Comic-Bestenliste – Drittes Quartal 2020

30 Kritikerinnen und Kritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die in Presse, Rundfunk und Internet regelmäßig Comics, Mangas und Graphic Novels besprechen, stellen alle drei Monate eine gemeinsame Bestenliste zusammen.

Die Comic-Bestenliste – präsentiert von buchreport, Comic.de, rbbKultur Radio und Tagesspiegel – orientiert sich in ihrem Erstellungsverfahren an der renommierten „SWR Bestenliste“ für Literatur.

Die Jurorinnen und Juroren, die am Ende der Seite aufgelistet sind, konnten bis zu vier Comic-Novitäten benennen, denen sie möglichst viele Leser und Leserinnen wünschen, und vergaben je einmal 15, 10, 6 sowie 3 Punkte. Hier folgen jetzt die zehn Bestplatzierten für die zurückliegenden Monate …


Platz 1 (mit 64 Punkten)

James Sturm:

AUSNAHMEZUSTAND (Reprodukt)

Klappenbroschur, 216 Seiten, farbig, € 24,00, ISBN: 978-3-95640-231-9 • Übersetzung aus dem Englischen: Sven Scheer • Leseprobe

Andrea Heinze in rbb Kultur: „Die amerikanische Gesellschaft lebt permanent im Ausnahmezustand – das macht der Comic von James Sturm auf jeder Seite deutlich: Immer wieder ist die Existenz bedroht, das Privatleben leidet und dann muss auch noch die Fassade eines gelungenen Lebens gewahrt werden. Unter diesen Umständen ist es kaum möglich, politisch aktiv zu sein. „Wenn du nicht für Hillary stimmst, stimmst du für Trump!“, schimpft Marks Tochter Suzie einmal von der Rückbank. Mark wird nicht einmal mehr die Kraft zum Wählen haben – so wie viele Amerikaner. Das war, als es noch keine Corona-Pandemie gab. Wenn im November wieder die Wahlen anstehen, ist noch mehr Ausnahmezustand.“


Platz 2 (mit 43 Punkten)

Nicolas Mahler:

ULYSSES (Suhrkamp)

Klappenbroschur, 287 Seiten, farbig, € 24,00, ISBN: 978-3-518-47006-0 • Leseprobe

Gerrit Bartels in Der Tagesspiegel: „Mahlers Joyce-Adaption liest sich hier wie eine Hommage an das Kleinanzeigengeschäft, dem die Digitalisierung schon lange den Garaus gemacht hat. Sie ist aber genauso eine Hommage an die große Zeit des amerikanischen Zeitungscomics der 20er Jahre. Bei Mahler treten als Nebenfiguren, so vermerkt es der Zeichner im Abspann, diverse Comichelden jener Zeit auf, zum Beispiel Krazy Kat oder Olive Oyl. Das sind natürlich gerade im letzteren Fall primär Feinheiten für Fachleute und Auskennerinnen, Zitat-Pop, wenn man so will. Das geht aber schwer in Ordnung, so unbeirrt wie Mahler seinen eigenen Joyce-Bloom-Weg geht.“


Platz 3 (mit 41 Punkten)

Zelba:

IM SELBEN BOOT (Schreiber & Leser)

Hardcover, 160 Seiten, farbig, € 22,80, ISBN: 978-3-96582-037-1 • Leseprobe

Birte Förster in Der Tagesspiegel: „In ihrer autobiografischen Graphic Novel rekapituliert Comiczeichnerin Zelba, eigentlich Wiebke Petersen, ihre frühe Karriere als professionelle Ruderin und ihre Teilnahme an den Junior-Weltmeisterschaften im Sommer 1991. Heute ist sie 47 und lebt seit vielen Jahren in Frankreich, dort ist sie als Comiczeichnerin und Illustratorin für Kinder- und Jugendbücher bekannt. „Im selben Boot“ ist ihre erste Veröffentlichung in deutscher Sprache. (…) Das Besondere an dem Comic ist, dass Zelba darin eine Entwicklungsgeschichte mit einem tiefen Einblick in die Welt des Rudersports verknüpft und auch dem zeitgeschichtlichen Hintergrund einen gebührenden Platz einräumt.“


Platz 4 (mit 35 Punkten)

Christopher Tauber (Szenario), Hanna Wenzel (Zeichnungen):

ROCKY BEACH (Kosmos)

Hardcover, 200 Seiten, s/w, € 25,00, ISBN: 978-3-440-16562-1  • Leseprobe

Gregor Schmalried in Bayern 2: „‚Rocky Beach – Eine Interpretation‘ ist eine Geschichte über eine Reise zurück in die Kindheit. Zurück an einen Ort, den man immer idealisiert im Kopf hatte… und jetzt auf einmal stellt man fest, wie dreckig und kaputt dieser Ort eigentlich wirklich ist. Wir leben in einer Zeit, in der wir immer öfter auf die Bücher und Filme unserer Kindheit zurückschauen und sie in einem neuen Licht sehen, Dinge entdecken, die wir heute als nicht-mehr-okay verurteilen würden. Aber: Das macht diese Geschichten nicht wertlos. ‚Rocky Beach – Eine Interpretation‘ zeigt: Es ist in Ordnung, in die Vergangenheit zu schauen und zu erkennen, dass sie nicht perfekt war.“


