Aus der Pressemitteilung:
Die Preisträger des Comicbuchpreises 2022 der Berthold Leibinger Stiftung sind Sheree Domingo und Patrick Spät mit „Madame Choi und die Monster“. Der Preis ist mit 20.000 Euro dotiert. „Madame Choi und die Monster“ erzählt eine auf Tatsachen beruhende politische Kabale verbunden mit einer privaten Liebesgeschichte zwischen Süd-und Nordkorea. Eine Kriminalgeschichte, wie sie jetzt im Comic-Buch steht. Florian Höllerer, Jurymitgliedund Leiter des LCB in Berlin, begründet die Auszeichnung des Autorenduos:
„Für ihr Projekt ‚Madame Choi und die Monster‘ wird der Zeichnerin Sheree Domingo und dem Autor Patrick Spät der Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung 2022 zuerkannt. Ausgezeichnet wird ein kühnes Projekt, das zwei Handlungsstränge ineinandergreifen lässt – der eine historisch fundiert, der andere fiktional. Im Zentrum stehen die südkoreanische Schauspielerin Choi Eun-hee und der Filmregisseur Shin Sang-ok, Chois Ex-Mann. Beide werden 1978 nach Nordkorea entführt und gezwungen, im Dienste des Regimes Filme zu drehen, darunter den Monsterklassiker ‚Pulgasari‘. Die abenteuerliche Geschichte der beiden, die in einer wieder aufflammenden Liebe und einer gemeinsamen Flucht in Wien mündet, geht im geplanten Comic Hand in Hand mit Sequenzen des Films ‚Bulgasari‘. Dieser erschien bereits 1962 in Südkorea und gilt – im Gegensatz zu seinem Remake ‚Pulgasari‘ – als verschollen. Das Künstler-Duo macht sich daran, die koreanische Mythenwelt rund um das eisenfressende Monster Bulgasari in imaginierter Form auferstehen zu lassen. Das Ineinander von Lebens- und Filmgeschichte verlangt nicht nur der Erzählchoreographie des Comics und dem Umgang mit historischen Quellen viel ab, sondern auch der Art, die verflochtenen Geschichten ästhetisch zu prägen, etwa durch ein jeweils eigenes Farbschema. Ein virtuoses Werk zeichnet sich ab.“ Der Band erscheint im Herbst 2022 bei Edition Moderne.
Neben dem Preisträger würdigt die Jury außerdem neun Finalistenarbeiten. Die ausgewählten Künstler erhalten bei der Preisverleihung jeweils 2000 Euro.
„Boris, Babette und jede Menge Skelette“ von Tanja Esch
Jury-Mitglied Frank Druffner: „Babette ist – ja was eigentlich? Ein Tier, ein sprechender Nager mit einer Vorliebe für Horror, Chips und Kriminalfilme. Tanja Esch setzt die Geschichte von Babette originell, mit Humor und unterlegter Ernsthaftigkeit um und versetzt uns in ein kleines Familiendrama, das in Vielem die Tragik einer aus den Fugen geratenen, von Entwurzelung und Entfremdung geprägten Welt widerspiegelt. Der Antiheldin Babette stellt sie den neunjährigen Boris zur Seite, der unversehens zu ihrer Ankerfigur wird und sich anfangs aufgrund ihrer Eigenartigkeit etwas vor ihr gruselt. In seinem Kinderzimmer fühlt sich Babette, die zuvor im düster-makabren Zimmer des Gruftis Lynnette lebte, ausgesprochen unwohl. Sie braucht Grusel und Skelette! Wie sie sich trotz Ablehnung, Intrigen und Depressionen am Ende dank Boris in einem lebenswerten Umfeld findet, wird in ansprechenden Bildern erzählt. Eschs eigenwilliger Zeichenstil und ihr Drehbuch sprechen sowohl Kinder als auch Erwachsene an – und die Jury freut sich auf das fertige Comicbuch.“
„Pension Tapioca“ von Celia Espona Pernas
Jury-Mitglied Teresa Präauer: „‚Pension Tapioca‘ ist einfach sehr lustig: Diese seltsamen Figuren, die ihre Zimmer in der Pension beziehen, sind mehr aus Ananas, Geometrie und Softeis-Farben gebaut denn aus Fleisch und Blut. Ihre Gespräche haben etwas Banal-Abgehobenes, nicht von dieser Welt. Man möchte hier doch einfach weiterlesen und weiterschauen.“
„Das Kalte Herz“ von Sascha Hommer
Jury-Mitglied Andreas Platthaus: „Sascha Hommer ist als Autor, Zeichner und Organisator ein Taktgeber der Hamburger Comic-Szene. Aber er stammt aus dem Schwarzwald, und dort ist sein aktuelles Comic-Vorhaben ‚Das Kalte Herz‘ angesiedelt. Hommer überträgt den berühmten Märchenstoff von Wilhelm Hauff in seinen typischen Stil – und in eine Mischung aus Fantasy und Realität, Heimat und Unheimlichkeit, die die Frage nach der Aktualität dieser Erzählung gegenstandslos macht: Was derart geist- und finessenreich erzählt wird, ist zeitlos gut.“
„Weg“ von Rina Jost
