Süßes, sonst gibt’s Saures!

Süßes, sonst gibt‘s Saures! Der Satz wird dieses Jahr nicht so oft fallen, denn Halloween 2020 wird – wenn überhaupt – im sehr kleinen Rahmen stattfinden. Etwas kann dem Nachwuchs die Zeit dennoch versüßen: herrlich gruselige Kinder- und Jugendcomics.

 

Ferdinand Lutz (Autor und Zeichner): „Rosa und Louis Band 1: Geisterstunde“.
Reprodukt, Berlin 2017. 64 Seiten. 12,00 Euro. Empfohlen ab 6 Jahren. Band 2, „Geisterdetektive“ ist 2018 bei Reprodukt erschienen.

Geisterhafte Schlossbewohner

Mal ehrlich: Von einem Schloss oder einer Burg als Spielplatz hat doch jedes Kind einmal geschwärmt? Für die Geschwister Rosa und Louis geht dieser Traum in Erfüllung. Sie ziehen zu ihrer dementen Großmutter in deren Schloss, damit sich ihre Eltern besser um die hochbetagte Dame kümmern können. Schon beim Einzug merken sie, dass sie nicht die einzigen Gäste in dem alten Gemäuer sind: Sie teilen sich den Wohnraum mit gleich mehreren Geistern, die teilweise seit Jahrhunderten dort spuken. Allerdings können nur Kinder sie sehen!

Nach dem Außerirdischen „Q-R-T“ widmet sich der Comiczeichner und Cartoonist Ferdinand Lutz nun der Geisterwelt. Wie schon die Abenteuer von Q-R-T und seinem Hund Flummi erschienen die wenige Seiten umfassenden Geschichten zuerst bei „Dein SPIEGEL“, wurden aber für die Buchveröffentlichung noch einmal überarbeitet. Lutz zeigt erneut, dass er das richtige Gespür für die Freuden, Ängste und Nöte der Jüngsten hat. Denn bei all dem Spaß, den Rosa und Louis fortan haben, kommt auch die Dramatik nicht zu kurz. Wie ist es für ein kleines Mädchen, wenn sich die eigene Oma nicht mehr an sie erinnert? Oder wie erlangt man die Aufmerksamkeit der Eltern, wenn diese nur noch um sich selber kreisen? Was, wenn der Bruder schlafwandelt? In „Geisterstunde“ bietet Lutz eine humorvolle Sicht auf diese Probleme und nimmt sie dennoch ernst. Ein schöner Auftaktband zu hoffentlich noch mehr Geschichten über 800 Jahre alte Ritter, hübsche Prinzessinnen, einen kopflosen Zauberer – und natürlich Rosa und Louis.

 

Pénélope Bagieu (Autorin und Zeichnerin) Roald Dahl (Vorlage): „Hexen hexen“.
Aus dem Französischen von Silv Bannenberg. Reprodukt, Berlin 2020. 320 Seiten. 24,00 Euro. Empfohlen ab 9 Jahren.

Hexenhafter Kinderschreck

Es gibt Klassiker und Helden, die man nicht mehr vorstellen muss. Roald Dahls Kinderbuchhelden gehören zweifellos dazu. Ob Charlie, Matilda oder eben der namenlose Junge aus dem 1983 erstmals erschienen „Hexen hexen“, sie alle haben Generationen von jungen Leserinnen und Lesern geprägt.

Zu ihnen zählt auch die „Eisner“-Gewinnerin Pénélope Bagieu („Unerschrocken“, Reprodukt). Die Geschichte um Hexen, die Kinder hassen und auslöschen möchten, und von ebendiesen besiegt werden, zählt zu ihren liebsten Kindheitserinnerungen. Und so hat die Französin ihrer Adaption ihren ganz eigenen Strich verliehen und sich tief vor der Vorlage verneigt. In ihrer Version bekommt der Junge ein – wie könnte es auch anders sein? – unerschrockenes Mädchen an die Seite gestellt. Dieses Zusammenspiel hat viel Charme und erreicht das, was jeder Adaption zu wünschen ist: die wunderbare Möglichkeit, einen Klassiker neu zu entdecken. Ein wirklich schönes Leseerlebnis.

 

Giovanni di Gregorio (Autor), Bruno Enna (Autor), Giovanni Rigano (Zeichner): „Creepy Past. Im Dunkeln verborgen“.
Dani Books, Groß-Gerau 2019. 208 Seiten. 16,99 Euro. Empfohlen ab 12 Jahren.

