„Ich wurde von der Aktualität der Geschichte überrumpelt“

Als der Schweizer Comicerzähler Jan Bachmann 2018 mit seiner respektlos-wilden Erich-Mühsam-Burleske „Mühsam – Anarchist in Anführungsstrichen“ debütierte, war schnell klar, dass man es hier mit einer der interessantesten neuen Stimmen der deutschsprachigen Comiclandschaft zu tun hat. Anfang Mai erschien sein neues, bereits drittes Werk „Der Kaiser im Exil“ – eine vergnügliche Abrechnung mit der Borniertheit der Mächtigen in Gestalt des exilierten Kaiser Wilhelm nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg. Wir präsentieren das folgende Presse-Interview mit freundlicher Genehmigung der Edition Moderne.

Lieber Jan, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, mit uns über dein neues Buch zu plaudern. Vor drei Jahren hast du mit „Mühsam“ dein Comicdebüt bei Edition Moderne vorgelegt. Könntest du uns eingangs ein bisschen über deine Comic-Sozialisation erzählen?

Jan Bachmann: „Der Kaiser im Exil“.
Edition Moderne, Zürich 2021. 160 Seiten. 32 Euro

Comics waren irgendwie immer vorhanden in meinem Leben. Mein Vater hat Comics gelesen und gesammelt und auch in der öffentlichen Bibliothek gab es eine sehr erfreuliche Auswahl an Büchern. Das ist ja die Grundlage, dass die irgendwie verfügbar sind. Margerins „Lucien“ zum Beispiel, die Pariser Halbstarken-Rockerbande aus den 80ern. Oder Willy Vandersteens „Suske und Wiske“, die zwei Kinder mit ihrem Halbstarken-Onkel Pankwitz aus den 50ern. Oder Zwicky, der Schweizer Halbstarken-Spießer von Jaermann und Schaad aus den frühen 90ern. Das sind Bücher, in denen ich als Kind gelebt habe. Oder Carl Barks‘ Donald Duck, der Halbstarken-Charakter per se. Man erkennt das Muster: Meine Comichelden waren halbstarke, etwas peinliche Männer. Ja und dabei bin ich eigentlich geblieben.

„Der Kaiser im Exil“ ist bereits dein drittes Buch, das Anfang des 20. Jahrhunderts angesiedelt ist. Bist du ein History-Buff? Was fasziniert dich so an dieser Epoche?

Ich glaube nicht, dass dieser Begriff auf mich zutrifft. Die Geschichten und Figuren interessieren mich ja erst in der Anwendung auf unsere Zeit. Geschichten aus der Anfangszeit des 20. Jahrhunderts bieten sich dafür einfach gut an. Weil da ideologisch schon so viel vorhanden ist, womit wir uns heute immer noch herumschlagen. Natürlich hätte ich anstelle von Wilhelm auch gleich einen Comic über Trump machen können. Aber darauf hätte ich überhaupt keine Lust gehabt. Das Historische kann ich mir einfacher aneignen. Einerseits hat das natürlich mit Persönlichkeitsrechten zu tun, andererseits wird durch die Distanz auch Grundsätzlicheres sichtbar.

In „Mühsam“ und „Der Berg der nackten Wahrheiten“ hast du dich ein bisschen an linken Legenden abgearbeitet, in „Der Kaiser im Exil“ wechselst du auf die andere Seite des politischen/ideologischen Machtspektrums. Wie kam es, dass du dich mit dem letzten deutschen Kaiser und seinem unrühmlichen Abgang beschäftigen wolltest? Was hat dich an dieser Personalie gereizt?

