Das Politische kaum erfasst

Bevor Bass Reeves 1875 zu einem der ersten schwarzen Deputy US Marshals der Vereinigten Staaten ernannte wurde, lebte er einige Jahre in einem Indianerreservat der Cherokee und Creek. Dort versteckte sich der als Sklave geborene und nach einem Streit mit seinem „Besitzer“ geflohene Reeves bis zur Abschaffung der Sklaverei im Jahre 1865. Wegen seiner hierbei erlangten Kenntnisse der indianischen Kultur(en) und Sprache(n) machte ihn der Marshal des sogenannten Indian Territority zu einem seiner Stellvertreter. Mehr als dreißig Jahre lang erledigte er gewissenhaft seinen Job und stellte in dieser Zeit über 3.000 mutmaßliche Straftäter.

Darko Macan (Szenarist), Igor Kordey (Zeichner): „Marshal Bass Bd. 1-5“.
Splitter Verlag, Bielefeld 2018-2020. Je 15 Euro. Je 56 Seiten

Auch in der Kunstfigur River Bass, des – im wahrsten Wortsinne – Helden der Westerncomicserie „Marshal Bass“, schimmert das historische Vorbild mehr als nur im Namen durch. „Black & White“ heißt jedenfalls der erste Band der (mittlerweile fünfbändigen) Serie, der allerdings schon allein wegen seiner Plotstruktur auch als eine Reminiszenz an den Westerncomic als solchen verstanden werden kann: Deputy Bass schleicht sich unter falschem Namen in eine Bande marodierender Ex-Sklaven ein, welche seit einiger Zeit den Bundesstaat Arizona terrorisiert. Zu seiner Überraschung ist der Anführer der Bande ein weißer Südstaatler, der sich von den anderen Bandenmitgliedern mit „Milord“ ansprechen lässt und zur eigenen Belustigung rassistische Zoten reißt. Noch bevor Bass die Gruppe von innen sprengen kann, fliegt seine Identität auf, jedoch kann er seiner Liquidierung knapp entkommen.

Im furiosen Finale des Bandes wird viel Blut vergossen, bis sich schließlich Bass und „Milord“ persönlich gegenüberstehen. Diesbezüglich wäre also zu bilanzieren: ein einsamer Held, sein bösartiger Gegenspieler und der finale Showdown samt unmittelbarer Konfrontation der Antagonisten. Und auch in puncto Zeichenstil reiht sich der Comic in vielerlei Hinsicht in die Tradition des comicalen Westerngenres ein und erinnert in Strichführung und Farbgebung an Altmeister des Genres wie Antonio Hernandez Palcios („Mac Coy“, „Manos Kelly“) – wenn auch wesentlich glatter bzw. dezenter, und setzt z. B. durch eine modernere Panelrasterung auch eigene Akzente.

Sowohl die knapp umrissene Handlung, der programmatische Titel des Bandes und die Hintergrundgeschichte des fiktiven Helden mit realem Vorbild verweisen allesamt auf eine identitätspolitische Thematik, die sich v. a. in den USA derzeit als höchst virulent erweist, nämlich der Zusammenhang von Polizeigewalt und rassistischer Diskriminierung. In dieser Hinsicht vermag aber „Marshal Bass“ #1 die geweckten Erwartungen kaum zu erfüllen, insbesondere weil er das Politische des Themas nur marginal streift. Der Problematik der sozialen Identitätskonstruktion per Hautfarbe wird einfach mit der Umkehrung des Klischees begegnet: Die Pointe besteht schließlich darin – Vorsicht Spoiler! –, dass hier ein schwarzer Deputy Marshal das staatliche Gewaltmonopol verteidigt und nach langem Hin und Her dem weißen Gangster und Hassverbrecher eine Kugel in den Kopf jagen darf. Eine solchermaßen durchaus unterhaltsam inszenierte Bedienung revanchistischer Gelüste gegenüber Rassisten und sonstig Regressiven kann als progressive Stellungnahme zu identitätspolitischen Fragen allerdings kaum ausreichend sein.

Die vielleicht einzig wirklich starke Szene innerhalb der Geschichte soll hier aber nicht verschwiegen werden, weil dort explizit verhandelt wird, was der Titel „Black & White“ programmatisch vorzugeben scheint: Im retardierenden Moment des Showdowns gibt sich der Anführer der Bande plötzlich selbst als Marshal aus und erklärt Bass zum Betrüger. Die Einwohner des Städtchens, welches er und seine Gang eben noch terrorisierten, sind nun vollkommen überrumpelt. Die Vorstellung eines schwarzen Marshals, der einen weißen Kriminellen stellt, scheint sie so sehr zu überfordern, dass sie das Offensichtliche nicht mehr sehen können (bzw. wollen) und lieber Bass statt ihrer Peiniger zum Galgen schleifen. Mehr solcher Erkenntnismomente hätten dem Comic sicherlich gutgetan.

Diese Kritik erschien zuerst am 25.05.2018 auf: Taz-[ˈkɒmik_blɔg]

Mario Zehe (*1978) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Lehrer für Geschichte, Politik & Wirtschaft an einer Freinet-Schule bei Quedlinburg (Harz). Seit vielen Jahren liest er Comics aller Art, redet und schreibt gern darüber, u. a. im [ˈkɒmik_blɔg] der Taz und für den Freitag.

Seite aus „Marshal Bass“ (Splitter Verlag)