Talk to the head – „Ein Korb voller Köpfe“

Brody Island, Maine, im September 1983. Die Saison ist fast vorüber und damit auch der Dienst des Hilfspolizisten Liam, der für den Sommer von Chief Wade Clausen angeheuert wurde. Liam hat nun wieder mehr Zeit für seine Freundin June. Gemeinsam schmieden sie Zukunftspläne und wollen den Restsommer genießen. Doch daraus wird nichts. Denn vier Häftlinge, so erfahren Liam und June von Clausen, seien aus der örtlichen Haftanstalt entkommen. Kleinganoven, also keine Panik, man habe alles im Griff. Clausen und seine Polizeitruppe machen sich auf die Suche. Dann gibt es einen ersten Toten. Und ein Tropensturm naht. Leicht beunruhigt warten Liam und June in Clausens Haus neue Nachrichten ab. Bis plötzlich Typen in Gefängniskleidung im Hausflur stehen…

Joe Hill (Autor), Leomacs (Zeichner): „Ein Korb voller Köpfe“.
Panini, Stuttgart 2020. 188 Seiten. 20 Euro

Was wie ein klassischer Horror-Thriller beginnt – ein junges Paar will unbeschwert Zeit miteinander verbringen, bis langsam dunkle Wolken aufziehen -, entwickelt sich schnell zum Kuriosum. Zuerst geht es Genre-typisch weiter. June wird unfreiwillig zur Protagonistin der Miniserie, ist bald auf sich allein gestellt und weiß sich mithilfe einer mysteriösen uralten Wikinger-Axt auch zu wehren. Jetzt erinnern wir uns an den Titel des Bandes. Denn der ist wörtlich zu nehmen. Und: Als der erste Kopf rollt – so viel verraten wir –, ist für den „Geschädigten“ nicht Schluss – nein, der Kopf lebt ohne Körper weiter und kann auch im Stand-Alone-Modus noch reden!

Aha. Also eine junge Frau und ein abgeschlagener Kopf, der spricht. Jetzt kann man natürlich sagen, das ist absoluter Blödsinn und damit hat sich die Sache erledigt. Man kann sich aber auch auf diese abstrakte wie skurrile Horror-Mär einlassen und schauen, wie sich der Plot entwickelt. Denn dann wird man mit etlichen Drehungen und Wendungen belohnt und erkennt, dass nichts so ist, wie es scheint. Mit jedem Kopf, der in dem Korb landet (auch das sollte kein Spoiler sein – siehe Titel), eröffnet sich der Story ein anderer Blickwinkel, mit neuen Enthüllungen, die nach und nach ein perfides Komplott umreißen und damit das Leben unserer Heldin allesamt nicht gerade einfacher gestalten.

Autor Joe Hill ist natürlich kein Unbekannter. Als Sohn von Stephen King hat er dessen schriftstellerisches Talent geerbt und auf dem Comic-Sektor mit der Reihe „Locke & Key“ einen Bestseller verfasst, der jüngst auch als Netflix-Serie adaptiert wurde. Dass er sich im Genre der Bildergeschichten längst heimisch fühlt, unterstreicht er auch hier mit zahlreichen ausgefeilten sequenziellen Passagen, die fast filmische Szenen entstehen lassen (beispielsweise als der Sturm Brody Island überrollt und der Strom ausfällt). Ein gelungenes Stilmittel, das den reduzierten Zeichenstil des Italieners Leomacs (d. i. Massimiliano Leonardo) ausgleicht. Wobei June stets ins rechte Licht gerückt wird, ob blutig oder nicht.

Dass Joe Hill Sprössling seines Vaters ist und sich nebenher in seinem Genre bestens auskennt, unterstreichen der Name der Strafanstalt (Shawshank!), der Schauplatz Neuengland (dort spielen etliche von Kings Romanen) und der Name der fiktiven Ferieninsel. Denn Brody heißt bekanntlich der Polizeichef, der sich vor Amity Island mit einem riesigen weißen Hai herumschlagen muss. Wer also die witzig-abtrus-originelle Grundidee des Bandes (der die kompletten sieben Hefte der US-Miniserie „A Basketful of Heads“ beinhaltet) schluckt, wird mit einem makabren Lesespaß belohnt, der zudem ständig und dabei schlüssig in andere Richtungen führt. Der Band ist der erste aus Joe Hills hauseigenem DC-Label „Hill House Comics“ (auch das eine gelungene Anspielung). Weitere folgen in Kürze.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.

Seite aus „Ein Korb voller Köpfe“ (Panini / DC Comics)