Platz 5 (mit 33 Punkten)

Paulina Stulin:

BEI MIR ZUHAUSE (Jaja Verlag)

Hardcover, 612 Seiten, farbig, € 35,00, ISBN: 978-3-948904-00-5 • Leseprobe

Andreas Platthaus im FAZ-Comicblog: „Der faszinierendste Aspekt von ‚Bei mir zuhause‘ ist jedoch das Können, mit dem Paulina Stulin auf wenigen Seiten komplexe Personen zu erschaffen versteht. Ein junger Muslim mit radikalen Ansichten oder ein bindungsunwilliger Liebhaber werden genauso plastisch wie die Figur, die sechshundert Seiten lang im Mittelpunkt steht. Das spricht nicht gegen den Umfang dieses Buchs, sondern für die psychologische Erkenntniskraft seiner Autorin, die die Erzählweisen des Epos genauso beherrscht wie die der Episode.“


Platz 6 (mit 31 Punkten)

Kenta Shinohara:

ASTRA LOST IN SPACE (Egmont Manga)

Klappbroschur, 208 Seiten, s/w, € 7,50 ISBN: 978-3-03731-197-4 • Übersetzung aus dem Japanischen: Gandalf Bartholomäus • Leseprobe

Klappentext: Auf ihrem Trip zu einem interplanetaren Ferienlager im Jahr 2061 wird eine Gruppe Schüler Opfer eines unerklärlichen Zwischenfalls: Eine mysteriöse Kugel aus Licht teleportiert sie in die Tiefen des Weltalls – 5012 Lichtjahre entfernt von Zuhause! Dort entdecken die Teenager ein verlassenes Raumschiff, mit dem sie sich auf den gefährlichen Weg zurück machen.


Platz 7 (mit 30 Punkten)

Alcante & Laurent-Frédéric Bollée (Szenario), Denis Rodier (Zeichnungen):

DIE BOMBE (Carlsen)

Hardcover, 472 Seiten, s/w, € 42,00, ISBN: 978-3-551-79360-7 • Übersetzung aus dem Französischen: Ulrich Pröfrock • Leseprobe

Ralph Trommer in Der Tagesspiegel: „Besser und ausgewogener als so manche filmische Adaption der Ereignisse, ist die Graphic Novel ‚Die Bombe‘ sowohl ein herausragendes Beispiel für packende, intelligente Erzählkunst wie auch für die differenzierte Darstellung komplexer Ereignisketten. Nach wenigen Seiten wird der Leser gefangengenommen und folgt einer atemberaubenden wie historisch erhellenden Erzählung in virtuos gezeichneten Bildern – ein fulminanter Beleg, was die Kunstform Comic heute leisten kann.“


Platz 8 (mit 27 Punkten)

Zep:

THE END (Schreiber & Leser)

Klappenbroschur, 96 Seiten, farbig, € 19,80, ISBN: 978-3-96582-026-5 • Übersetzung aus dem Französischen: Claudia Sandberg • Leseprobe

Christoph Haas in der taz: „Dass man bei der Lektüre von ‚The End‘ an Peter Wohllebens ‚Das geheime Leben der Bäume‘ denken muss, scheint unausweichlich. Ein Zitat aus diesem aktuell auch verfilmten Bestseller von 2015 beschließt den Comic und hat ihm eindeutig als Inspirationsquelle gedient. Und von Wohllebens gefühlig-anthro­pomorphisierendem nature writing zum dystopischen Öko-Thriller ist es auch nur ein kleiner Schritt. Überraschend ist jedoch, dass ‚The End‘ von dem Schweizer Zeichner Zep – bürgerlich Philippe Chappuis – stammt. Im französischen Sprachraum ist er mit seiner Humor-Serie ‚Titeuf‘, in deren Mittelpunkt ein frecher kleiner Junge steht, seit den Neunzigern überaus beliebt. In den letzten Jahren hat er mehrfach versucht auch im Bereich der realistischen Comics zu reüssieren.“


Platz 9 (mit 25 Punkten)

Uli Oesterle:

VATERMILCH (Carlsen)

