Unbekanntes, weites Land – „Stephen King. Das Leben und das Schreiben“

Stephen King in Mary Lamberts "Pet Sematary" (© Paramount)

Creative-Writing-Seminare sind Stephen King ein Gräuel. Die Kritik an schüchtern vorgezeigten Leistungen durch lächelnde Mitschüler und feierlich nickende Lehrer sei dort, so King, in der Regel „unkonstruktiv“ „geschwätzig“ und letztlich „hemmend“. Der zu beschwörende und durchaus lernwillige Geist des Schreibens traut sich also gar nicht erst raus aus seiner Flasche, meint King und empfiehlt dem angehenden Schriftsteller das Übliche: viel lesen und noch mehr schreiben, am besten hinter verschlossener Tür. King, Autor von 35 zumeist dicken Romanen, hat in „Das Leben und das Schreiben“ (engl. „On Writing“) erstmals sein gewohntes Terrain verlassen, um praxisfähige Klugheiten und instinktive Wahrheiten über das Schreiben und ein damit verwobenes Leben zwischen zwei silberne Buchdeckel zu packen. Sofern er nicht gegen die armen Kurse wettert, erweist er sich als ziemlich lustiger, unprätentiöser, überaus charmanter Zeitgenosse.

Das Buch besteht aus zwei Teilen. Der erste heißt schlicht „Lebenslauf“ und ein so persönlicher wie anekdotenverliebter King passiert darin, hübsch pointiert, signifikante Stationen seines Autorenlebens. Er selbst nennt seinen Werdegang einen „unzusammenhängenden Entwicklungsprozess, an dem Ehrgeiz, Wille, Glück und ein wenig Talent ihren Anteil hatten“. Dennoch sind Kings „Schnappschüsse“ derart, dass man bereits im Hosenscheißer Stevie den prädestinierten Schriftsteller zu erkennen glaubt.

Stephen King: „Das Leben und das Schreiben“.
Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Fischer. Heyne Verlag, München 2011. 384 Seiten. 10,99 Euro

Zunächst wird fleißig imitiert: „Den Comic ‚Combat Casey‘ pinnte ich Wort für Wort in meinen Blue-Horse-Block ab und fügte meine eigenen Schilderungen hinzu.“ Mama King war nicht zufrieden und forderte ihren Sprössling auf, nicht bloß abzuschreiben. Bald folgen, da ist der 1947 geborene King zarte sechs, erste eigene Geschichten über Zaubertiere, die in einem Auto herumfahren und kleinen Kindern helfen. Die Interessen verlagern sich. In den frühen 60ern kapriziert sich King auf Science-Fiction-Horror-Storys, macht eine Schülerzeitung und lernt als jugendlicher Reporter die hoh(l)e Kunst lokaler Sportberichterstattung. Bis der Verkauf der Taschenbuchrechte von „Carrie“ der vierköpfigen Familie King zu etwas Wohlstand verhilft, vergeht noch einige Zeit des Herumsaugens am Mantelsaum. Sympathischerweise beschreibt der Autor noch diese schweren Zeiten lakonisch und mit einer beinahe heiteren Leichtigkeit, dass einem ganz warm werden möchte ums Herz. Selbstmitleid und Sentimentalitäten liegen ihm nicht. Auch dann nicht, wenn er sich an allabendlich leer getrunkene Bierkästen oder Blutfontänen erinnert, die ihm eine Zeitlang immer wieder aus der Nase schossen. Trotz ihrer Knappheit sind Kings persönliche Suchteinsichten um vieles erhellender als das debile Gewäsch der meisten Drogenratgeber. Und „Shining“ oder „Misery“ erweisen sich so auch als Romangeschöpfe zweier Phasen extensiven Drogenkonsums, von denen King kaum mehr als ein paar trübe Bilder im Kopf behalten hat, was er sehr bedauert. Zu gern würde er sich an die Schaffensperioden erinnern können.

Im zweiten Teil erzählt King von jenen Aspekten, die Interessierte wissen sollten, damit aus ihnen (bessere) Autoren werden. Auch dem Leser zuliebe. Denn: „Ohne den treuen Leser sind wir nur quakende Stimmen im Nichts.“ Der Ton, in dem King seine Tipps verteilt, ist wunderbar frei von großkotziger Selbstgewissheit. King ist sich nie so ganz sicher. Das ist sehr angenehm. Auch sondert er keine Plattitüden ab. Er schreibt nur über das, worüber er aus Erfahrung zu berichten weiß. Sicher, was er über das kluge Vermeiden von Passiv-Konstruktionen oder über den bösen Fluch des Adverbs erzählt, ist nicht gerade neu. So wenig wie seine Lektionen über die Glaubwürdigkeit einer Geschichte oder das Zusammenspiel von Action, Darstellung, Dialog und Figuren. Aber bei ihm liest es sich einfach besser. Viele Lehrbeispiele stammen zudem aus den Romanen des Autors. Und es gibt mit Sicherheit Uninteressanteres als eine selbstkritische Führung des größten lebenden Gruselkochs durch die eigene Roman-Brutzel-Küche, in der übrigens erstaunlich wenig Kochbücher herumliegen: King ist kein Freund vorgestanzter Plots. Selten hat er mehr als eine grobe Idee der Action, kaum mehr als ein Bild der Situation im Kopf, aus der heraus sich der Roman entfalten soll. Der Rest ergibt sich spontan, aus der Bewegung des Schreibens selbst – unbekanntes, weites Land.

Diese Kritik erschien zuerst 2002 in: Intro

Michael Saager ist Publizist und Redakteur. Zahlreiche kulturjournalistische Texte u. a. in KONKRET, Jungle World, Taz, ND, Fluter, WOZ und Intro.