Der Berliner avant-verlag schickt zum Auftakt des Bücherherbsts mit „Widerstand ist zwecklos – Nein!“ ein junges deutsches Debüt ins Rennen, das thematisch am politischen Puls der Zeit ist – einen fundierten und clever-verschmitzten Sachcomic in Liv Strömquist’scher D.I.Y.-Optik über Geschichte und Methodik gewaltloser Protestbewegungen. Die Brandenburger Künstlerin Lea Loos hat – wie viele junge Menschen ihrer Generation – über die Sorge um die Klimaentwicklung und die Zukunft des Planeten, ihren Weg zum politischen Engagement gefunden. „Wie können wir als ‚einfache‘ Bürger*innen Menschen in entscheidenden Positionen zwingen, den Klimawandel ernst zu nehmen? Mit dieser Frage im Hinterkopf begann ich mich mit dem Thema Widerstand und Protest auseinanderzusetzen.“ Dabei stieß sie auf Studien von verschiedenen Politolog*innen und Soziolog*innen wie Gene Sharp, Erica Chenoweth und Frances Fox Piven, die sich Geschichte und der Methodik der sozialen Kämpfe beschäftigt haben. Wir präsentieren das folgende Presse-Interview mit freundlicher Genehmigung des Avant-Verlags.
Liebe Lea, in deinem Debütcomic diskutierst du Vor- und Nachteile des gewaltlosen Widerstands anhand der Forschungsergebnisse von Politikwissenschaftler*innen und Soziolog*innen wie Erica Chenoweth, Gene Sharp und Saul Alinsky, die allesamt auch selbst in dem Comic mitspielen dürfen. Wie kam es zu dem Projekt und was hat dich an dem Thema interessiert?
Ich habe in der Fachklasse für Illustration an der HGB in Leipzig studiert und während des Studiums ein Interesse für wissensvermittelnde Illustration und Erklärfilme entwickelt. 2019 näherte sich dann das Ende meines Studiums und damit die Frage, welchem Thema ich mich mit meiner Abschlussarbeit widmen möchte. Da mich damals (wie heute) das Thema Klimawandel sehr beschäftigt hat, überlegte ich, mich in irgendeiner Weise damit zu befassen, kam aber schnell zu dem Schluss, dass uns doch eigentlich alles Wissen, für Jung und Alt verständlich erklärt, zur Verfügung steht und es uns vor allem daran mangelt, die notwendigen Veränderungen hervorzubringen, um den Klimawandel aufzuhalten. Leider reicht es nicht, wenn Einzelne versuchen, klimafreundlicher zu leben – wir brauchen große Veränderungen auf politischer Ebene. Aber wie bewirken wir die? Wie können wir als „einfache“ Bürger*innen Menschen in entscheidenden Positionen zwingen, den Klimawandel ernst zu nehmen? Mit dieser Frage im Hinterkopf begann ich mich mit dem Thema Widerstand und Protest auseinanderzusetzen und stieß dabei schnell auf eine Studie zweier amerikanischer Politikwissenschaftlerinnen, die ich äußerst interessant und aufschlussreich fand. Die Studie zeigt, dass gewaltlose Widerstandsbewegungen historisch betrachtet den gewaltsamen Bewegungen gegenüber einen klaren Vorteil haben. Fasziniert von der Studie und den Theorien der beiden Wissenschaftlerinnen habe ich meine Recherche dann in Richtung gewaltloser Widerstand vertieft. Am Ende hatte ich eine Menge Informationen, die ich gerne leicht verständlich aufbereiten wollte, sodass Menschen, die sich mit dem Thema noch nicht auseinandergesetzt haben, einen ersten Einblick in das Thema bekommen. Der Comic schien mir dafür ein gutes Medium zu sein, da er leicht zugänglich ist und viele Möglichkeiten der Veranschaulichung und Erzählung bietet.
Kannst du uns ein bisschen über deine Recherchen erzählen? Wie ist der Stand der Forschung in Sachen Protestkultur und gewaltloser Widerstand?Zum Thema Protest und Widerstand wurde schon sehr viel geschrieben. Die Arbeit von Chenoweth und Stephan (den oben erwähnten Wissenschaftlerinnen) ist jedoch einzigartig. Eine so groß angelegte empirische Studie, die gewaltlose und gewaltsame Widerstände auf deren Effektivität hin vergleicht, gab es – meines Wissens nach – noch nicht. Insbesondere die Studie fand ich spannend, weil Chenoweth und Stephan nicht nur Theorien aufstellen, sondern mithilfe von Daten argumentieren. Die Studie war der Ausgangspunkt meiner Recherche. Von da aus bin ich dann weiter zu Gene Sharp, der sich vor allem mit der Frage beschäftigt hat, wie gewaltlose Widerstandsbewegungen Diktatoren stürzen können. Darüber hinaus habe ich noch andere Bücher und Artikel gelesen, die sich mit Bewegungen beschäftigen, die für ganz unterschiedliche Ziele gekämpft haben (z. B. im Bereich der Menschenrechte, Rechte von Arbeiter*innen, für Gleichberechtigung, LGBT-Rechte oder Umweltschutz).
