Der Berliner Jaja Verlag ist ein liebenswertes Biotop aus kreativer Energie und Zeichenkunst. Zum 10-jährigen Jubiläum und zum Erscheinen ihrer Verlagsporträt-Comicerzählung „Verlagswesen“ stand uns Annette Köhn, die Jaja-Chefin, die keine Chefin sein will, Rede und Antwort. Wir präsentieren das folgende Presse-Interview mit freundlicher Genehmigung des Jaja Verlags.
Liebe Annette, bevor wir uns dem großen Jubiläum und deinem tollen Jubiläumsbuch zuwenden, magst du uns erst mal ein bisschen über dich als Comickünstlerin erzählen? Wie bist mit dem Comic in Kontakt gekommen? Was hat dich an dem Medium und seinen Möglichkeiten, Geschichten zu erzählen, fasziniert?
Comics fand ich schon als Kind cool, ich las Micky Maus, Lucky Luke, die Schlümpfe, Asterix und Obelix und zeichnete auch gern selbst Geschichten. Meine zwei großen Brüder waren auch sehr Comic-affin und hey, ich wuchs in der Comicstadt Erlangen auf! Den Comic-Salon besuchte ich also seit jeher und jedes Mal, wobei mich auch schon immer die Ausstellungen am meisten faszinierten. Ich ging immer ganz nah ran an die Glasscheibe, um ein Original zu bewundern und um zu versuchen, herauszufinden, wie diese große Kunst zustande gekommen ist.
Ja, mehr als die Geschichten haben mich schon immer die bildnerischen Techniken interessiert, das hat mich am meisten „angemacht“ – zu studieren und zu erfahren, auf wie viel verschiedene Arten der Ausdruck in eine Comicseite kommen kann und wie diese ehrenwerten Comickünstler einen Stil entwickelt haben (selbst einen coolen Stil zu finden, war schon immer mein Ansinnen).
Aber klar, auch die Geschichten waren wichtig und ein Berufswunsch aus der Grundschulzeit war, Schriftstellerin zu werden. Ich war eine Leseratte und schrieb leidenschaftlich gern Geschichten und lange Briefe. Ich liebte auch das Buch an sich, als gestalteten Gegenstand mit schönem Umschlag und der ganzen Haptik und mit den Welten, die es öffnete. Im Kommunikationsdesign-Studium verband und erklärte sich für mich dann mehr und mehr das Zusammenspiel von visueller Kunst und Inhalt/Botschaft, und das Medium Comic wurde mein Lieblingsmedium.
2011 wurde aus der Comickünstlerin die Comicverlegerin. Kannst du uns mehr über diese Zeit erzählen? Was war der Auslöser für deine Entscheidung, selbst ins Verlagsbusiness einzusteigen?
Kleine Korrektur: Ich hätte mich 2011 (noch) nicht Comickünstlerin genannt, hauptsächlich war ich in der Zeit als freiberufliche Grafikerin tätig und „die liebe Kunst“ war eher ein Steckenpferd und konnte alles mögliche sein, nicht nur Comic. Also als eine Künstlerin hätte ich mich schon bezeichnet. Und als Netzwerkerin in der Szene der Zeichner*innen und Comicfreund*innen. Vor der Verlagsgründung lagen ja fünf Jahre Ateliergemeinschaft Musenstube, die sehr prägend waren. Da gab es viel Austausch und gemeinsamen Kunstgenuss (= Kultur), es gab Veranstaltungen, Ausstellungen mit Musik, Workshops, Aktzeichnen. Mit den Arbeitskolleginnen (den Musen) gab es auch immer fruchtbaren Austausch, also wechselseitige Inspiration und Know-How-Weitergeben, und es entstanden auch Papier-Produkte, z. B. Kartensets, die wir gestalteten und dann selbst siebdruckten. Vieles im kreativen Business lernt man doch am besten beim Machen und so probierte ich einfach aus, bspw. wie wir unsere Kunst bekannt machen können, was besser und was schlechter „funktioniert“, wie wir die Produkte in den Handel bekommen usw. Ohne es ganz bewusst zu planen, legte ich vor 2011 alle Grundsteine, die ich dann zur Verlagsgründung brauchte. Aber ein bisschen auf dem Schirm hatte ich den Traumberuf Comicverlegerin schon… es gab 2009 oder so mal einen Artikel in der Kiezzeitung über Kreative im Prekariat und aus dem Gespräch mit mir wurde ich dann zitiert mit: „Ich will eigentlich keine feste Anstellung, höchstens als Chefin in einem Verlag.“
