Streifzug durch die Ära Merkel

© Klaus Stuttmann

Klaus Stuttmann sieht Angela Merkel vielseitig: Auf dem vorläufigen Höhepunkt ihrer Karriere im Jahr 2012 zeichnet er die Kanzlerin als Friedrich der Große. Später dann als Krokodil, das den Vizekanzler Sigmar Gabriel im Maul hat, als Femen-Aktivistin, die sich mit nacktem Oberkörper Präsident Putin entgegenstellt, aber auch als Pippi Langstrumpf oder Fußballfan.

Die einzelnen Zeichnungen zeigen nicht so sehr die Person Merkel, sondern eher ihre politischen Strategien und Rollen. Das ist überraschend, weil sie als Kontinuum gilt und das durch ihr gleichförmiges Auftreten unterstreicht. Stuttmann hat dagegen ihre Wandlungsfähigkeit herausgearbeitet.

Der Person Merkel kommt man eher in der Summe der Zeichnungen näher, spätestens nach der Hälfte ihrer Amtszeit zeichnet Stuttmann sie als eine, die in sich ruht. Der die Wirren um sie herum nichts mehr anhaben können. Zu Beginn ihrer Karriere, als Kohls Mädchen, hatte Stuttmann sie eher verhuscht gezeichnet. Als eine, die nicht genau weiß, wo sie hinschauen soll. Und dann als eine, die ein Ziel hat und nach dem Spendenskandal den CDU-Karren aus dem Dreck zieht – darin gemütlich sitzend: Friedrich Merz, Roland Koch, Helmut Kohl und andere CDU-Männer.

Klaus Stuttmann: „Mein Merkelbilderbuch“.
Schaltzeit Verlag, Berlin 2021. 200 Seiten. 24,90 Euro

Spätestens da war für Stuttmann klar, dass Merkel eine politische Größe werden würde. Denn auch das wird in der Karikaturensammlung deutlich: Am Anfang stand Angela Merkel einer arroganten Männerriege gegenüber, die es nie für möglich gehalten hätte, dass eine Frau und Ostdeutsche jemals Kanzlerin werden könnte. Doch Angela Merkel ist beharrlich und setzt sich durch: Im Jahr 2004 zeichnet Stuttmann Merkel im Sessel Zeitung lesend, während Merz, Koch und Stoiber um sie herum die Hausarbeit machen.

Merkels Entwicklung zu zeigen, gelingt Stuttmann gut: Etwa, wenn sie im Jahr 2010 die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängert – Stuttmann zeichnet sie da als Marionette der Stromkonzerne – und nur ein Jahr später den Ausstieg aus der Atomkraft verkündet. Dann zeichnet Stuttmann Merkel als grüne Anti-AKW-Aktivistin. Oder Stuttmann zeichnet, wie sie dem türkischen Präsidenten Erdoğan im Jahr 2016 die Füße küsst, weil der seine Grenzen strenger kontrolliert, damit die flüchtenden Menschen aus Syrien nicht in die EU kommen. Auch daran wird deutlich, dass Angela Merkel immer wieder ihre politischen Ziele verändert hat und je nach Interpretation Chancen genutzt hat oder tat, was politisch opportun war.

Stuttmann ist Karikaturist und als solcher geht er natürlich nicht zimperlich mit Merkel um. Trotzdem vermittelt dieses Bilderbuch Respekt – weil Merkel so viele politische Herausforderungen mit Haltung pariert hat. Auf der letzten Seite gibt es eine ganz explizite Würdigung von Merkel: Da sieht man, wie sie im Badeanzug von dem Schiff MS Deutschland ins Wasser springt und dabei selig lächelt.

Hier wird klar: Diese Kanzlerin kann, was in der Bundesrepublik zuvor keiner geschafft hat: loslassen – und zwar freiwillig! Und zugleich ist es ein Zitat einer historischen Karikatur aus dem Jahr 1890: „Der Lotse geht von Bord“ heißt die britische Zeichnung, die Bismarck zeigt, der von Bord eines großen Schiffes schreitet, auf dem der frisch gekrönte Wilhelm II. über die Reeling schaut.

Stuttmann setzt Merkel in eine Reihe mit dem Kanzler Otto von Bismarck – wenn das keine Würdigung ist! „Mein Merkelbilderbuch“ ist jedenfalls ein unterhaltsamer Streifzug durch die Ära Merkel.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 02.09.2021 auf: kulturradio rbb

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.

Bild aus Klaus Stuttmanns „Mein Merkelbilderbuch“ (Schaltzeit Verlag)