Die These deines Buchs schickst du auf den ersten Seiten schon vorweg – gewaltloser Widerstand ist historisch erfolgreicher als gewaltsamer. Warum ist das so?
Für Chenoweth und Stephan sind der ausschlaggebende Punkt für den Erfolg einer Widerstandsbewegung die Zahl aktiver Teilnehmender. Je größer und diverser eine Bewegung ist, desto besser sind ihre Chancen auf Erfolg. Gewaltsame Bewegungen schaffen es selten zu einer wirklich großen Bewegung zu werden, weil viele Menschen sich ihnen aus moralischen, physischen und vielen anderen Gründen nicht anschließen können oder wollen. Wendet eine Bewegung Gewalt an, kann die Regierung außerdem die eigene Gewalt leicht rechtfertigen – das geht bei einer gewaltlosen Bewegung nicht so einfach. Im Gegenteil kann die Regierung sich bei gewaltsamem Vorgehen gegen eine gewaltlose Bewegung sogar selbst schaden.
Gene Sharp, der 2018 verstorbene US-Politikwissenschaftler und Pionier der Forschung zu gewaltfreiem Widerstand, nimmt eine prominente Rolle in deinem Buch ein. Von ihm stammt auch der Begriff des „politischen Jiu Jitsu“, d. h., die Kraft der Unterdrücker als Teil des Widerstands gegen sie wenden. Welche Bedeutung haben Sharps Studien für Protestbewegungen und wie relevant sind sie für die heutige Zeit?Ich glaube, Sharps Studien sind auch heute noch aktuell und anwendbar. Gleichzeitig stellen sich heute aber auch neue Herausforderungen. Ein Beispiel dafür wäre der Umgang mit Social Media. Einerseits können die sozialen Medien ein sehr hilfreiches Tool für Bewegungen sein, sie können ihnen aber auch auf unterschiedliche Weise schaden. Chenoweth beschreibt eine seit 2010 erkennbare Abwärtsbewegung der Erfolgskurve von Widerstandsbewegungen – sowohl bei gewaltlosen Bewegungen als auch (und zwar noch stärker) bei gewaltsamen. Es gibt einige Vermutungen dazu, was die Gründe dafür sein könnten, und ich glaube, es ist immer hilfreich, neben der Auseinandersetzung mit altbewährten Methoden auch aktuelle Entwicklungen zu beobachten und ggf. eigene Strategien und Methoden daraufhin zu reflektieren.
Zum Schluss würden mich noch deine Ansichten in Sachen Comic und Wissensvermittlung interessieren. In den letzten Jahren erfreuen sich Sachcomics ungeheuerer Popularität, siehe Liv Strömquist. Was ist der Grund für diesen Erfolg? Und welche Möglichkeiten bietet der Comic in der Didaktik und Bildung?
Ich glaube, der Sachcomic bietet im didaktischen Bereich eine schöne Abwechslung, weil er sich leichter liest als ein Sachtext. Im Comic kann ernsten oder trockenen Themen trotzdem noch etwas Witz hinzugefügt werden. Das Bild macht eine zweite Ebene auf, die den Inhalt des Textes veranschaulichen, erklären, überspitzen oder ironisch kommentieren kann. Auch sind Bilder sehr einprägsam und bieten die Möglichkeit, komplexe Zusammenhänge vereinfacht darzustellen. Die Stärke des Sachcomics liegt meiner Meinung nach darin, dass er informativ und unterhaltsam zugleich sein kann. Er eignet sich damit gut als Einstieg in ein unbekanntes Thema, dem dann eine tiefere Auseinandersetzung folgen kann.
Was kommt als Nächstes? Planst du schon deinen nächsten Comic?
Aktuell beginne ich gerade meinen Seiteneinstieg ins Grundschullehramt und das wird mich mit Sicherheit erst mal eine Zeit lang voll in Anspruch nehmen. Sobald es geht, möchte ich mir dann aber auch wieder Zeit für die Illustration nehmen und – wer weiß – vielleicht ja auch irgendwann noch mal einen Comic zeichnen.