Seit 1977 schrieb der Schriftsteller und Comicautor Peter Mennigen zunächst deutsche Geschichten für Comicreihen wie „Gespenster Geschichten“, „Spuk Geschichten“, „Conny“, „Biggi“, „Vanessa“, „Felix“, „Lasso“, „Phantom“, „Axel F.“ und zahlreiche weitere Serien des Bastei Verlags. Ab den 90er Jahren arbeitete er für andere Verlage wie Egmont (Disney-Magazine), Panini (Jessy, Sternentänzer, Willi will‘s wissen) und Ravensburger (u. a. Fix und Foxi). In dieser Zeit verfasste er auch internationale Comics: „Lucky Luke“, „Schlümpfe“, „Bessy“ und „Isnogud“. Aktuell arbeitet er zusammen mit Ingo Römling an der Mystery-Serie „Malcolm Max“. Für comic.de blickt er zurück auf seine Arbeit im deutschen Comicverlagsgeschäft.
In den 1970er und 1980er Jahren ging es auf dem deutschen Comicmarkt zeitweilig zu wie im Wilden Westen. Damals wurde in den Verlagen nicht lange gefackelt, wenn man einen neuen Comic veröffentlichen wollte. Man veröffentlichte ihn einfach. Heute hat sich diesbezüglich einiges geändert. Es werden gefühlte hundert Meetings abgehalten, bei denen vor allem Marketing-Experten ihre Kristallkugeln befragen, ehe ein neues Magazin publiziert wird. Zwecks Risikominimierung handelt es sich dabei bevorzugt um Ableger eines bereits erfolgreichen Franchise-Artikels. Leider ohne Gewähr, dass die penibel ausgewählten Produkte auch so erfolgreich sind wie bei der „Wild-West“-Methode.
Der Bastei Verlag war in den 1970ern und 1980ern in Bezug auf die Entwicklung neuer Comicserien in Deutschland führend. Die Hefte waren Comics pur, ohne irgendwelche Beigaben. Trotzdem liefen diese Reihen erfolgreich über Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte, zumeist im wöchentlichen oder vierzehntäglichen Erscheinungsmodus. Eine dieser Serien hieß „Vanessa – Die Freundin der Geister“. Entstanden war sie mehr oder weniger aus dem Zufall heraus an einem sonnigen Samstag im Frühsommer 1981.
Vormittags hatte ich mich mit Werner Geismar, dem Chefredakteur der Bastei Jugendredaktion, in Köln wegen eines anderen Projekts getroffen. Gegen Mittag war alles besprochen. Auf dem Weg zu unseren Autos redeten wir über Comics im Allgemeinen und die Serien von Bastei im Besonderen. Es sollte eine für „Vanessa“ schicksalhafte Unterhaltung werden. Nur wussten wir das zu dem Zeitpunkt noch nicht.Auf dem Parkplatz standen wir gut eine halbe Stunde neben unseren Fahrzeugen und kamen von einem Thema zum nächsten, ohne dass ein Ende in Sicht war. Irgendwann meldeten unsere Mägen ihren Anspruch auf Nahrung an, also beschlossen wir, das Gespräch bei einem Mittagessen fortzusetzen. Wir fuhren zu einem Restaurant in der Kölner Innenstadt und sprachen weiter über mögliche neue Serien, über die alten Reihen, was gut lief, was weniger gut, was man verbessern könnte usw. Gegen 15 Uhr starteten wir einen erneuten Versuch, die Heimreise anzutreten. Doch als wir bei unseren Fahrzeugen ankamen, hatte unsere Diskussion immer noch kein Ende gefunden. Weshalb wir sie bis gegen 18 Uhr in einem Straßencafé weiterführten. Wir hatten die Rechnung schon bezahlt und wollten gerade gehen, als einer von uns – ich weiß nicht mehr, ob er oder ich – meinte: Lesen Mädchen eigentlich auch Comics?