„Der Berg der nackten Wahrheiten“ spielt im Kontext der deutsch-deutschen Lebensreform-Kommune Monte Verità um 1900 in der Schweiz. Man hatte romantische Vorstellungen des natürlichen Lebens in der Natur, tanzte nackt, aß vegan. Gleichzeitig war das natürlich auch ein Fluchtversuch vor dem preussischen Militärstaat. Dass dieser Ort in den 1920ern just vom kaiserlichen Banker (und späteren NSDAP-Mitglied) Eduard van der Heydt aufgekauft und in ein teures Ferienresort umgebaut wurde, ist aber kein Zufall. Sowohl die Lebensreformbewegung als auch das Kaiserreich sind durchzogen vom Pathos der deutschen Romantik, die ohne jede Frage auch den Boden für den deutschen Faschismus bereitet hat. Und aus Pathos lässt sich nun einmal gut Comedy machen. Wilhelm II ist dabei nur die Spitze des Eisbergs, aber an ihm und seinem Umfeld lässt sich wunderbar erkennen, wie unglaublich pubertär diese Ideen waren und nach wie vor sind. Denn vorbei ist die Geschichte ja leider nicht.

Seite aus „Der Kaiser im Exil“ (Edition Moderne)

Könntest du uns ein bisschen zu deinem Recherche- und erzählerischen Ansatz verraten? In allen deinen Büchern arbeitest du mit historischen Texten und Originalzitaten, die du dann mit der zeichnerischen Ebene konterkarierst. In „Mühsam“ war das noch einfach – da hattest du „nur“ das Tagebuch Erich Mühsam als Vorlage. Bei „Kaiser“ arbeitest du mit mehreren Quellen, aus denen du eine chronologische Erzählung über Wilhelms Exil in den Niederlanden und seinen Gemütszustand zusammenpuzzelst. Wie bist du bei der Auswahl der Quellen und ihrer Inhalte vorgegangen?

Ich arbeite da sehr intuitiv. Auf die Quellen bin ich bei meiner Recherche zum Monte Verità gestoßen und da war eigentlich sofort klar, dass das fantastisches Material für ein Comic ist. Allerdings war ich mir erst nicht sicher, ob ich mir das selber antun möchte. Im Gegensatz zu „Mühsam“ und eigentlich auch zu „Der Berg der nackten Wahrheiten“ bin ich den Protagonist*innen dieses Buchs natürlich weniger sympathisch verbunden. Das Prinzip ist aber eigentlich immer dasselbe. Der Blick auf die historische Quelle aktualisiert sich durch die Einbindung in einen Comic. Sätze wie „An diesem Tische, in Sehweite des Rheins, der nicht nur durch Deutschland, sondern durch Deutschlands Geschichte strömt, unterschrieb der Kaiser das Blatt, das ihn endgültig zu einem Ex-Kaiser machte“ und weiter „Die Unterschrift ‚Wilhelm‘ war so kühn, die Schnörkel so reich und kräftig wie immer“ – das ist ja bereits Comedy. Da stellt sich die Ideologie in ihrem ganzen Pathos selber aus. Meine Arbeit ist es lediglich, die Sätze aus dem Kontext zu nehmen und neu einzurahmen.

Für „Kaiser“ hast du deinen sehr expressiven, überzeichneten Stil noch mal aufgedreht: Die Natur wirkt wie beseelt, die Menschen wie Fantasiewesen und die Farbgebung in flächigen Pasteltönen verstärkt den Eindruck, ein Märchen zu lesen. Was kannst du uns über deinen zeichnerischen Ansatz erzählen?

Ich habe bei der Arbeit an diesem Textmaterial schnell gemerkt, dass ich eine dominantere Form brauche. Um nicht zynisch zu werden. Die Zeichnungen sollen ein Eigenleben haben, irgendwie eine Utopie gegen den Text stellen. Am Ende möchte ich ja trotz allem eine stärkende Erfahrung schaffen. Ich habe etwas herumexperimentiert und mich für fünf Farben entschieden. Auch die Zeichnungen sind grafischer und klarer geworden. Ein poetisches Aufrüsten als Selbstverteidigung sozusagen.

Seite aus „Der Kaiser im Exil“ (Edition Moderne)

Seit kurzem sind die Erben Kaiser Wilhelms und seines Sohnes Wilhelm von Preußen wieder in den Nachrichten, weil die Hohenzollern sich mit dem Land Brandenburg um Tausende von nach dem Zweiten Weltkrieg beschlagnahmte Kunstgegenstände streiten. Welche Rolle spielte diese Debatte für dich, als du das Skript für deinen Comic geschrieben hast?

