Die Last des Zeichners

Die als „Schwarze Trilogie“ bekannten Romane „Das Leben ist zum Kotzen“, „Die Sonne scheint nicht für uns“ und „Angst im Bauch“ aus den Jahren 1947 und 1948 sind im Gegensatz zu Léo Malets berühmteren Arrondissement-Krimis um Nestor Burma in der Tat grundlegende, formal eher freie Romane, die wesentlich zur Ausbildung des modernen französischen Polar resp. Néo-Polar geführt haben. Politisch dezidiert, gewalthaltig, ohne utopische Elemente – tristesse noir, wuchtig und eindrücklich. Gerne führt man an der Stelle an, dass Léo Malets künstlerische Biografie den Surrealismus um André Breton als entscheidende Station aufweist. Man könnte zwar dann mit einiger Berechtigung von der Geburt des Kriminalromans aus dem Geiste des Surrealismus sprechen, aber natürlich sind diese drei Romane keine „surrealen“ Kriminalromane. Formal und inhaltlich schon gar nicht, und zudem hatte Léo Malet in seinen biografischen Notizen sehr klar gesagt: „Entweder ist man Surrealist, oder man schreibt Kriminalromane.“ Natürlich muss man stilisierenden Selbstaussagen von Schriftstellern gegenüber immer die gebührende methodische Skepsis aufbringen (zumal sich Malet mit dieser Äußerung als „Anarchist“ profilieren wollte, aber das ist ein anderes Thema…), aber ein surrealistischer Kriminalroman ist leider dichtungslogisch nicht zu machen. Oder doch?

Philippe Bonifay (Autor), Youssef Daoudi (Zeichner): „Die Schwarze Trilogie“.
Egmont, Berlin 2009. 168 Seiten. 39,95 Euro (nur noch antiquarisch erhältlich)

Anyway, auch der 3-teilige Comic, den der Szenarist Philippe Bonifay und der Zeichner Youssef Daoudi nach Malets „Schwarzer Trilogie“ geschaffen haben, ist bei weitem kein „surrealistisches Meisterwerk“, wie der Klappentext behauptet. Auch wenn Motive und Bausteine des Surrealismus, also die Psychoanalyse und der Wahnsinn, gerade auch als l´amour fou, in den drei Geschichten eine große Rolle spielen: Die Comic-Fassung der Trilogie ist ein in erstaunlich transparente, manchmal gar sommerlich heitere Bilder gefasster noir. Drei Geschichten von Außenseitern im Nachkriegsfrankreich, dessen ökonomische und politische Verfassung Außenseitern, egal welcher Couleur, keine Chance bietet. Eng an Malets Romanvorlage angelehnt, zeigen uns Bonifay und Daoudi ein böses Panorama von Land und Stadt, von den Schnittstellen zwischen Revolution und schierem Gangstertum, von Unterdrückung und Gewalt und vom vornherein vergeblichen Versuch, sich dagegen zu wehren. Gewalt gewinnt. Aber am Ende eher die systemische, nicht die individuelle.

Vor allem der Zeichner, Youssef Daoudi, hat es schwer – denn man assoziiert schon beinahe automatisch Léo Malet mit den genialen Bilderwelten von Jacques Tardi. Deswegen ist man gerade bei den Stadtansichten geneigt, ganz genau hinzuschauen. Daoudi vermeidet aber glücklicherweise Tardis Kunst der Veduten nicht, sondern zitiert ihn liebevoll, wo’s nicht anders geht, und kümmert sich ansonsten um seine weitgehend naturalistischen, höchstens bei den Gesichtern karikaturistischen Zeichnungen. Screen splitting in einzelnen Panels, ansonsten souveräne Seitenausnutzung und nur gelegentliche Zitation großer Vorlagen (für Philologen des Genres und kunsthistorisch Interessierte gibt’s genug zu tüfteln…) lassen die düsteren Ereignisse in einem erstaunlichen hellen Licht (auch wenn die Szenen gerade im Dunkeln spielen – die Kolorierung hat Damie Callixte Schmitz besorgt) erscheinen, und machen damit die ganze Veranstaltung natürlich nur noch dunkler. Denn bei Daoudi und Bonifay ist der noir in aller Deutlichkeit und mit aller Wucht da, aber er ist in den Alltag eingebaut, dem Alltag nichts Fremdes, selbst wenn dieser Alltag wie hier historisch ist. Bei Malet, manchmal selbst bei Tardi und bei vielen anderen Prosa-Autoren des noir (und gar des putzigen neo-noir der Sorte Guthrie & Co.) relativiert das existentialistische Pathos die Schärfe des Attacke, weil Pathos immer zum unfreiwillig Komischen neigt. Das passiert hier nicht. Deswegen ist die Comicfassung der „Schwarzen Trilogie“ tatsächlich ein „Meisterwerk“.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 17.10.2009 auf: CulturMag

Thomas Wörtche, geboren 1954. Kritiker, Publizist, Literaturwissenschaftler. Beschäftigt sich für Print, Online und Radio mit Büchern, Bildern und Musik, schwerpunktmäßig mit internationaler crime fiction in allen medialen Formen, und mit Literatur aus Lateinamerika, Asien, Afrika und Australien/Ozeanien. Mitglied der Jury des „Weltempfängers“ und anderer Jurys. Er gibt zurzeit das Online-Feuilleton CULTURMAG/CrimeMag und ein eigenes Krimi-Programm bei Suhrkamp heraus. Lebt und arbeitet in Berlin.

Seite aus „Die Schwarze Trilogie“ (Egmont Ehapa)