Die Frage war insoweit berechtigt, als die bei Bastei veröffentlichten Comics ausschließlich auf eine männliche Leserschaft ausgerichtet waren. Einzige Ausnahme bildete „Conny“ mit dem stereotypen Thema „Mädchen und Pferde“. Was aber war mit den anderen Comics wie „Bessy“, „Gespenster Geschichten“, „Lasso“, oder „Silberpfeil“? Wie verteilten sich die Leseranteile zwischen Jungen und Mädchen? Antwort: Niemand wusste es. Marketinganalysen gab es damals bei Bastei nicht. Und aus den relativ spärlichen Leserbriefen ließ sich kein halbwegs verlässliches Bild der Leserschaft ermitteln. Werner Geismar fand das Thema so interessant, dass er vorschlug, es in einer Kneipe weiter zu vertiefen. Eine gute Entscheidung wie sich herausstellen sollte, denn nach Mitternacht saßen wir immer noch in besagter Kneipe und redeten uns die Köpfe heiß. Mittlerweile hatten die Straßencafés längst geschlossen.
Stundenlang diskutierten wir über die – zu diesem Zeitpunkt noch rein hypothetische – Möglichkeit, wie so ein Mädchencomic abseits der üblichen Klischees wie Mode, Tiere oder Jungs aussehen könnte. Thematisch lief es auf einen Hybriden zwischen „Arsat – Der Magier von Venedig“ und „Gespenster Geschichten“ hinaus. Natürlich musste der Comic eine Protagonistin haben, aus deren Sichtweise die Geschichten erzählt werden würden. Allerdings fehlte uns ein bisschen der Mut, radikal mit allen Stereotypen der damals gängigen „Mädchen-Literatur“ zu brechen, weswegen der Comic auch eine romantische Note besitzen sollte. Was wäre zum Beispiel, wenn ein Mädchen einen Geist als Freund hätte? Dies war der erste Ansatz für „Vanessa“.An jenem Abend legten wir noch weitere wichtige Eckpunkte für die Serie fest: Die Geschichten sollten in England, dem Hotspot für spukende Gespenster, spielen. Die Protagonistin würde in einem alten Schloss leben. Unsere noch namenlose Heldin wäre eine moderne Teenagerin, mit der sich Leserinnen identifizieren konnten. Am Ende unseres Brainstormings wussten wir auch schon halbwegs, wie sie ihren Geisterfreund kennenlernen würde: Indem sie mit ihren Eltern auf ein Schloss zog und dort ein Artefakt fand, das ihr den Zugang zum Geisterreich ermöglichte. Wo sie außer auf ihren Geisterfreund auch andere Spukgestalten traf, mit denen es die eine oder andere Herausforderung geben würde.
Weit nach Mitternacht verließen wir die Kneipe, um dann tatsächlich nach Hause zu fahren. Inzwischen hatte sich unsere „rein hypothetische“ Überlegung über einen neuen Mädchencomic zu einem konkreten Projekt entwickelt, das auf jeden Fall als Comicserie umgesetzt werden sollte.
Werner Geismar wollte sich in den kommenden Tagen noch ein paar Gedanken über die Konzeption des Comics in spe machen und an den Details feilen. Anschließend würde er mir ein offizielles Briefing schicken, auf dessen Grundlage ich erst ein ausführliches Exposé und nach dessen Freigabe das erste Skript schreiben sollte.
Nach dem offiziellen Briefing machte ich mich zügig ans Werk und brachte einige „Vanessa“-Plots zu Papier, von denen ich die besten dann als detaillierte Exposés ausarbeiten wollte. Aber irgendwie hakte es dabei. Meine ersten Versuche waren ganz nett, doch ich hatte das Gefühl, eine wichtige Komponente fehlte ihnen.
Von der Idee zum gedruckten Comic
Nachdem ich ein bisschen mit den „Vanessa“-Plots herumexperimentiert hatte, glaubte ich das gesuchte Puzzlestück gefunden zu haben: Meine Heldin agierte bislang fast ausschließlich im Geisterreich, es mangelte an einem Bezug zur materiellen Welt. Die Storys benötigten zusätzliche Handlungsstränge in der Realität des Diesseits, die im Verlauf der Geschichte mit den Ereignissen in der Geisterwelt verknüpft würden. Solche Subplots verkomplizierten die Handlung natürlich ein wenig, machten sie dafür unterhaltsamer.