Ich muss ehrlich sagen, dass ich von der Aktualität der Geschichte etwas überrumpelt wurde. Wilhelm II war für mich in erster Linie eine historische Figur, die ich auf unsere Zeit anwenden wollte. Und plötzlich ist sie wieder sehr aktuell. In Deutschland hat im Gegensatz zu Frankreich oder Russland keine Revolution gesiegt, sondern die Entente-Mächte. Die Weimarer Republik hat fast alle Besitztümer der adligen Klasse unangetastet gelassen. Und keine Hinrichtungen vorgenommen. Die Verachtung darüber ist in den Quellen aus dem Umfeld der Kaiserfamilie überdeutlich. Trotzdem inszenierte man sich in der Öffentlichkeit natürlich als Opfer. Und das tut man nach wie vor. Bis heute in voller Verachtung der eigentlichen Opfer. Den Opfern in den ehemaligen Kolonien, die bis heute nicht ordentlich entschädigt wurden. Den Opfern aus der Arbeiterklasse im Ersten Weltkrieg. Diese Ignoranz lässt sich für mich nur aus einer Herrenmenschenideologie heraus erklären, die in diesen Kreisen offensichtlich bis heute ungebrochen existiert. Darüber muss man sich unbedingt lustig machen.

Im Laufe der Entschädigungsdebatte wurde auch historisch und politisch viel über die Rolle, die die Hohenzollern beim Aufstieg des Nationalsozialismus hatten, diskutiert, Anfang 2020 sogar im Bundestag. Als Identifikationsfiguren für die deutsche Rechte, siehe Reichsbürger, haben sich Wilhelm und das Kaiserreich längst etabliert.

Ja, Kubitschek war sich nicht einmal zu blöd dafür, den Nationalsozialismus als linkes Projekt zu bezeichnen – weil es da eben um einen „neuen Menschen“ gegangen sei. Während er sich und damit die AfD in der Tradition des Kaiserreichs sieht, als Konservative nämlich. Das ist natürlich totaler Humbug.

Als eine Art Beschäftigungstherapie zieht Wilhelm immer wieder in den Wald seines Gastgebers aus und macht die Bäume zu Kleinholz. „Der Kaiser sägte heute seinen 11.000sten Baum“, zitierst du einen deutschen Offizier, der den Kaiser im Exil „betreut“ hat. Was hatte es mit diesem Wald auf sich? Und hat er sich jemals von der deutschen Invasion erholt?

Ob sich die Wälder der Familie Bentinck jemals erholt haben, weiß ich nicht. Ich selber war nie dort. Natürlich ging es Wilhelm auch hier um die romantische Erzählung „vom obersten Kriegsherrn zum einfachen Holzfäller“ – aber dann eben doch nicht ein einfacher Holzfäller, sondern der krasseste Holzfäller. Dafür hat er sich ein kleines Team zusammengestellt und täglich bis zu 80 Bäume sinnlos niedergehackt. Das Bäumefällen hat sich also sehr einfach als Symbol für die Sinnlosigkeit des eben verlorenen Kriegs, für das Mindset dieses Männervereins verwenden lassen. Die Idee, den Bäumen Gesichter zu geben, sie zu Zuschauer*innen und Opfer zu machen, kam erst in der Mitte des Prozesses und war meine psychische Rettung. Sie wurden meine Identifikationsfiguren. Das ist natürlich auch sehr romantisch gedacht von mir.

Und zum Schluss: Ich hab‘s natürlich kapiert (ähm), aber mal angenommen, jemand steigt da nicht so schnell durch: Was hat es mit dem Vogel, den Kaiser Wilhelm auf dem Kopf hat, auf sich?

Also ich hab‘s nicht wirklich kapiert und auch nie recherchiert, aber es gibt zahlreiche Ölgemälde Wilhelms mit einer Taube auf dem Helm. Wird wohl auch irgendeinen symbolischen Wert haben. Für einen Zeichner sind solche Details natürlich ein Geschenk.

Seite aus „Der Kaiser im Exil“ (Edition Moderne)