Ein Kindermörder in Berlin

Alexander Zorbach ist Polizeireporter. Und eine gescheiterte Existenz. Als ehemaliger Polizist ist er bei den Ex-Kollegen weder beliebt noch angesehen. Sein Privatleben verläuft chaotisch: Gerade wurde die Ehe frisch geschieden, seine Mutter liegt als Pflegefall im Krankenhaus und seinen Sohn versetzt er ein ums andere Mal, sogar an dessen Geburtstag. Der Grund ist der Fall des Augensammlers. Ein Serienkiller, der Kinder entführt und grausam tötet. Zorbach ist stets nah dran an den Verbrechen. Immer schnell am Tatort, immer schnell vor Ort als Premium-Berichterstatter. Als nach einem weiteren Mord seine Geldbörse beim Opfer gefunden wird, wird er für die ruppigen Ex-Kollegen Scholle und Stoya zum Hauptverdächtigen und muss untertauchen. Doch in seinem Schlupfwinkel wird er bereits erwartet. Die blinde Alina, eine Physiotherapeutin mit seherischen Fähigkeiten, scheint mehr über den Fall zu wissen, als ihm lieb ist…

Frank Schmolke: „Der Augensammler“.
Splitter Verlag, Bielefeld 2021. 200 Seiten. 35 Euro

Sebastian Fitzek ist seit Jahren Deutschlands erfolgreichster Thriller-Autor. Sein Roman „Der Augensammler“ erschien bereits 2010. Jetzt hat Frank Schmolke, der bei der Edition Moderne schon diverse Graphic Novels veröffentlichte, den Roman als Comic adaptiert. Eine spannende Sache, denn alles, was beim Roman visuell abstrakt ist, entfällt. Bilder, die im Kopf entstehen, sind vorgegeben, vom Setting der Handlung bis zum Aussehen der Protagonisten. Die sind markant und auffällig angelegt. Zorbach, offiziell als Reporter unterwegs, wird immer tiefer in den Fall involviert, ob er will oder nicht. Als der Verdacht auf ihn fällt und er manchmal selbst an seiner Wahrnehmung zweifelt, wächst auch unsere Unsicherheit. Alina, die ihre Behinderung anscheinend mühelos meistert, umgibt wegen ihrer angeblichen Gabe eine mysteriöse Aura. Zugleich sorgt sie immer wieder mit ihrer direkten, schnoddrigen Art für Auflockerung. Und die beiden Ermittler Scholle und Stoya überschreiten regelmäßig moralische Grenzen.

Die Geschichte spielt in einem winterlichen Berlin. Es schneit, die Straßen sind matschig und dreckig. Meist ist es noch Nacht oder finster, wie in verlassenen Räumen, die Kälte und Feuchtigkeit verströmen. Zwischen dieser gelungenen Noir-Atmosphäre wechselt Frank Schmolke immer wieder kurz die Perspektive – in kleinen filmischen Szenen fast ohne Worte teasert er das drohende Schicksal der entführten Kinder. Und wir erfahren nach und nach mehr über den Serienmörder, wobei bis zum dramatisch und hochspannend inszenierten Finale dessen Identität verschleiert bleibt. Ein überaus gelungener Band, der zwar diverse Genre-Motive und -Kollegen (von David Finchers Film „Sieben“ bis zu den Romanen Jussi Adler Olsens) zitiert, aber dennoch mit einer eigenen Handschrift (und eigenen Bildern) die Leserinnen und Leser spannend aufs Glatteis führt. Der Band, zu dem Sebastian Fitzek ein Vorwort schrieb (Schmolke gönnt ihm zudem in der Geschichte ein Cameo), ist auch in einer auf 1.000 Exemplare limitierten Vorzugsausgabe erschienen, die beim Verlag jedoch bereits vergriffen ist. Wer den Roman kennt, weiß, dass es eine Fortsetzung gibt. Wir können uns also sicher auch beim Comic auf einen zweiten Teil freuen.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Hier gibt es ein langes Werkstattgespräch mit Frank Schmolke.

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.

Seite aus „Der Augensammler“ (Splitter Verlag)