„Ich habe in 40 Jahren Comiczeichnen abgebildet, was in meiner unmittelbaren Umgebung zu sehen war“

© vvg-koeln

Stefan Meschs Buchkritik „Schwule Liebe im Cockdown“ vom 24. Februar 2021 will ich nicht unkommentiert stehen lassen. Ich zitiere und gebe meinen Senf dazu.

‚Vervirte Zeiten‘ hat viel Herz und Charme, oft literarische Dialoge (viel punktgenauer, feiner, als zum Treffen der Pointen nötig wäre) und funktioniert als kurzer täglicher Bildwitz ebenso gut wie als längere Geschichte übers Zusammenbleiben eines Paars, bei dem ein Partner immer wieder über seine Lust und Impulskontrolle stolpert: eine glückliche offene Beziehung, doch viele überdrehte Momente über schlechten Webcam-Sex und Macht- und Altersgefälle beim Flirten.“

Danke für die netten Worte. Aber dann:

„Alle Frauenfiguren bleiben stereotyp – oft Schrullen oder Spielverderberinnen. Eine Figur feiert, dass durch die Corona-Vorschriften immerhin die nervige Mutter fortbleibt.“

Der Vorwurf der Frauenfeindlichkeit klebt an mir seit Jahrzehnten wie die Kategorie „Der bewegte Mann“ hinter meinem Namen. Als wenn die Männer bei mir nicht „stereotyp“ wären! Das sind triebgesteuerte Männchen mit Komplexen, Allüren und sonstigen Neurosen! Gibt es denn keine nervigen Mütter? Wäre der Comic lustiger, wenn der Typ sich auf seine supernette Mutter freute? Pauls Schwester Edeltraut und Konrads Ex-Freundin Brigitte sind seit 30 Jahren eingeführte Figuren, aber abgesehen davon finden sich gerade in „Vervirte Zeiten“ jede Menge Frauen, die nicht mehr oder weniger „schrullig“ sind wie die Männchen auch.

„Und Millie, die einzige Frau of Color, will erklären, was übergriffig, gewaltsam und völlig unromantisch daran ist, wenn sie Fotos der Penisse fremder Menschen geschickt bekommt, ungefragt.“

Millie kam bei der Facebook- und Instagram-Gemeinde auch für mich überraschend prima an. Dass sie die „einzige Frau of Color“ ist, ist in diesem Text Rassismus-Vorwurf Nummer 1. Immerhin ist sie schon mal eine! Ich habe in 40 Jahren Comiczeichnen abgebildet, was in meiner unmittelbaren Umgebung zu sehen war, sehr viele People of Color kamen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis in den Stationen Soest, Dortmund, Köln leider (!) nicht vor. Wäre es anders gewesen, sähen auch die Comics bunter aus.

„Paul sagt, ihn machen unerbetene Fotos an. Und Millie wird dann seitenlang zur Heuchlerin oder Schwätzerin, weil sie begeistert durch Pauls Fotoalben voller Dickpics und Selfies stöbert.“

Dass Frauen sich in der Regel von ungebetenen Dickpics abgestoßen fühlen, klar und verständlich. Und genau darum: Der Unterschied vom schwulen Blick auf testosteronbesoffene Männer zum heteroweiblichen war für mich immer Stoff für Comics, vor allem mit Paul (den ja, nebenbei, selbst ich nicht durchgehend sympathisch finde). Die Szene, in der Millie in Konrads Küche (in geschütztem Raum) mit Paul in Sektlaune (schwule) Pimmel begutachtet, ist nicht so weit hergeholt. Da ist eine Frau mal keine Spaßbremse und wieder ist es nicht richtig. „Heuchlerin und Schwätzerin“? Den oft lockereren Umgang mit Sexualität, den Schwule untereinander genießen, weil nun mal Mann auf Mann trifft und der Geschlechterkampf wegfällt, finden Heteros häufig beneidenswert. Was übrigens Hauptgrund ist, dass meine Comics nicht nur von Schwulen gelesen werden, sondern von mindestens ebenso vielen Frauen und überhaupt Heteros.