Die Rolle der Protagonisten war klar: Vanessa würde mit wie auch immer gearteten Bedrohungen aus der Geisterwelt konfrontiert und sorgte mit Hilfe ihres Geisterfreundes Harold für eine Lösung. Sie sind die Troubleshooter. Das wiederum bedeutet, dass sie zunächst einmal relativ inaktiv sind, bis sie eine Aufgabe zum Handeln zwingt. Der oder die Gegenspieler, die Verursacher eines Problems, sind wichtigster Part einer spannenden Geschichte. Erst ein Widersacher bringt eine Handlung so richtig in Schwung. Was würden Spider-Man oder Batman ohne Gegner tun? Vermutlich den ganzen Tag auf dem Sofa hocken, Kekse knabbern und Hüftgold ansetzen.Vanessas Herausforderungen aus dem Geisterreich wechselte ich von Geschichte zu Geschichte. Statt für jedes Heft ebenfalls eine neue Bedrohung in der diesseitigen Welt zu erfinden, entschied ich mich für einen permanenten Erzfeind. Eine Person aus dem vertrauten häuslichen Umfeld erschien mir interessanter und somit prädestinierter für diese Rolle als zum Beispiel ein übermächtiges Monstrum aus einer anderen Dimension. Das Ergebnis meiner Überlegungen war die drakonischste Intrigantin, die je einen Bastei-Comic bevölkert hatte: eine abgrundtief böse Haushälterin, die ich Mrs. Hagglon taufte. Berufsbedingt weilte sie permanent auf Westwood Manor und war so jederzeit in Vanessas Nähe. Damit sie – wegen ihrer sinisteren Taten – nicht irgendwann gefeuert wurde, verlieh ich ihr ein vom früheren Schlossbesitzer verbrieftes lebenslanges Wohnrecht auf Westwood Manor.
Das warf die nächsten Fragen auf: Was war Mrs. Hagglons Motivation? Welche Ziele verfolgte sie? Einfach nur böse aufgrund einer Antipathie gegenüber Vanessa zu sein, war zu dürftig. Und wenn sie unsere Heldin gar nicht direkt auf dem Kieker hatte, sondern ihre Interessen lediglich mit denen von Vanessa kollidierten? Bloß, was waren ihre Interessen? Letztendlich kam ich auf die Idee, dass sich die Haushälterin auf der Suche nach einem dubiosen Schatz befand, der irgendwo auf Westwood Manor versteckt war. Dass ihr dabei die neuen Besitzer – Vanessa und ihre Eltern – ein Dorn im Auge waren, lag auf der Hand.
Damit Mrs. Hagglon während ihrer zweifelhaften Missionen keine Selbstgespräche führen musste, stellte ich ihr den Butler des Hauses als Komplizen zur Seite und nannte ihn Brady. Als Gegengewicht zur dauergriesgrämigen Haushälterin und damit er sich von Vanessas Gegenspielern unterschied, legte ich Brady leicht trottelig an. Durch seine recht unorthodoxe Herangehensweise an Aufgaben, verbunden mit allerlei Slapstickeinlagen, machte er die Sache für Mrs. Hagglon nicht einfacher. Neben diversen Nacken- und Rückschlägen bei seiner Komplizin sorgte er so für gute Laune beim Leser. Dadurch wurden die Geschichten lockerer. Die beiden verhielten sich wie ein altes Ehepaar. Wobei Mrs. Hagglon den im Grunde seines Herzens gutmütigen Butler wenig subtil an der kurzen Leine hielt.Ich rief Werner Geismar an und erläuterte ihm meine Idee mit der Haushälterin und dem Butler. Er fand sie gut. Somit stand der ersten „Vanessa“-Geschichte nichts mehr im Wege. Nach Freigabe meines Exposés und der Umsetzung als Skript wurde es nach Spanien zum Studio Ortega gesandt. Dort wurden seinerzeit zahlreiche Bastei-Comics gezeichnet. Bedauerlicherweise veröffentlichte der Verlag bei vielen Serien keine Credits der Künstler. So auch bei „Vanessa“, weshalb ich nur einige der Zeichner und Coverillustratoren kenne:
Juliana Buch i Trabal kam 1942 in Barcelona zur Welt, wo sie ab den 1970er Jahren für verschiedene Agenturen als Comiczeichnerin tätig war. Ihre Spezialität waren realistische Mädchencomics, die bei den britischen Verlagen Fleetway oder D.C. Thompson und in den niederländischen Magazinen „Tina“ und „Penny“ erschienen sind. Aus ihrer Zeichenfeder stammen Comics und Cover für die Bastei-Serien „Biggi“, „Conny“ und „Vanessa“. Die Künstlerin verstarb am 31. Oktober 2016.