Alptraumhafte Legenden

Und es gibt sie doch! Worum es geht? Natürlich um „Creepypastas“, urbane Horrorgeschichten, die durch „copy & paste“ im Netz zu Ruhm und Ehre gekommen sind – und manchen schon um den Schlaf gebracht haben. Dass Slenderman und Co. keine reine Fiktion sind, davon ist die notorische Lügnerin Ester nicht nur überzeugt. Nein, sie hat ihn auch schon gesehen, den Kinderräuber ohne Gesicht. Um ihre verschwundene Freundin Alina wiederzufinden, schleicht sie sich in das „REM“ ein. In den Gemäuern des Schlaflabors für Kinder und Jugendliche geht nicht alles mit rechten Dingen zu. Das merkt auch Neuzugang Qiro, der zum Wirt für ein Monster geworden ist. Als Duo wider Willen gehen Ester und Qiro den Geheimnissen des „REM“ auf den Grund.

Klingt gruselig? Ist es auch! „Creepy Past“ ist der neueste Streich von Giovanni di Gregorio, Bruno Enna und Giovanni Rigano, drei der Kreativen hinter „Monster Allergy“ (Dani Books). Anders als der kindgerechte Monsterspaß widmen sich die drei und ihre Mitkünstler albtraumhaften Kreaturen. An denen haben die Forscher des „REM“ ihr eigenes Interesse. Und so entspannt sich um Ester und Qiro ein spannender Auftakt, der zum Gruseln einlädt. Definitiv nicht die beste Nachtlektüre so kurz vorm Einschlafen, aber eine actionreich in Szene gesetzte.

 

Peter Mennigen (Autor), Ingo Römling (Zeichner): „Malcolm Max Band 4: Blutrausch“.
Splitter, Bielefeld 2019. 72 Seiten, 15,80 Euro. Empfohlen ab 14 Jahren. Band 1 bis 3 sind ebenfalls beim Verlag lieferbar und erzählen eine abgeschlossene Geschichte.

Erschreckender Okkultismus

Es war ruhig geworden um Londons bekanntesten Mann für das Okkulte. Zu ruhig könnte mancher meinen. Drei Jahre mussten „Malcolm Max“-Fans auf neue Geschichten warten. In der Zwischenzeit hat die Comicreihe halb Europa erobert und ist Ingo Römling international als Comiczeichner für Disney und Dreamworks durchgestartet. Falls jemand befürchtet hat, dass dieses anderweitige Engagement Malcolm und Charisma schaden könnte, darf er sich nun beruhigt im Lieblingssessel zurücklehnen und in „Blutrausch“ eintauchen, den vierten „Malcolm Max“-Comic. Und dieser beinhaltet alles, was sich die Fans erhofft haben dürften: eine mysteriöse Schwesternschaft, eine noch mysteriösere Ehefrau, ein ebenso mysteriöser dunkler Ritter und ein eher schockierender als mysteriöser Abstecher in Londons bekannteste Irrenanstalt. In die verschlägt es Malcolm gleich zu Beginn dieses neuen Abenteuers. Die Nichte von Scotland Yard-Ermittler Blunt scheint dem Wahnsinn verfallen und wiederholt immer wieder „sanguinem et morte“, „Blut und Tod“. Gleichzeitig taucht vor Malcolms Tür eine junge Frau auf, die behauptet mit ihm verheiratet zu sein. Ein Schock, den Charisma erst einmal bei einer Shoppingtour mit der hübschen Unbekannten verdauen muss. Und irgendwie scheint alles zusammenzuhängen: die verrückte Nichte, die Ehefrau und die Toten, die mal wieder Malcolms Weg pflastern. Nur wie? Das gilt es im neuen Storyarc herauszufinden.

Natürlich ist auch der vierte „Malcolm Max“ wieder sehr textlastig, doch wie immer fängt Szenarist Peter Mennigen die viktorianische Lebensart und die historischen Begebenheiten gekonnt ein und schafft einen realistischen Hintergrund für die fantastischen Abenteuer des Dämonen- und Vampirjägers. Und Ingo Römlings Zeichnungen? Die sind über alle Zweifel erhaben. Hoffentlich lässt der nächste Band nicht wieder drei Jahre auf sich warten…

 

Jérôme Hamon (Autor), David Tako (Zeichner): „Green Class. Band 1: Pandemie“.
Aus dem Französischen von Tanja Krämling. Splitter, Bielefeld 2019. 72 Seiten. 17,00 Euro. Empfohlen ab 16 Jahren. Band 2 erscheint im Januar 2021.