© Ralf König

„Nach jedem Interview, Podcast und Portrait über Ralf König denke ich: ‚Das ist einer von den Guten.‘ Doch seit ein Wandbild mit queeren Figuren, das er 2015 fürs ‚Rainbow House‘ in Brüssel entwarf, 2019 kritisiert wurde (eine schwarze Figur wirkt wie eine rassistische Karikatur; und eine saloppe Drag Queen wie die transfeindliche Karikatur einer Transfrau), lässt König oft hilflose (oder patzige?) Sätze fallen wie ‚Ich nehme in Kauf, wenn sich Leute empören, weil sie etwas sehen oder sehen wollen, was ich gar nicht so gemeint habe. Darauf Rücksicht zu nehmen hieße, den Stift zur Seite zu legen.'“

Rassismus-Vorwurf Nummer 2. Patzig lasse ich gelten, hilflos nicht. Meinem Zitat ist nichts hinzuzufügen. Ich habe erklärt, dass mir eine Knollennase of Color so nicht mehr passieren würde. Dass ich die Figur als selbstbewusst und positiv angelegt habe, aber dass es eine allzu unbedarfte Idee war, ihr roten Lippenstift zu verpassen (weil alle Figuren, die bei mir Lippenstift draufhaben, dicke Lippen haben!): Mea culpa. Auch ich lerne dazu.

Das mit der Transfrau bleibt eine Unterstellung. Es ist eine Drag-Queen, und so stöckeln sie auf jedem CSD herum, so hab ich selbst jahrelang auf Partys und im Karneval ausgesehen, nur dick war ich nicht. (Der Vorwurf der Dickenfeindlichkeit wurde hier vergessen!) So liebe ich sie, so zeichne ich sie, seit 40 Jahren. „Trümmertunten“, hieß das früher. Wenn jemand unbedingt die „transfeindliche Karikatur einer Transfrau“ darin sehen will, hebe ich die Hände.

Das Rainbowhouse „drohte“ mir an, das Wandbild von einem anderen Künstler übermalen zu lassen, wenn ich keinen anderen Entwurf anbiete. Das habe ich abgelehnt. Ich habe ihnen geschrieben, wenn sich wirklich jemand verletzt fühlt, sollen sie es entfernen, es ist ja ihre Wand. Was hätte ich denn sonst schreiben sollen, darauf bestehen, dass das Bild dortbleibt? Ich habe ihnen sogar das Konterfei einer Lesbe of Color zugeschickt, ohne Lippenstiftlippen, damit sie das beanstandete Gesicht überarbeiten können. Eine Antwort auf meine Mails bekam ich übrigens nie, man hat wohl beschlossen, dass ich kein „Guter“ bin.

„‚Vervirte Zeiten‘ wirkt spöttisch, aber liebevoll. Besonders frisch, emanzipatorisch, empowernd, feministisch wirkt es auf mich nicht.“

Und das soll es auch nicht. Solche Erwartungen sind nicht meine Intention. Ich wäre ja neugierig auf Comics und Cartoons, die von jungen Talenten aus der queeren Szene kommen und die diese Themen aus ihren „frischen“ Blickwinkeln aufgreifen. Ich bin kein Aktivist, ich bin Comicautor, und weil ich schwul bin, sind es eben schwule Comics. Dass die Comics in vier Jahrzehnten einiges bewirkt haben und ich im Emanzipationsgetriebe eines der vielen Rädchen war, freut mich. Aber primär geht es mir darum, zu unterhalten, nicht aufzuklären.

„Wenn die Männer von allen Straßennamen Kölns ausgerechnet die M*hrenstraße erwähnen oder Konrad über ‚politisches Meinungsgezetere‘ im Netz klagt, bin ich skeptisch, ob Ralf König bald Kluges, Frisches, Witziges zu sagen hat über ‚Political Correctness, gendergerechte Sprache, Querelen in der queeren Szene und verabscheuungswürdige alte weiße Männer‘.“

Die überflüssige Fußgängerampel (3 Meter breite Straße, selten ein Auto, aber gefühlt 4 Minuten stehen), die ich mir als Kölner erlaubte in der Sprechblase zu erwähnen, liegt nun mal an der Mohrenstraße. Ich habe mich auch gewundert, dass das in Köln kaum Thema zu sein scheint, während wegen der Berliner Mohrenstraße Auseinandersetzungen stattfinden. Aber ich finde es ehrlicher, die Welt so zu beschreiben, wie sie ist, und nicht, wie sie nach PC-Kriterien idealerweise sein sollte. Also „ausgerechnet“ die Mohrenstrasse! Was genau ist, zurückgefragt, der Vorwurf hinter den Zeilen? Genau: Rassismus-Vorwurf Nummer 3.

