Was der Kaiser zum Frühstück aß

In „Der Kaiser im Exil“ hat sich Jan Bachmann den letzten deutschen Kaiser Wilhelm II. nach seiner Abdankung vorgenommen und eine Abrechnung mit kaisertreuer Geschichtsschreibung vorgelegt.

Jan Bachmann nähert sich dem letzten deutschen Kaiser durch Quellenstudium. Und zwar vor allem durch die Schriften von zwei kaisertreuen Zeitgenossen Wilhelms, die ihn in seinem holländischen Exil begleitet haben: seinem Flügeladjutanten Sigurd von Ilsemann und Norah Bentinck, einer Verwandten des Grafen Bentinck, der Wilhelm in seinem holländischen Exil aufgenommen hat. Für den Erzähltext des Comics hat Jan Bachmann Auszüge aus diesen Quellen übernommen – und übrigens auch den Titel „Der Kaiser im Exil“ -, unter dem Norah Bentinck ihre Erinnerungen veröffentlicht hat.

Das Verrückte an den Erinnerungen: Sie beschreiben das Ende des Jahres 1918 – der Kaiser war gerade gestürzt, Europa nach dem Ersten Weltkrieg zerstört, es gab Aufstände und Revolutionen –, also eine politisch spannende Zeit. Und Norah Bentinck und Sigurd von Ilsemann erzählen voller Hochachtung nichts anderes als belanglose Alltagsbeobachtungen, also was der Kaiser zum Frühstück aß oder welche Kleider er beim Spaziergang trug. Genau das interessiert Jan Bachmann: wie unbedeutende Details in einer Weise erzählt werden, als sei das eine große historische Erzählung.

Jan Bachmann: „Der Kaiser im Exil“.
Edition Moderne, Zürich 2021. 160 Seiten. 32 Euro

Etwa wenn Wilhelm sich im Exil als einfacher Mann inszeniert, zu dessen liebster Beschäftigung es gehört, Holz zu hacken – dann zeigt Jan Bachmann, wie immer mehr Flächen des Gastgebers gerodet werden und lässt beiläufig einfließen, dass Wilhelm erstens gar nicht unbedingt selbst zur Säge greift, sondern sein Personal beim Sägen beaufsichtigt. Und dass seinem Gastgeber das eigentlich gar nicht recht ist, dass da sein Wald abgeholzt wird.

Jan Bachmann arbeitet heraus, wo die Brüche zwischen Inszenierung, Überhöhung und Realität liegen. Und treibt das mit seinen Zeichnungen auf die Spitze. Die haben nichts von dem Erhabenen, das die Beschreibungen der Zeitgenossen nahelegen. Im Gegenteil, sie sind in jeder Hinsicht ein Kontrastprogramm. Kräftige Farben, unruhige Striche und immer wieder so verzerrte Perspektiven, dass daran deutlich wird, dass hier die Welt aus den Fugen geraten ist. Und wenn von Ilsemann davon erzählt, wie hübsch die niederländische Landschaft ist und voller wunderschöner Villen, dann zeichnet Jan Bachmann die Straßen voller Hungernder und Krüppel, die aus dem Krieg zurückgekommen sind.

Das liegt mehr als 100 Jahre zurück und ist noch heute interessant. Zum einen, weil die Hohenzollern – also die Nachfahren von Wilhelm II – gerade vom Staat eine Entschädigung fordern für all die Besitztümer, die sie nach dem Krieg verloren haben. Völlig absurd, meint Jan Bachmann, schließlich seien die Opfer von Wilhelms Politik nicht oder nur unzureichend entschädigt worden. Bachmann meint die Opfer in den deutschen Kolonien und die Soldaten, die im Ersten Weltkrieg verheizt worden seien. In seinem Comic lässt er dazu Norah Bentinck sprechen, die berichtet, wie Wilhelm alles, was von seinem Besitz nicht niet- und nagelfest ist, nach Holland bringen lässt.

Und dann ist die Auseinandersetzung mit Wilhelm zeitgemäß, weil sich gerade Vertreter der AfD und viele Rechtsradikale eben nicht mehr in der Tradition der Nationalsozialisten inszenieren, sondern in der Tradition der Preußen. Der Kaiser wird überhöht – obwohl er vor allem selbstherrlich agiert und alles, was er tut, ins Fiasko führt – solche Inszenierungen dekonstruiert Jan Bachmann in seinem Comic „Der Kaiser im Exil“ auf sehr erhellende und auch sehr komische Weise. Großartig!

Dieser Beitrag erschien zuerst am 06.05.2021 auf: kulturradio rbb

Hier gibt es ein Interview mit Jan Bachmann.

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.

Seite aus „Der Kaiser im Exil“ (Edition Moderne)