Gibt es mehr da draußen als die für uns sichtbare dreidimensionale Welt? Gibt es vielleicht auch Räume außerhalb unserer Wahrnehmung, die quasi neben uns existieren? Na klar! Man nehme Nikola Teslas Gedankenspiele zu parallelen Dimensionen und verbinde sie mit Einsteins verworfener Theorie über eine Raumdimension, die in sich selbst eingerollt ist. Wenn man dann noch einen „T-Suit“ zur Hand hat, einen Teleportationsanzug, der mit zwei turbinenähnlichen Röhren ausgestattet ist, kann man ein kleines Loch in das hiesige Universum reißen – und in parallele Welten reisen.
So macht das jedenfalls Robert Johnson alias „Rasl“. Ganz so einfach bringt er das aber natürlich auch nicht zustande. Jahrelange Forschungsarbeit steckt in dem T-Suit. Und trotzdem funktioniert das martialisch anmutende Ding keineswegs reibungslos. Wenn Rasl sich in einer anderen Welt materialisiert, verursacht das nahezu unerträgliche Schmerzen, die er nur mit großen Mengen an Martinis und Whiskey hinunterzuschlucken vermag. Jegliche andere ungesunde Ablenkung hilft ebenfalls. Deswegen schaut Rasl auch durchwegs fertig aus und hetzt meistens wie ein geschlagener, aber stolzer Hund von Universum zu Universum. Das ist aber bei weitem nicht sein einziges Problem.
Jeff Smith, der mit der Serie „Bone“ Comic-Kultstatus erlangt hat, ist mit „Rasl“ ein weiterer großer Wurf gelungen. Zunächst ebenfalls als Serie erschienen, hat Smith die Geschichte 2013 im eigenen Verlag Cartoon Books als mehr als 470 Seiten umfassenden Wälzer herausgebracht. Die deutschen Ausgabe folgte 2015 bei Tokyopop.
„Rasl“ spielt in einer nicht näher definierten, aber nicht allzu fern wirkenden Zukunft und erzählt in rasanten Sprüngen durch Raum und Zeit, wie der titelgebende Protagonist in seine ziemlich missliche Lage gerät. Als Physiker Robert Johnson hatte er mit seinem Freund und Kollegen Miles daran gearbeitet, Nikola Teslas Ideen der Energieübertragung durch den Raum in die Tat umzusetzen. Seit Kindertagen sind die beiden Fans des exzentrischen Pioniers der Elektrotechnik. Nun entsteht mitten in der Wüste Arizonas im Auftrag einer Rüstungsfirma ein geheimes Testfeld, das zeigen soll, dass es möglich ist, in der Ionosphäre ein Raketenschutzschild zu aktivieren, das die gesamte Erde schützt.
Technologie mit fatalen Nebenwirkungen
Wird damit Teslas Traum von einer Anti-Waffe, die Frieden für die Welt bringen soll, wahr? Oder ist das ganze nur ein weiterer Schritt in Richtung elektromagnetischer Kriegsführung? Der Streit darüber spaltet die Freundschaft zwischen Robert und Miles und bringt das ganze Projekt ins Wanken. Nicht gerade einfacher macht es die Sache, dass Maya, die dritte federführende Forscherin, ihren Ehemann Miles ausgerechnet mit Robert betrügt.
Als Robert entdeckt, welch verheerende Nebenwirkungen die Technologie in sich birgt, schmeißt er alles hin, um sich mit dem Akronym „Rasl“ (es steht für Romance at the Speed of Light) eine neue Identität als weltenbummelnder Kunstdieb zuzulegen. Dazu nutzt er den von ihm entwickelten T-Suit – der ursprünglich Soldaten hinter feindliche Linien beamen sollte. Dessen Fähigkeit, in Paralleluniversen zu reisen, nutzt er schlicht dazu, wertvolle Kunstwerke zu fladern und in der Heimatdimension zu verscherbeln.
Mit „Rasl“ setzt Jeff Smith dem großen Erfinder Nikola Tesla (1856–1943) ein schillerndes Denkmal. Der Name ist aufgrund der schnittigen Elektroautos aus dem Hause Elon Musk so präsent wie höchstens zu Lebzeiten des Visionärs, und Teslas fundamentale Leistungen auf dem Gebiet der Radiotechnik, Stromversorgung, Beleuchtung und Röntgenstrahlung sind heute unbestritten.
