Die Maschinenstürmer stürmen wieder – „Androiden Band 7“

Die französische SF-Serie „Androïdes“ biegt auf die Zielgerade ein: Mit „Der letzte Engel“ von Jean-David Morvan (aka JD Morvan) und Elia Bonetti erscheint das siebte Album der auf acht Bände konzipierten Serie über Künstliche Intelligenz, Androiden und andere Maschinen.

Ein zunächst unbekannter Erzähler führt uns in die raue Science-Fiction Welt Morvans ein. Die Menschen haben weite Teile ihrer interplanetaren Nachbarschaft erfolgreich kolonisiert, was für die Menschen meist eine bessere Nachricht ist als für die eroberten Planeten. Der Planet Ari-Arian wird von den Insankatilern angegriffen, entfernt humanoiden Monstermännern mit starken Waffen, die nach und nach allen menschlichen Weltallsiedlern unfreundliche Besuche abstatten.

Kaum ist der lästige Besuch wieder verschwunden und hat die Gastgeber allesamt dahingerafft wie Fichten im Sturm, rollt ein androides Aufräumkommando heran, um zu putzen und die Daten von den installierten Festplatten der Opfer zu lesen. Diese „letzten Engel“, künstliche Menschen in Frauenkörpern und Riefenstahl-Ästhetik, scannen die Opfer, d. h. speichern deren Erinnerungen und Wahrnehmungen, um sie an die Zentrale weiterzugeben. Im Anschluss daran werden die letzten Engel wieder in den Werkszustand versetzt… sofern alles funktioniert. Denn jedes System hat seine Bugs, und so behält einer der letzten Engel seine Fremderinnerungen und bildet, im Gegensatz zu den anderen Maschinen, eine eigene Individualität aus.

Jean-David Morvan (Autor), Elia Bonetti (Zeichner): „Androiden Band 7: Der letzte Engel“.
Aus dem Französischen von Swantje Baumgart. Splitter Verlag, Bielefeld 2020. 56 Seiten. 16 Euro

Ganz und gar nicht im Sinne seiner Erfinder. Ein Hauch „Blade Runner“ weht durch diesen Comic, der letztlich doch einen anderen Reiz entfaltet, nicht zuletzt dank der Wendungen, die die Handlung voranbringen und zugleich weniger vorhersehbar machen. Die Erzählerstimme bleibt am Ende nicht nur Stimme, und dann wird es spannend.

„Maschinenstürmer“ nannte man im 19. Jahrhundert die gegen die Industrialisierung protestierenden Arbeiter*innen, die um ihre Arbeitsplätze fürchteten. Die technologischen Innovationen des 21. Jahrhunderts wecken weitaus weniger Widerstand: Das öffentliche Protestgebahren richtet sich vielmehr gegen die Abholzung von Wäldern, die Errichtung von Bahnhöfen oder das Tragen von Gesichtsmasken. Daten aber sind egal, solange der Messengerdienst ordentlich funktioniert.

Seit den vehementen Demonstrationen gegen die deutsche Volkszählung 1987 ist das Verhältnis der Deutschen gegenüber ihren Daten wesentlich laxer geworden: Die Vorteile mancher Apps überwiegen in der Wahrnehmung die Risiken. Interessanterweise werden die gesellschaftlichen Umwälzungen, die von Automatisierungsprozessen, der Massenverarbeitung von persönlichen Datensätzen oder der Delegierung von Verantwortung an die Algorithmen einiger Geschäftsunternehmen ausgehen, weiterhin in dystopischen Erzählungen in Film, Buch und Comic verhandelt.

Die französische Science-Fiction-Serie „Androïdes“ widmet sich diesem Thema in acht Bänden, die von unterschiedlichen Kreativteams umgesetzt werden. Éditions Soleil, der französische Verlag, hat bisher ein gutes Händchen bei der Auswahl bewiesen. Mit „Der letzte Engel“ von Jean-David Morvan (Szenario) und Elia Bonetti (Zeichnungen) liegt der bisher vielleicht beste Titel vor. Hier allerdings stürmen nicht die Menschen gegen die Maschinen, sondern die Maschinen sind die stürmenden Täter. Weil sie aber zugleich Opfer einer faschistischen Ideologie sind, gerät Morvan eine widerspruchsfreudige Erzählung über die Unfreiheit des Einzelnen wie auch der Gesellschaft, die in kapitalistischen Zwängen gefangen ist.

Es ist auch den wundervollen Zeichnungen von Elia Bonetti („Die Nacht der lebenden Toten“) zu verdanken, dass die Erzählung in prächtige Kleider gehüllt worden ist. Die faschistoide Haltung der handelnden Personen findet in der glatten und entindividualisierenden Roboterästhetik einen gelungenen Widerhall. Bonetti lässt sich bei aller Action auch Zeit zum Erzählen. Diese Welt, die Handlung und die Figuren wären es wert gewesen, auf breiterem Raum auserzählt zu werden. Dies ist der größte Vorwurf, den man Morvan und Bonetti machen kann.

Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.

Seite aus „Androiden Band 7“ (Splitter Verlag)