Francisco Díaz Rojo dürfte Lesern besser unter seinem Namenskürzel „Rojo“ bekannt sein. Der 1931 geborene Spanier zeichnete seit 1961 Comics. Für das Studio Ortega setzte er unter anderem Geschichten für die von Bastei publizierten Serien „Buffalo Bill“, „Lasso“, „Roy Tiger“, „Gespenster Geschichten“, „Spuk Geschichten“ und „Vanessa“ in Szene. Er verstarb 2012 in Barcelona.
José Maria Cardona Blasi wurde am 7. April 1946 in Spanien geboren. Seit 1970 arbeitet er als professioneller Comiczeichner. Seine ersten Geschichten wurden von dem britischen Verlag D.C. Thompson veröffentlicht. Deutschen Lesern dürfte der Zeichner vor allem durch seine Science-Fiction-Serie „Gigantic“ bekannt sein. Den Comic schuf er in Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautor Victor Mora für „ZACK“ und dessen französischen bzw. niederländischen Ableger „Super-As“ und „Wham!“. Außerdem illustrierte er Comicserien wie „Vampirella“, „Davy Cocket“ oder „Mondbasis Alpha 1“, um nur einige zu nennen. Seit Mitte der 1980er Jahre zeichnet der Künstler Disney Comics für die skandinavischen und dänischen Egmont-Verlage. Aus José Maria Cardona Blasis Feder stammen zahlreiche „Vanessa“-Comics. Darunter auch die allerersten Geschichten, die das Styling der Protagonisten und ihres Umfelds festlegten. Außerdem arbeiteten wir beide an der Serie „Gespenster Geschichten“ zusammen, für die er eine Reihe von mir geschriebener Storys zeichnerisch umsetzte.
José Ferrér kam am 2. September 1946 in Spanien zur Welt. Während der 1970er Jahre zeichnete er für Verlage in Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Schweden und den USA (u. a. Comics für „2000AD“ und „The Phantom“). In Deutschland veröffentlichte Bastei einige seiner Arbeiten in „Gespenster Geschichten“, „Axel F.“ und „Spuk Geschichten“. Für „Vanessa“ zeichnete er etliche meiner Storys, die in den Taschenbüchern veröffentlicht wurden. Er verstarb am 28. Oktober 2012.Antonio Garcia Bartolomé wurde 1932 in Barcelona geboren. Ab Mitte der 1960er Jahre zeichnete er Comics für den spanischen Verlag Bruguera. Später war er für diverse Studios tätig und zeichnete Comics für den britischen, französischen und deutschen Markt. Bei Bastei erschienen seine Arbeiten in „Gespenster Geschichten“, „Spuk Geschichten“ und „Vanessa“. Er verstarb 26.11.2012 in Barcelona.
Celâl Kandemiroğlu kam 1953 in der Türkei zur Welt. Nach seinem Studium an der Kunstakademie zog er nach Deutschland und fertigte für den Bastei Verlag zahlreiche Cover für die Comicserien „Bessy“, „Geister Geschichten“, „Gespenster Geschichten“, „Spuk Geschichten“, „Tex Norton“, „Broomm“ und „Vanessa“ an.
Ugurcan Yüce wurde 1947 in Istanbul geboren. Nach seiner Ausbildung in Malerei und Bildhauerei siedelte er 1980 nach Deutschland um. Für den Bastei Verlag illustrierte er zahlreiche Titelbilder der Comicserien „Gespenster Geschichten“, „Manos – Der Dämonenjäger“ und „Vanessa“. Außerdem gestaltete er Cover für Computergames. Er verstarb im Februar 2015 in Stuttgart.
Shirley Bellwood wurde am 20. Mai 1931 in England geboren. Sie war eine außergewöhnlich gute Comiczeichnerin. In den 1950er Jahren spezialisierte sie sich zunehmend auf Mädchencomics. Während der 1980er Jahre illustriert sie zahlreiche Cover der britischen Comicreihe „Misty“. Einige dieser Cover verwendete Bastei auch für „Vanessa“. Sie verstarb am 1. Februar 2016.
„Vanessa – Die Freundin der Geister“ #1 kam im Frühjahr 1982 auf den Markt und erschien vierzehntäglich. Das Heft enthielt als Hauptstory einen abgeschlossenen Comic der Titelheldin. Die übrigen Seiten füllten Grusel-Comics mit Mädchen als Protagonisten. Dabei handelte es sich um Lizenzmaterial aus den englischen Verlagshäusern Fleetway und D.C. Thompson und Publikationen aus Schweden und den Niederlanden.„Vanessa“ war von Anfang an ein großer Erfolg. Nicht nur bei Mädchen, sondern auch bei Jungs hatte das Magazin viele Fans. Dies stellte sich bei Treffen mit Lesern auf Comicbörsen heraus. Ermutigt durch die Verkaufszahlen veröffentlichte Bastei parallel zu dem Heft eine „Vanessa“-Taschenbuchreihe. Die Comics der Titelheldin stammten ebenfalls alle von mir. Und wie das bei Erfolg so ist, kommen in seinem Geleit oft diverse Probleme.
