anderem auf Twitter, mittlerweile berichten auch einige große, vorrangig englischsprachige Medien, allen voran der „Guardian“. Man mag Yasser Bahjatt und seinem Team gern glauben, dass sie von der Wucht und Grundsätzlichkeit der Diskussion überrumpelt wurden. Auf unsere Nachfrage sagen sie, „überrascht und schockiert“ gewesen zu sein, als sie von dem offenen Brief erfuhren. Man müsse ja nicht für Jeddah stimmen, aber ihnen das Recht abzusprechen, sich überhaupt zu bewerben, das findet Bahjatt „scheinheilig“, zumal für eine Gemeinschaft und Szene, die sich als intergrativ ansehe.

Hier liegt dann auch eine gewisse Tragik. Yasser Bahjatt und sein Team bewerben sich zwar um die Worldcon und wollen hier organisatorisch tätig werden, sie sind aber wohl nicht gleichbedeutend mit dem saudischen Staat (der Vollständigkeit halber sei gesagt: ob und wie sehr der Staat wirklich bei dieser Bewerbung involviert ist, blieb während der Recherche unklar).

Bahjett und eine Mitstreiter*innen, die sich auf ihrer Bewerbungsseite Star-Wars-Pseudonyme (von Yoda über Kenobi zu Rey) verliehen haben, präsentieren sich als Fans, als Vollblutnerds, die einfach die Worldcon im eigenen Lande haben wollen und daran nur Gutes entdecken können. Als Menschen, die selbst für die Szene und für kulturellen Austausch eintreten. „Wir sind alle enthusiastische Science-Fiction-Fans, teilweise mit professionellem Hintergrund“, sagt Bahjatt, der selbst schreibt und in den USA geboren wurde. Seit Jahren arbeite er mit Partnern daran, die Sciene-Fiction-Szene in Arabien zu fördern, die im Vergleich noch klein sei, aber dynamisch und schnell wachsend.

Am Freitag wird bekanntgegeben für welchen Veranstaltungsort abgestimmt wurde. Das Ergebnis wird im Rahmen der diesjährigen 78. Worldcon verkündet, die in der Theorie in Wellington in Neuseeland stattfinden sollte, die in der Praxis wegen der Corona-Pandemie aber eine Online-Convention ist. Neben Jeddah steht noch Chicago zur Auswahl und es gilt als wahrscheinlich, dass bei aller Debatte um Saudi-Arabien ohnehin die USA den Zuschlag für 2022 erhalten. Was übrigens auch nicht vollständig inklusiv wäre – nach Trumpland gelten Einreisebeschränkungen für Menschen aus verschiedenen, vor allem arabischen Staaten. Und übrigens: Spannend könnte auch die Diskussion im kommenden Jahr werden. Es bewirbt sich nämlich unter anderem Chengdu in China um die Ausrichtung der World Con 2023.

Dass ihnen das Spannungsfeld – Fans ungleich Staat, Szene ungleich Regime – bekannt ist, das zeigen Spark und Co. am Ende ihres offenen Briefes. Sie schreiben:

“We stand in solidarity with those who seek change in the country. And we write in protest but also in hope – that by raising awareness of the political situation in Saudi Arabia a WorldCon SA will one day be possible.”

Vielleicht also eine Worldcon Saudi Arabien in einigen Jahren? Bahjett bekräftigt, dass man sich mit Jeddah auch in der Zukunft wieder bewerben wolle, wenn es diesmal nichts werde. Er ergänzt, dass er und andere aus seinem Orgateam wahrscheinlich in zwei Jahren nach Chicago reisen wollen, falls die Worldcon dort stattfindet. Man ist eben in erster Linie Fan.

Mittlerweile ist das Ergebnis bekannt: Mit großer Mehrheit haben die Abstimmenden entschieden, dass die Worldcon 2022 in Chicago stattfinden wird und nicht in Jeddah.

Peter Michael Meuer, Jahrgang 1981, arbeitet als Journalist und Tageszeitungsredakteur im Stuttgarter Raum und war auch schon als Redakteur und Comic-Autor für den Blue-Ocean-Verlag tätig. Ehrenamtlich ist er bei der Phantastischen Akademie mit dabei, die jährlich auf der Leipziger Buchmesse den Literaturpreis Seraph verleiht.