Hardcover, 128 Seiten, zweifarbig, € 20,00, ISBN: 978-3-551-71158-8 • Leseprobe

Andrea Heinze in rbb Kultur: „Wir lernen den Vater als kleinen Markisenvertreter kennen, der gern den charmanten Schickeria-Typen gibt, Frauen abschleppt und sich mit Champagner und einem tollen Auto schmückt. Oesterle gelingt damit eine Charakterisierung der Schickeria der 70er Jahre mit all dem Disco-Glitter und Partygetümmel – die durch die Enge des kleinbürgerlichen Milieus gebrochen wird, aus dem der Vater kommt. (…) ‚Vatermilch‘ ist ein Comic für Menschen, die sich dafür interessieren, wie wir wurden, was wir sind. Und für Eltern, die im Umgang mit ihren eigenen Kindern merken, wie sehr sie von der Erfahrung mit den eigenen Eltern geprägt wurden.“


Platz 9 (mit 25 Punkten)

Xavier Dorison (Szenario), Félix Delep (Zeichnungen):

SCHLOSS DER TIERE (Splitter Verlag)

Hardcover, 72 Seiten, farbig, € 17,00 ISBN: 978-3-96219-185-6 • Übersetzung aus dem Französischen: Tanja Krämling • Leseprobe

Christian Endres in Die Zukunft: „Vor ‚Farm der Tiere‘ aus dem Jahr 1945 verbeugen sich nun die Comic-Macher Xavier Dorison und Félix Delep im ersten Band ihrer neuen Panel-Serie ‚Schloss der Tiere‘ bei Splitter, sicher einem der am schönsten gezeichneten Titel der sommerlichen Comic-Saison – und das von einem Newcomer wie Delep! (…) Man sieht den Animationsfilmklassiker quasi schon vor Augen, auch dank Dorisons eingängig liebenswerter und schurkischer anthropomorphisierter Figuren, die innerhalb der Comic-Fabel freilich klare, einfache und zeitlose Rollenmodelle erfüllen. (…) Es ist sozusagen tierisch verlockend, speziell heute, in dieser Gegenwart, in dieser Welt, an die Macht von Ideen, Kunst und Symbolen zu glauben – und daran, dass es durch Widerstand und Aufbegehren ohne Gewalt besser werden könnte.“


DIE MEDIENPARTNER

buchreport – Die meinungsbildende Fachzeitschrift für die Buchbranche
Comic.de – Das Magazin für Comic-Kultur im Internet
rbbKultur – Deine Ohren werden Augen machen
Der Tagesspiegel– Die größte Zeitung der Hauptstadt


DIE JURY

Barbara Buchholz (Comixene, Der Tagesspiegel, http://t1p.de/p02p)
Anne Delseit (Animania, https://t1p.de/ae4v)
Christian Endres (die zukunft, Geek!, http://t1p.de/ukpk)
Birte Förster (Titel Kulturmagazin, Der Tagesspiegel, http://t1p.de/qtej)
Gerhard Förster (Die Sprechblase, http://t1p.de/wv34)
Christian Gasser (Radio SRF 2, Neue Zürcher Zeitung, http://t1p.de/mlz5)
Meheddiz Gürle (Lektoratsdienste des ekz.bibliotheksservice, https://t1p.de/qsog)
Christoph Haas (Süddeutsche Zeitung, taz. die tageszeitung, http://t1p.de/fqdm)
Volker Hamann (Alfonz, Reddition, http://t1p.de/lr8o)
Gerd Heger (Saarländischer Rundfunk, http://t1p.de/6kz0)
Andrea Heinze (Deutschlandfunk, rbbKultur, https://t1p.de/lcg9)
Jule Hoffmann (Deutschlandfunk Kultur, http://t1p.de/htfj)
Alex Jakubowski (ARD-aktuell, Comic-Denkblase, https://t1p.de/34ug)
Martin Jurgeit (Buchreport, die neunte, http://t1p.de/mnzr)
Karin Krichmayr (Der Standard, http://t1p.de/yjp7)
Jörg Krismann (Comixene, http://t1p.de/axkj)
Gerrit Lungershausen (Comicgate, Comic.de, Closure, http://t1p.de/7xy3)
Mattes Penkert-Hennig (Dein Antiheld, http://t1p.de/5j86)
Andreas Platthaus (Frankfurter Allgemeine Zeitung, http://t1p.de/8f1s)
Claudia Reicherter (Südwest Presse, http://t1p.de/8v3n)
Martin Reiterer (Wiener Zeitung, http://t1p.de/71xu)
Volker Robrahn (Comic-Talk, http://t1p.de/m4q0)
Martin Schöne (3sat, http://t1p.de/qzyh)
Sabine Scholz (Animania, Der Tagesspiegel, http://t1p.de/g2ju)
Anna Mháire Stritter (Orkenspalter TV, https://t1p.de/lyts)
Lars von Törne (Der Tagesspiegel, http://t1p.de/zuip)
Ralph Trommer (taz.die tageszeitung, http://t1p.de/cagt)
Gesa Ufer (Deutschlandfunk Kultur, rbb radioeins, http://t1p.de/680j)
Hans Jürg Zinsli (Berner Zeitung, Tages-Anzeiger, http://t1p.de/kifj)