Morgen ist heute – „Der ewige Krieg“

Wie direkt politisch Science Fiction sein kann, ohne an literarischer Qualität und SF-Spezifik einzubüßen, lernte (nicht nur) ich 1977, als „Der ewige Krieg“ von Joe Haldeman (das Orginal, „The Forever War“, stammt von 1974) auf Deutsch erschien. Ein Vietnam-Veteran, dessen Kriegserfahrung permanent präsent ist, beschäftigt sich mit dem Thema „Universal Soldier“ und den sozialpolitischen Folgen nicht nur für die Soldaten, sondern für die gesamte Gesellschaft…

Haldemans Roman war sicher nicht der erste, der radikal die Gegenwart als Science-Fiction-Szenario inszenierte (das tat die New Wave der SF in den 1960ern und 1970ern programmatisch, von Thomas M. Disch über Norman Spinrad, James Graham Ballard bis John Brunner), aber er benutzte sehr clever die narrativen Muster der Space Opera und verwickelte sich nicht in sperrige Exerzitien der Postmoderne.

Mark Marvano (Zeichner und Szenarist), Joe Haldeman (Autor): „Der ewige Krieg“.
Aus dem Französischen von Ute Eichler und Uta Schmidt-Burgk. Carlsen, Hamburg 2011. 168 Seiten. 29,90 Euro (derzeit nur antiquarisch erhältlich)

Nach einer Comic-Adaption (wenn schon keine Verfilmung zustande kam) schrie das Projekt auf jeden Fall, und 1988 realisierten sie Haldeman und der holländische Zeichner Mark Marvano. In den frühen 1990ern – als der Markt avancierten Comics gerade mal ein wenig aufgeschlossener war – erschien „Der ewige Krieg“ in drei Folgen, jetzt, wo der Markt avancierteren Comics wieder ein wenig aufgeschlossener ist, kommt eine mit allerlei Bonusmaterial versehene einbändige Gesamtausgabe. So viel zur Philologie (die natürlich noch komplizierter ist, mit holländischen, französischen und anglophonen Ausgaben).

Die zeitliche Distanz zum Vietnam-Krieg hat dem Projekt gutgetan. Die Story vom Soldaten Mandella, der im 20. Jahrhundert in den Krieg gegen eine Zivilisation zieht, die niemand kennt und die möglicherweise nur die aus der Zukunft stammende Menschheit selbst ist, und zwei Jahrtausende Zeitverschiebung und damit auch biologische und gesellschaftliche Evolution der Menschheit mitmacht, ohne selbst nennenswert zu altern, ist tragisch und in der Tat gesellschaftskritisch strukturiert: Die Soldaten werden von der Politik verheizt (ein Topos in der Post-Vietnam-Diskussion); die Zivilgesellschaft kann mit den Veteranen nichts mehr anfangen (topisch, die traumatisierten Kriegsveteranen aller US-Kriege seit dem Bürgerkrieg bis zum heutigen Irak- und Afghanistan-Krieg sind in der populären Kultur stets die Reservoirs für gebrochene Schurken und gebrochene Helden und für die Angleichung beider Typen); die Sinnfrage ist allein schon sinnlos – niemand kennt die Aliens, man weiß kaum etwas über sie, aber man bekämpft sie mit aller Wucht von Technologie und Ideologie, bis man am Ende einen Frieden schließt, der den Kriegsgrund schon gar nicht mehr kennt. Gesellschaftskritisch auch, wie die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft auf betriebswirtschaftlicher Basis dargestellt wird – die Parameter „nützlich“ oder „unnützlich“ bestimmen den sozialen, unveränderbaren Status und damit jede Teilhabe am Leben; dito die Zeichnung der Medien als Propagandamaschinen, das offene Lügen und Trügen und gleichzeitig die totale Indolenz; skeptisch auch die Einschätzung der demographischen und biosozialen Entwicklung, im Jahr 3177 besteht die Gattung homo sapiens nur noch als milliardenstarke Klon-Populationen (die Aliens aber auch…). Eine klassische Dystopie also, deren jeweiligen Aktualitätswerte man sich leicht konkretisieren kann. „Visionär“ nennt man so etwas gerne, man kann auch sagen, Haldeman und Marvano extrapolieren geschickt und würden es vielleicht heute, 2012, noch mal anders tun. Aber wie gesagt, Science Fiction handelt immer von der Gegenwart, wie zukünftig die auch im fiktiven Raum angesiedelt ist.

Seite aus „Der ewige Krieg“ (Carlsen)

Das gilt besonders für die hier virulente Variante, die man auch als Politthriller verstehen kann – nicht umsonst konnte die Vorlage von Haldeman, ungeachtet ihrer Genre-Definition „SF“ im Kontext der kritischen Vietnam-Romane von Philip Caputo, Larry Heineman oder Nicholas Proffitt stehen, die ebenfalls zwischen Politthriller und Kriegsroman oszillierten und die Begriffsgrenzen überflüssig machten. Ein Prozess übrigens, der zeigt, wie sehr die heutigen Schubladen-Diskussionen ständig uralte Themenstellungen wie Genrehybride etc. ahnungslos wieder aufkochen…

All das aber wäre nur mäßig erwähnenswert, museal oder literaturgeschichtlich sinnvoll, wenn da nicht die ästhetische Dimension wäre, die die Graphic Novel am Leben hält. Die eiskalten, beinahe zur Abstraktion tendierenden Bilder von Marvano und die brillante Kolorierung von Bruno Marchand, die geschickten Panels und das gesamte ästhetische Design, das sich eher an Kubricks „2001“ als an Ridley Scotts „Alien“ (und nur sehr verhalten an „Star Wars“) anlehnt, evoziert natürlich Kino und etabliert den Schauwert des einzelnen Bildes/Panels und/oder einer Seite/Doppelseite deutlich als dominant gegenüber der narrative Funktionalität.

Schlichter gesagt: „Der ewige Krieg“ funktioniert über weite Strecken als Bilderbuch, das die vielen verwickelten und komplexen Bedeutungsebenen ästhetisch komplett integriert. Man staunt und bewundert die prächtigen Bilder, das Abgebildete hingegen kann dadurch umso deutlicher schockieren. Diese Spannung garantiert die Ablösbarkeit der Geschichte von ihrer ursprünglichen Definition als Vietnamkriegs-Parabel und zieht sie auf eine größere, universellere Ebene, ohne dies diskursiv immer wieder behaupten zu müssen.

So bleibt „Der ewige Krieg“ ziemlich haltbar, wenn wahrscheinlich auch nicht forever, so aber doch als hier und heute immer noch blendend funktionierende Graphic Novel.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 11.02.2012 auf: CulturMag

Thomas Wörtche, geboren 1954. Kritiker, Publizist, Literaturwissenschaftler. Beschäftigt sich für Print, Online und Radio mit Büchern, Bildern und Musik, schwerpunktmäßig mit internationaler crime fiction in allen medialen Formen, und mit Literatur aus Lateinamerika, Asien, Afrika und Australien/Ozeanien. Mitglied der Jury des „Weltempfängers“ und anderer Jurys. Er gibt zurzeit das Online-Feuilleton CULTURMAG/CrimeMag und ein eigenes Krimi-Programm bei Suhrkamp heraus. Lebt und arbeitet in Berlin.

Seite aus „Der ewige Krieg“ (Carlsen)