Und ja, ich sehe womöglich davon ab, ein ganzes Buch über Political Correctness zu zeichnen. Ich bin ein harmoniebedürftiger Mensch und nicht scharf auf Shitstorms von allen Seiten. Gelassenheit und Selbstironie stehen offensichtlich nicht mehr hoch im Kurs. Wenn – wohl vor allem in Berlin – Queerfeministinnen gegen Schwule gegen Transleute gegen Drags gegen Lesben in Männergestalt gegen sonst wen sind, ist das zweifellos Stoff für Satire. Aber klar, ich bin mit 60 ein alter weißer schwuler cis-Mann! Da gilt es, in alle Fettnäpfe gleichzeitig zu treten und keinen zu vergessen.

Altersgeilheit ist übrigens besser als gar keine Geilheit. Und „denkfaul“ – man darf mir glauben, es gibt einiges zu denken an einem achtmonatigen täglichen Strip. Dass es nicht das ist, was ich nach PC-Kriterien offenbar zu denken habe, kann ich aber nicht bedauerlich finden.

„Aktuell arbeitet er an einem „Lucky Luke‘-Band im König-Stil. In einem Radio-Interview sagte er, dass auch Native Americans vorkommen, und dass er zuckt, wenn sie im Text ‚Ind*aner‘ genannt werden – doch nicht weiß, wie man sie halt sonst nennen soll. Dann frag! Sprich mit Aktivist*innen! Von einem Comic-Künstler, der geschätzt wird, weil er genau hinhört, hinschaut und einige schwule Subkulturen genau beschreiben kann, erwarte ich da mehr.“

Ich zucke gar nicht, ich war nur in Erwartung genau dieser Reaktion. Rassismus-Vorwurf Nummer 4. Ja, in meiner Lucky Luke-Hommage wird das Wort „Indianer“ fallen. Es ist ein Western! Spielt Achtzehnhundertsoundso. Lucky Luke badet mit Bud, einem anderen Cowboy, im See und sagt: „Wir werden beobachtet.“ Bud: „Von wo? Von wem“? Luke: “Oben auf dem Hügel.“ Bud: “Scheiße! Indianer?“ Luke: „Chicoree!“ Soll Lucky Luke ernsthaft sagen: „Da oben auf dem Hügel beobachten uns Native Americans?“

Er stößt mich ab, dieser schon fast religiöse Eifer, Leute in „die Guten“ und „die Schlechten“ einzuteilen, nur weil man keine Gendersternchen benutzen mag oder sonstwie nicht auf Linie ist! Es wird so sein, dass meine Comics für einige jetzt schon alt aussehen. Solange meine älteren und auch jüngeren Leser und Leserinnen aber Spaß daran haben, erlaube ich mir, noch eine Weile weiterzuzeichnen. Was von mir von wem auch immer in Teilen der queeren Community „erwartet“ wird, tangiert mich dabei, wie gesagt, wenig. Im Wallstein-Verlag erschien unlängst das „Jahrbuch Sexualitäten 2020“, darin findet sich ebenfalls ein längerer Text von mir zu diesen Zusammenhängen.

Nichts für ungut. Danke schön.

Ralf König, 1960 in Soest geboren, Studium der freien Graphik an der Kunstakademie Düsseldorf, ab 1980 Comic-Veröffentlichungen in diversen Schwulenmagazinen. Durchbruch mit „Der bewegte Mann“ (1987), der als Comic wie als Film ein großes Publikum eroberte. Vielfache Auszeichnungen (u. a. 2010 mit dem Max-und-Moritz-Preis für den besten Comic-Strip für „Prototyp“ und „Archetyp“). Seine Comics sind in 18 Sprachen übersetzt. Zahlreiche Ausstellungen, z. B. 2012 „Das Ursula-Projekt“ im Kölnischen Stadtmuseum zu den „Elftausend Jungfrauen“. 2014 erhielt er den Max-und-Moritz-Preis für sein Lebenswerk.