Zombiemäßiger Virus

Gefangen in Louisiana, so ergeht es einer Gruppe von kanadischen Jugendlichen. Ihre Klassenfahrt in die Sümpfe wird zu einem Albtraum. Kaum zurück in der Zivilisation müssen sie erkennen, dass eine Pandemie den Planeten in Atem hält. Ein Virus verwandelt Infizierte in willenlose und gefährliche Pflanzenmonster. Einziger Ausweg: Elimination und hohe Mauern um die Quarantänezonen. Als ihr Kumpel Noah erkrankt, beschließen Lucas, Sato, Beth und ihre Freunde, ihn nicht im Stich zu lassen. Doch das Überleben fordert seinen Preis.

Szenarist Jérôme Hamon („Nils“, „Marsupilami“) und Zeichner David Tako („Marsupilami“) haben mit „Green Class“ eine sehr erfrischende Zombie-Geschichte geschrieben. Anders als bei „The Walking Dead“ und Co. dürsten ihre vermeintlichen Untoten nicht nach dem Hirn und Blut Lebender, auch wenn sie ein erhöhtes Aggressionspotenzial aufweisen. Stattdessen stellen sie den Umgang der Menschen mit den Infizierten infrage – und zeigen, wer im Inneren der Mauer die wahren Monster sind. „Green Class. Pandemie“ ist ein durch und durch gelungener Auftaktband, der sich an Mauern, Menschsein und Vorurteilen abarbeitet und die Freundschaft feiert.

 

Jillian Tamaki (Autorin und Zeichnerin): „SuperMutant Magic Academy“.
Aus dem amerikanischen Englisch von Jan Dinter. Reprodukt, Berlin 2018. 280 Seiten. 24,00 Euro. Empfohlen ab 16 Jahren.

Monströse Teenager

Erwachsen zu werden war noch nie leicht, und wird wahrscheinlich auch nie leicht sein. Erst recht nicht, wenn man mitten in der Pubertät steckt und nebenbei noch die Schule meistern muss. Wie mag das erst an einer Schule für magisch begabte Mutanten-Kids aussehen? Diesem Szenario hat sich Jillian Tamaki in ihrem Comic „SuperMutant Magic Academy“ gewidmet. Das nicht immer jugendfreie Ergebnis erschien ursprünglich zwischen 2010 und 2014 als Webcomic. Für die Buchveröffentlichung bekamen die Teens noch eine 40 Seiten starke Abschlussgeschichte spendiert. Die Kanadierin Tamaki ist keine Unbekannte in der Comicwelt: Zusammen mit ihrer Cousine Mariko Tamaki hat sie den Eisner-prämierten Comic „Ein Sommer am See“ (Reprodukt) erschaffen.

Wie auch in der preisgekrönten Graphic Novel spielt das Erwachsenwerden eine zentrale Rolle in „SuperMutant Magic Academy“. Mit einfachen, kräftigen Strichen erzählt sie zum Beispiel von Marsha, die hoffnungslos in das Fuchsmädchen Wendy verliebt ist, von Frances, die mit Kunstperformances ihre Grenzen auslotet, von Trevor, der seine Grenzen mit Gewalt sprengt, und vom Everlasting Boy, der selbst dann noch auf der Erde wandeln wird, wenn keine Menschen mehr da sind. Tamaki beleuchtet in ihrer zumeist aus Einseitern bestehenden Geschichtensammlung den ganz normalen Teeniealltag besonderer Jugendlicher, über das Leben als Außenseiter unter lauter Gleichgesinnten. Das Ergebnis ist definitiv nichts für Kinder, sondern eher für Erwachsene, die schon immer wissen wollten, was die „X-Men“ über ihre Teenagerzeit verschwiegen haben.

Diese Beiträge erschienen zuerst in den Ausgaben 69, 75, 78 und 80 der „phantastisch!“. „phantastisch!“ – das Magazin für Science Fiction, Fantasy & Wissenschaft erscheint alle drei Monate im Atlantis Verlag.

Sonja Stöhr schreibt seit rund zehn Jahren über phantastische Literatur. Ganz besonders angetan haben es ihr Geschichten für große und kleine Leser. Beiträge von ihr erscheinen regelmäßig in der „phantastisch!“ und auf diezukunft.de.