Der eigentliche Auslöser war dann im Sommer 2011, dass Mitmuse Maki [Shimizu] ihren Comic über ihren Alltag in Berlin und in unserer Musenstube im Speziellen fertiggezeichnet hatte. Und auf meinem Konto war ausnahmsweise gerade ein niedriger vierstelliger Betrag, da war die Zeit eben reif, die Umstände günstig. Jetzt kommt der Jaja Verlag! Und nein, ich hatte keinen Finanzplan, keinen Entwicklungsplan, kein Konzept aufgeschrieben, ich wollte Jaja einfach einen Comicverlag werden lassen, ihn „natürlich“ wachsen und gedeihen lassen und joah, vielleicht gerne bekannter und anerkannter werden und vielleicht sogar berühmt? 😉 Ach, und dann vielleicht davon leben können, das wäre auch hilfreich. Aber mehr geplant wurde nicht, ich war dann einfach am Machen und hätte damals vielleicht auch nicht geahnt, wie sehr mich dieses Business vereinnahmen würde…Maki Shimizu, deren neuen Comic „Über Leben“ du jüngst verlegt hast, hat auch in „Verlagswesen“ eine nette Nebenrolle, zusammen mit ihren beiden Comicfiguren Maki Maus und Adagio. Du bist Maki als Verlegerin schon seit 10 Jahren treu. Magst du uns anhand von eurer Zusammenarbeit über dein Konzept zum Umgang mit und Aufbau von Autor*innen erzählen?
Ja, Maki ist ein gutes Beispiel für mein „Konzept zum Umgang“ mit den Autor*innen. Aber bei der Formulierung „Aufbau von Autor*innen“ muss ich schmunzeln. Das ist so „Verlags-Sprech“, wie ich ihn in den ersten Verlegerinnenjahren auch folgendermaßen gegenüber meinen Autor*innen formulierte: „Ich will, dass ihr alle reich und berühmt werdet.“ Schmunzeln muss ich, weil das nur die eine Aufbaurichtung beschreibt und ich im Rückblick vor allem sehe, wie die Jaja-Autor*innen den Verlag „aufgebaut“ haben. Für mich war das Herausbringen der Comics im Namen von Jaja immer eine wechselseitige Bereicherung und mit Maki verbindet mich auch neben einer Freundschaft eine 15-jährige „Künstlerweg-Karriere“, in der wir uns inspiriert, geprägt und unterstützt haben. Natürlich kann ich nicht mit allen Autor*innen des Jaja Verlags so eng befreundet sein wie mit Maki, aber mein „Konzept zum Umgang“ ist bei allen das gleiche: Ich begegne den Autor*innen auf Augenhöhe, eigentlich mehr als Kollegin*innen und Gleichgesinnten, die auch Comics zeichnen und das viel besser können als ich. Deren Werk ich bewundere und wertschätze und mich geehrt fühle, dass ich das bei Jaja herausbringen darf und damit dem Gesamtkunstwerk (eigentlich Gesamtprogramm) eine künstlerische Note hinzufüge.
Ich weiß, es ist eine Unart, Verleger*innen nach ihren Lieblingsbüchern zu fragen, aber gibt es Bücher aus deinen letzten 10 Jahren, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind, weil sie für bestimmte Etappen und Ereignisse in der Verlagsgeschichte stehen?Neben den fünf bereits vorgestellten Büchern, denke ich da auch an „Earth unplugged“ von Jennifer Daniel, den Kurzcomic, den ich vom Stil her immer noch großartig finde. Der Band kam Ende des ersten Verlagsjahres heraus, wurde 2013 vom ICOM lobend erwähnt und 2014 beim Comicsalon in Erlangen für den Max und Moritz-Preis nominiert. Das war ganz klar ein Meilenstein für Jaja, eine riesige Freude für die Jaja-Familie und die aufmerksam gewordene Presse sprach vom „Ritterschlag der Comic-Szene“.