Außer „Vanessa“ schrieb ich damals noch andere – teils wöchentlich, zweiwöchentlich oder monatlich erscheinende – Serien: „Bessy“, „Lasso“, „Silberpfeil“, „Arsat“, „Gespenster Geschichten“ usw. Kurzum, Mitte der 1980er Jahre stieß ich an meine Grenzen. Nicht, weil mir die Ideen ausgingen, sondern weil ich einmal etwas anderes sehen wollte als sieben Tage die Woche von morgens bis abends bloß Buchstaben. So weh es mir in der Seele tat, aber es gab nur eine Lösung: Ich musste mich von einer Serie trennen. Logischerweise von einer, in die ich am meisten Arbeit und somit auch Zeit investieren musste. Neben den „Vanessa“-Comics traf dieses Kriterium auf „Biggi“ zu. Die Wahl fiel schwer, aber letztendlich auf „Vanessa“.
Versuche einer einvernehmlichen Trennung
Ich teilte Werner Geismar meinen Entschluss mit, mich als Autor von der Serie „Vanessa“ zurückzuziehen. Da er mein Arbeitspensum kannte, verstand und akzeptierte er die Entscheidung. Er benötigte etwas Zeit, um eine Lösung des damit aufgeworfenen Problems zu finden. Bis dahin sollte ich „Vanessa“ bitte weiterschreiben. Einige Monate später unterrichtete er mich über das Ergebnis seiner Autorensuche: Zur Vermeidung eines Bruchs in der Erzählweise sollte ich möglichst auch zukünftig die „Vanessa“-Skripte verfassen. Das zeitintensive Erfinden der Geschichten und die Umsetzung der Ideen als Exposés würde ein renommierter Fantasy-Autor übernehmen, dessen Bücher unter anderem bei Bastei veröffentlicht wurden: Wolfgang Hohlbein.
Wolfgang Hohlbein und ich hätten Anfang der 1980er Jahre beinahe schon einmal zusammengearbeitet. Damals sollten wir die Serie „Manos – Der Dämonenjäger“ in der Reihe „Geister Geschichten“ schreiben. Mein Kollege hatte wohl das Interesse an dem Projekt verloren, denn nach dem Meeting im Verlag hörte ich nichts mehr von ihm. Bei „Vanessa“ lief es jedoch anders. Etwa eine Woche nach dem Telefonat mit Werner Geismar bekam ich ein Exposé von Wolfgang Hohlbein, das ich zu einem Skript ausarbeiten sollte. Oben auf der ersten Seite hatte der Chefredakteur eine Notiz geheftet mit der Anmerkung, aus der Story eine „Vanessa“-Geschichte zu machen. Zunächst rätselte ich, was damit gemeint sein könnte. Nach dem Lesen des Exposés war es mir klar.Die Story von Wolfgang Hohlbein handelte von einer entführten Prinzessin, Trollen, Zwergen und einer belagerten Burg. Es war eine gute Geschichte. Ob Vanessa darin vorkam, weiß ich heute nicht mehr. Falls doch war ihre Rolle verschwindend klein und unbedeutend. Also entsprach ich der Bitte der Redaktion und schrieb den Comic mit der Titelheldin in der Hauptrolle um. Dabei blieb von dem ursprünglichen Exposé allerdings so gut wie nichts übrig.