Jury-Mitglied Barbara Buchholz: „Malin folgt ihrer Schwester Sybil, die sich in einen Stein verwandelt hat, in eine phantastische Welt und wird auf ihrer Reise mit sonderbaren Wesen und ihrer eigenen Hilflosigkeit konfrontiert. In dem Comic-Vorhaben ‚Weg‘ erzählt Rina Jost eine Geschichte über Depression aus der Sicht einer Angehörigen, und zwar bei aller Schwere des Themas mit lockerem Tuschestrich und liebevollem Humor. Die flüssige Erzählung im Stil einer Heldinnenreise und die gekonnte grafische Umsetzung haben die Jury eingenommen.“
„Trip mit Tropf“ von Josephine Mark
Jury-Mitglied David Basler: „Ein todkrankes Kaninchen, dass gerade eine Chemotherapie angefangen hat, rettet den großen bösen Wolf vor dem Jäger und seinem Hund Horst. Mit viel Humor, Tempo und Sarkasmus wird hier geschildert, wie auf der Flucht vor dem Jäger aus einer Schicksalsgemeinschaft eine Freundschaft werden kann. Eine überaus gelungener Comics mit anthropomorphen Tierfiguren, dem es gelingt, trotz dem traurigen Thema – Krebs – uns zum Lachen und Träumen zu bringen.“
„Haruki“ von Natalie Ostermaier
Jury-Mitglied Brigitte Helbling: „Als Eingabe ist Haruki eine fragmentarische Angelegenheit – eine Sammlung von manga-esken Layouts und Bildvorlagen, die mehr als Skizzenbuch denn als fortgesetzte Comicseiten daherkommen, die Kurzgeschichte eines ehemaligen Kommilitonen, Franz Horath, die umzusetzen das Ziel des Comics ist, eine Beschreibung der Auseinandersetzung Ostermaiers mit dem gewählten Stoff. Keine dieser drei Ansätze hätte für sich wohl gereicht, um in die Finalistenrunde zu kommen. Zusammen jedoch ergaben die handwerklich überragend gestalteten Bildseiten, die abgespacete Kurzgeschichtenvorlage und sicher auch die angekündigte, eigenwillige Auseinandersetzung damit eine Verheißung, die die Jury eingenommen hat. Der Umsetzung dieses ungewöhnlichen Vorhabens sehen wir mit Spannung entgegen.“
„Seid bereit“ von Sandra Rummler
Jury-Mitglied Brigitte Helbling: „Der Jury lag der erste abgeschlossene Band einer Reihe (so die Künstlerin) vor; atmosphärische Stadtbilder in unterschiedlichen Stilen mit einer schönen Tiefenwirkung, teils mit halbtransparenten Folien überlagert, in Verbindung mit flachen, bunten Elementen – die Figuren der Handlung, eine Katze, ein Pfau und weitere, gezielt hervorgehobene Gegenstände. Die Bildfolgen situieren sich an der Grenze zum Bilderbuch; nicht der erste Comic, der sich in einer solchen ‚Zwischenwelt‘ bewegt. Der handgeletterte Text erzählt von der DDR kurz vor (und nach) Maueröffnung, sie bleibt bei der Hauptfigur Mo, bei Kindereindrücken einer sich radikal verändernden Welt, und nicht zuletzt ist es die narrative Fortsetzung dieser Weltschau, in Verbindung mit der eindrücklichen ästhetischen Präsentation, auf die wir bei dieser Finalistin höchst neugierig sind.“
„Diebe und Laien“ von Franz Suess
Jury-Mitglied Barbara Buchholz: „Skurril, nicht eben fröhlich, dafür schwarzhumorig-boshaft und spannend sind die lose miteinander verknüpften Episoden, die Franz Suess in seinem Comic-Vorhaben ‚Diebe und Laien‘ erzählt. Suess hat offenbar ein Herz für Gestalten am Rande, er rückt sie weit in den Vordergrund seiner malerisch kolorierten Zeichnungen. Neben der grafischen Stärke steht das sequentielle Erzählen keineswegs zurück: Die atmosphärischen Bilderfolgen mit den düster leuchtenden Farbstimmungen funktionieren, und zwar auf etlichen Seiten auch ohne Text.“
„Väter“ von Kerstin Wichman
Jury-Mitglied Stefanie Sargmann: „Der graphische Essay ‚Väter‘ von Kerstin Wichmann erzählt mit zum einen von einer familiären Spurensuche über Väter verschiedener Generationen, zum anderen fragt er nach Männlichkeitskonzepten allgemein sowie ihren Beharrungs- und Veränderungskräften durch die Generationen hindurch. Die zart kolorierten Zeichnungen gehen nicht nur auf eigene Erinnerungen und familiäre Erzählungen zurück, sondern beziehen auch Materialien wie Fotos, Postkarten und Briefe mit ein, ergänzt um allgemeine Recherchen zum ersten Weltkrieg. Gezeichnet mit Bleistift, koloriert mit Buntstift entstehen aus vorsichtigen Annäherungen zugleich atmosphärisch dichte und konzentrierte Szenen, die die Jury rasch überzeugten, diesen bemerkenswerten Band auszuzeichnen.“