Anfang 2014 habe ich bei Jaja meinen eigenen ersten Lang-Comic „Leto – Reise in die HALONGBUCHT“ herausgebracht. Das war eher ein persönlicher Meilenstein, auch dass er 2015 ins Vietnamesische übersetzt wurde und ich vom Goethe-Institut Hanoi zu den Europäischen Literaturtagen nach Vietnam eingeladen wurde, da erfüllten sich ein paar Künstlerträume gleichzeitig.
„Tüti“ von Dominik Wendland bleibt für mich immer verbunden mit dem Comicsalon 2018, „der mit den Zelten“, als wir den Comic und den Autor ausgiebigst feierten und seine Comicfigur Tüti auf Tüten, T-Shirts, Stickern, Werbeheft und die Fahne vor „unserem“ Zelt ausbreiteten und wir so viele waren und so viel Spaß zusammen hatten. Außerdem ist mit Dominik auch eine Freundschaft gewachsen.
Der Jaja Verlag veröffentlicht nicht nur Comics, sondern auch Kalender, Postkarten, Poster – ich denke, mit diesem stark auf die Illustrationskunst fokussierten Ansatz unterscheidet ihr euch deutlich von anderen kleineren Comicverlagen. Welchen Anteil nimmt dieser Aspekt im Verlagsprofil ein, und was bedeutet dieser Geschäftsbereich für dich?
Es hat sich ein wenig gewandelt in den letzten zehn Jahren. Am Anfang wurde alles mögliche ausprobiert und zu Grunde lag für mich bei allem der künstlerische Strich, die feine Illustration, die Bildsprache. Ich hatte mich in den ersten Jahren auch an Kinderbilderbücher versucht, gab das Segment aber wegen Unwirtschaftlichkeit auf. Tatsächlich um mehr für die gleichsam unwirtschaftlichen Comics zu glühen und zu kämpfen. Nach wie vor gibt es fast jedes Jahr ein neues Kochbuch und mehrere Kalender, die gehören mittlerweile zum Traditionsgeschäft und bescheren dem Verlag einen sicheren Umsatz. Nur mit Comics hätte sich der Verlag nie getragen und hätte sich wahrscheinlich nicht so entwickelt, und ich empfand es auch immer als Comic-Förderung, wenn ich Menschen aus der Illustrationsblase oder einfach „Comic-Unbedarfte“ auf das Medium aufmerksam machen konnte.
Gerade erschien mit „Verlagswesen“ dein eigenes neues Buch, pünktlich zum Jubiläum. Was kannst du uns über das Projekt erzählen? Wie kam es zu der Idee, den Comic zu machen?Tja, also erstens gab es generell für mich seit „Leto“ den Wunsch, wieder einen Comic zu zeichnen, aber dieses Mal (ernsthafter!) für Erwachsene. Seit 2018 dachte ich an was Autobiografisches und weil in meinem Leben fast nix anderes als Jaja passiert, wurde bald klar, dass es in dem Werk um den Verlag gehen muss. Dann stand auch das Jubiläum an und es erschien genug Zeit zu sein, bis 2021 dem 10-Jährigen gebührend „irgendwas Großartiges (oder Schönes)“ hinzukriegen, das bei Jaja erscheint und der Welt da draußen ein wenig näherbringt, wie es im Inneren des Jaja Verlags tickt – und mit dem ich mich selbst als Comiczeichnerin – wie sagt man so schön – selbstverwirklichen möge. Es hat ein wenig gedauert, bis ich einen Plan hatte, wie ich den Comic anlege, also über welchen Zeitraum ich erzähle oder wie ich die Ereignisse in einer Geschichte verbinde, da gab es so viele Möglichkeiten. Schließlich hielt ich an der Idee fest, dass ich einfach erst alles aufschreibe, was im Verlagsarbeitsalltag so passieren kann und dann alles an einem Tag passieren lasse und in einer Geschichte verknüpfe. Wie in einem Film ohne Schnitt läuft der Comic ohne zeitliche Brüche, das Verlagswesen spielt sich einfach ab und damit ist es mir ganz gut gelungen, finde ich, die Leichtigkeit und die Liebe, die ich mit meinem Herzensprojekt Comicverlag verbinde, zum Ausdruck zu bringen.