Zwei Wochen später erhielt ich das nächste „Vanessa“-Exposé von Wolfgang Hohlbein. Darin ging es erneut in der Hauptsache um ein entführtes feenhaftes Wesen, um Trolle, um Zwerge und wenig um die eigentliche Titelfigur. Für ein weiteres Déjà-vu sorgte der auf der ersten Seite angeheftete Zettel des Chefredakteurs mit der Aufforderung, die Story als „Vanessa“-Geschichte umzuschreiben. Was ich auch tat, erneut mit dem Ergebnis, dass daraus eine vollkommen andere Geschichte wurde. Als sich das dritte Exposé wieder um eine Prinzessin, Zwerge, Trolle und weniger um die Titelheldin drehte, weswegen ich es wieder in eine „Vanessa“-Geschichte umtexten sollte, war von der geplanten Entlastung meinerseits nicht viel zu spüren. Im Gegenteil, die Auseinandersetzung mit fremden Exposés, die ich dann umformulieren – im Prinzip komplett neu schreiben – musste, war zeitraubender, als wenn ich die Story gleich selbst erfunden hätte. Das sah man bei Bastei ähnlich, weshalb man das Experiment beendete. Wolfgang Hohlbein machte groß Karriere als Romanautor, während ich fortan weiter als einziger Autor an „Vanessa“ arbeitete.
Wenige Monate danach rief mich Werner Geismar an und meinte, diesmal hätte er wirklich ein ideales Resultat für meine Ablösung gefunden. Bei einer Wochenendsause durch die Kölner Kneipenszene habe er einen Fernsehautor kennengelernt, der die „Vanessa“-Serie von mir übernehmen und komplett vom Exposé bis zum Skript anfertigen wolle. Ich sollte ihn besuchen und in das „Vanessa“-Universum und dessen Besonderheiten einweisen. Gesagt, getan. Zwar verlor ich durch das Briefing einen ganzen Arbeitstag, andererseits gewann ich etwas Freizeit, falls alles glattlief. Besagter Autor wohnte in einem schönen Altbau in der Kölner Südstadt. Nur einen Steinwurf entfernt befand sich die Kneipe, in der Werner Geismar und ich einige Jahre zuvor „Vanessa“ aus der Taufe gehoben hatten.Mein Kollege empfing mich überaus freundlich und erzählte mir von seiner beeindruckenden Vita als Fernsehautor. Dabei präsentierte er mir stolz sein „Satz-Gestaltungs-Terminal“, wie er es nannte. Es war das erste Mal, dass ich von der Existenz eines Schreibcomputers erfuhr. Damals wirkte das Gerät ungeheuer beeindruckend auf mich, wie ein gewaltiges Keyboard von Pink Floyd. Während sein Besitzer die Vorzüge des technischen Mirakels pries, arbeitete meine Vorstellungskraft auf Hochtouren und stellte das Gerät als so etwas wie ein wahr gewordener Autorentraum dar: Man tippte ein paar Stichworte ein, anschließend ratterte der Apparat ein bisschen und spuckte dann eine Pulitzer-Preis-verdächtige Story aus. Die Kosten für das Wunderwerk betrugen 6000 D-Mark. Eine Summe, die seinerzeit meine finanziellen Möglichkeiten bei weitem überstieg. Obwohl mein Kollege als Fernsehautor bestimmt gut verdiente, konnte er sich den Kauf des Schreibcomputers ebenfalls nicht leisten, weswegen er das Gerät „nur“ geleast hatte. Aus heutiger Sicht stellt sich der Schreibcomputer von damals weniger imposant dar. Nüchtern betrachtet war es ein klobiges Keyboard auf einem hufeisenförmigen Schreibtisch mit einem zu der Zeit ungeheuer futuristisch wirkenden Monitor, dessen Bildschirmgröße das Ausmaß eines Schuhkartons hatte.
Nachdem ich meinen potentiellen Nachfolger als „Vanessa“-Autor ausführlich in die Serie eingeweiht hatte, erkundigte er sich, was der Verlag denn für ein Skript bezahlte. Wahrheitsgemäß nannte ich ihm das bei Bastei übliche Honorar. Worauf er mich erst wie in Schockstarre verharrend mit großen Augen anstarrte und dann vor Lachen beinahe vom Stuhl gekippt wäre. Als mich mein Gastgeber später zur Wohnungstür begleitete und sich für meinen Besuch bedankte, wischte er sich immer noch Lachtränen aus dem Gesicht. Ich habe nie erfahren, ob er sich danach erneut bei Bastei gemeldet hat. Das einzige, was ich mit Sicherheit weiß, ist, dass ich nie wieder etwas von ihm gehört habe.Also schrieb ich „Vanessa“ bis zur Einstellung der Serie weiter. Ab und an steuerte ich auch eine Kurzgeschichte inklusive Fotos für den Innenteil des Heftes bei. Das Stamm-Ensemble des Comics blieb bis zum Schluss nahezu unverändert: Vanessa, ihre Eltern, Harold, Mrs. Hagglon und Brady. Außerdem besaß Vanessa ein Pferd, das Stardust hieß. Dank zweier Zauberfedern von Harold wuchsen Stardust auf Wunsch Flügel, die aus ihm einen zweiten Pegasus machten. Irgendwann gesellte sich noch ein Hund namens Buster zu ihnen. Ich fand es ganz nett, wenn Vanessa ein Haustier als Begleiter hätte. Buster schlug ein bisschen aus der Art. Anders als die Vierbeiner, die man so aus Filmen kennt, war er keine Ausgeburt an Intelligenz und Furchtlosigkeit. Vor allem hatte er einen Mordsbammel vor Geistern und Gespenstern, über deren Mangel er sich bei „Vanessa“ kaum beklagen konnte. Kurz vor Einstellung der normalen Heftreihe schrieb ich die Geschichten für zwei „Vanessa Spezial“-Comics, die zwischen August und Dezember 1989 als überformatige Magazine veröffentlicht wurden. Im Februar 1990 erfolgte die Einstellung von „Vanessa“ nach 215 Ausgaben. Allerdings wurde bereits in der Woche darauf ein Relaunch publiziert.
Abgesehen von dem „Vanessa“-Comic gab es bei dem neuen Magazin einige Veränderungen. Das Format wurde von normaler Heftgröße auf Übergröße – wie bei „Vanessa Spezial“ – umgestellt. Der Covertitel lautete statt „Vanessa – Die Freundin der Geister“ nun „Vanessa – Ein schönes Mädchen im Land der Geister und Gespenster“. Der Umfang erhöhte sich von 30 auf 46 Seiten. Die zusätzlichen Seiten wurden von einem größeren Magazinteil in Anspruch genommen, bestehend aus Kurzromanen, Postern und Fotocomics. Die übrigen Seiten füllten wieder hauptsächlich englische Spukgeschichten mit Protagonistinnen. Bis April 1991 erschienen insgesamt 26 Hefte der neuen „Vanessa“. Danach wurde die Reihe um die Geisterfreundin endgültig eingestellt. Die Taschenbücher liefen noch ein paar Monate länger, ehe auch sie im September 1991 mit Ausgabe 40 dasselbe Schicksal ereilte.Wie zumeist bei den Bastei-Serien kam die Einstellung überraschend von heute auf morgen. Mich hat man diesbezüglich nicht informiert. Da das nicht zum ersten Mal passierte, hatte ich schon eine dunkle Vorahnung, als meine letzten Exposés nicht mehr genehmigt für eine Ausarbeitung zu Skripten an mich zurückgesandt worden waren.
Zwei Jahre später wäre es beinahe zu einer Neuauflage der Serie gekommen. Allerdings nicht als Comic, sondern in einem anderen Medium. 1993 war die Verfilmung einer Bastei-Comicserie geplant. Zur Auswahl standen „Conny“ und „Vanessa“. Aus Kostengründen fiel die Wahl auf „Conny“. Für eine Umsetzung von „Vanessa“ wären zahlreiche Spezialeffekte notwendig gewesen, die das Budget gesprengt hätten. Ein Erfolg der „Conny“-Fernsehserie hätte die zur Verfügung gestellten Produktionsgelder mit Sicherheit um einiges erhöht, weshalb als nächstes TV-Projekt eine Verfilmung von „Vanessa“ auf der Agenda stand. Obwohl die Pre-Production für „Conny“ fast abgeschlossen und die Finanzierung einer 12-teiligen TV-Serie gesichert war, wurde das Projekt nicht verwirklicht. Das Warum habe ich bereits ausführlich in „Comicverfilmungen in Deutschland“ erläutert.
Wenn mich ein Verleger fragen würde, welche ehemalige Comicserie von Bastei heute die größten Chancen am Markt hätte, würde ich sagen „Vanessa“. Natürlich müssten die Geschichten zeitgemäßer geschrieben sein und vielleicht in Alben statt Heften veröffentlicht werden, doch das Thema „Mädchen & Geisterfreund“ finde ich immer noch interessant.
_____________________________________________________________
Bei Werner Skibar bedanke ich mich herzlich für den zur Verfügung gestellten Coverscan von „Vanessa“ #1.
Bei dem englischen Comiczeichner und Autor David Roach bedanke ich mich herzlich für seine große Hilfe bei der Identifizierung etlicher von Bastei ungenannter Cover- und Posterkünstler.