Einen großen Teil des Comics machen deine „Musen“ aus – deine Ateliersgenoss*innen, die nicht zum Verlag gehören, aber mit ihrer Gegenwart, ihrer kreativen Energie und ihrer Freundschaft zu dir viel zu der Strahlkraft des Verlags beitragen. Ein bisschen hat man auch das Gefühl, dass ihr Beitrag auch ist, dich von der Arbeit abzulenken und nicht komplett im Geschäftlichen versinken zu lassen.
Das Zutun der Musen und ihre wichtige Bedeutung zur Entstehung des Jaja Verlags habe ich oben ja auch beschrieben und ganz klar wollte ich sie im Comic würdigen. Allerdings kommen sie an dem Tag nicht allesamt besonders gut weg, ich hab sie tatsächlich eher als Störer und Randfiguren dargestellt. Das hat natürlich mit dem Plot zu tun und ich habe Situationen überzogen beim Versuch lustig zu sein. 😉 Sorry, Musen, war nicht böse gemeint!
Neben deinem Alter Ego gibt es noch eine wichtige Figur in deinem Buch, ohne die der Laden nicht zu brummen scheint: Loui, die Qualitätspraktikantin. Es gibt ja den verheißungsvollen Spruch: „Geh gut mit deinem Praktikanten um, er könnte eines Tages dein Chef sein.“ Und ich kann mir keine bessere Chefin für eine Praktikantin vorstellen als dich. Wie ist das so für dich, wenn du Praktis in den Verlag einführst? Was möchtest du ihnen mitgeben? Und was glaubst du, kann ein kleiner, individueller Verlag wie Jaja für Berufseinsteiger*innen für eine Bedeutung haben?Oh, da ist ja erst mal ein fettes Kompliment vor den Fragen, danke schön. 😉 Und wie ist es für mich? Na ja, ich habe schon mal immer Glück, dass es so nette, fleißige und talentierte Praktikant*innen sind, die an den Jaja Verlag geraten, und auf jeden Fall finde ich eine respektvolle, kollegiale Arbeitsatmosphäre gut. Da ich privat und geschäftlich eh nicht so gut trennen kann, habe ich das mit dem Chefin-Sein meistens nicht so im Kopf, es fühlte sich eher wie eine Komplizenschaft an.
Was möchte ich ihnen mitgeben? Na, wie ein (richtiger) Verlag funktioniert und diese Sachen mit der Buchhaltung, den Veranstaltungen, welche Strategien, Ideen, Erinnerungen der Verlegerin durch den Kopf gehen und warum das so und so läuft. Und ich hoffe, die Erfahrung, einen wichtigen Beitrag zu dem Gedeihen des Jaja Verlags „geleistet“ zu haben, macht grundsätzllich Mut und hält die Fackel des Staunens am Brennen. Fußnote: Die Metapher von der Fackel des Staunens habe ich von Paulina Stulin entliehen.
Ich würde dir noch gerne drei, vier Zitate aus „Verlagswesen“ nennen und dich bitten, ob du mir jeweils ein spontanes Feedback zu geben könntest.
– Ich mach und tu.
Ja, das sag ich ganz gern. Da schwingt so ein ähnlich lockerer Ton mit, wie wenn man „Jaja“ sagt.
– Hier. Schenk ich dir.
Ähm. Ja, das mach ich immer gern. Bücher verschenken.
– DHL??!
Ja, der DHL, der macht das Leben spannend… ich könnte ein ganzes Buch füllen mit eigenen DHL-Geschichten und noch ein extra Buch mit DHL-Geschichten anderer Menschen. Gäääähn, wie langweilig wäre das denn! Nun ja, es ist ein sehr zwiespältiges Verhältnis, sagen wir, „es ist kompliziert“.
– Und wieder macht sie aus Träumen Wirklichkeit.
Meine Träume, true… also, z. B. einen Verlag zu haben, das hab ich mir schon als Kind (vor-)ausgedacht.
Hat dein Pressekollege irgendwann gelernt, wie man den Verlagsnamen richtig schreibt? 😉
Ja, hat er ganz schnell. Lernfähige Mitarbeiter sind das A und O im Verlagsbusiness.