Doch seine späteren, immer abstruser werdenden Theorien sind in Vergessenheit geraten – zumindest außerhalb verschwörungtheorieaffiner Internetcommunities. Seine Pläne etwa, mittels eines „Welt-Energie-Systems“, das sich aus Erde, Raum und menschlicher Energie speist, die Welt mit „freier“, also draht- und kostenloser Energie zu versorgen. Oder seine Behauptung, mit Außerirdischen zu kommunizieren und „Strahlungsenergie“ auffangen zu können – alles Ideen, die Teslas wachsendem Interesse für Transzendentalismus und Hinduismus geschuldet sind und heute wohl als metaphysisch angehauchte Parawissenschaften bezeichnet würden.
Jeff Smith zieht gerade aus diesen Hirngespinsten die Basis für sein Science-Fiction-Epos. Und leuchtet darin zugleich die – im wahrsten Sinne des Wortes – spannungsgeladene Lebensgeschichte des serbischen Migranten Nikola Tesla aus, der in den USA zum gefeierten Shooting-Star aufstieg, bevor er zum verarmten, verbitterten und verspotteten Mad Scientist abgekanzelt wurde. Der immer im Schatten von Thomas Edison stand, obwohl er den Stromkrieg zwischen Gleich- und Wechselstrom für sich entschieden hatte; dem Investoren wie George Westinghouse und J. P. Morgan den Rücken kehrten und dem Guglielmo Marconi den Ruhm für die erste Radioübertragung wegschnappte, obwohl er kurz zuvor das erste Patent für drahtlose Funkübertragung erhalten hatte. Legendär blieb sein Labor in Colorado Springs, wo er mit seinen Hochspannungs-Experimenten tagelange Stromausfälle verursachte.
Auf der Jagd nach Teslas geheimen Tagebüchern
Es dürfte kein Zufall sein, dass Smith seinen Helden und Tesla-Jünger Robert Johnson nennt – genauso hieß auch der Herausgeber des „The Century Magazine“. Johnson war ein Freund Teslas und einer der letzten, dem sich der in Verruf geratene Wissenschafter anvertraute und der seine abseitigen Theorien noch veröffentlichte. Der Robert Johnson aus „Rasl“ ist es auch, dem die verschollenen Tagebücher Nikola Teslas in die Hände fallen, die den Schlüssel für funktionierende Tore zu anderen Welten enthalten. Zu gefährlich, befindet Robert, und sabotiert alle Systeme am Testfeld so weit, dass es nicht in Betrieb genommen werden kann, bevor er sich als Rasl aus dem Wüstenstaub macht. Manchmal muss Frankenstein seine Monster töten, heißt es an einer Stelle des Buchs.
Regierung und Rüstungsindustrie wollen sich die Chance nicht entgehen lassen, das Multiversum als nie versiegende Energiequelle anzuzapfen und im Fall des Falles gegen Bewohner paralleler Welten militärisch einschreiten zu können. Damit die Tesla-Forschung weitergeführt werden kann, heftet sich der Agent Sal Crow an Rasls Fersen, um ihm die Tagebücher abzuluchsen – diese Figur des „Bösewichts“ bleibt leider recht eindimensional. Smith zeichnet ein Bild des Wissenschaftsverständnisses, das sich nicht so sehr vom heutigen unterscheidet: Große Summen für Blue-Sky-Grundlagenforschung fließen nur dann, wenn sie sich politisch und militärstrategisch ausschlachten lässt, ethische Fragen nach den Auswirkungen neuer Technologien werden erst gestellt, wenn es fast schon zu spät ist.
Leben im Multiversum
Trotz der Länge hält Jeff Smith den Spannungsbogen mit Leichtigkeit aufrecht und dröselt die verschiedenen Handlungsstränge Stück für Stück auf – keine Frage, das Comic ist inszeniert von einem Profi. Da kann man gern darüber hinwegsehen, dass Smith uns eine genauere Erklärung schuldig bleibt, wie denn nun wirklich die Reise durchs Multiversum vonstatten geht und wer die Menschen sind, die in den anderen Dimensionen fast parallel zu ihren Alter Egos auf der Erde leben. Das Leben dort unterscheidet sich nämlich nur in kleinen Details von dem uns bekannten (da kann es passieren, dass man eine Parallelwelt nur daran erkennt, dass Bob Dylan unter seinem Geburtsnamen Robert Zimmerman firmiert).
Jeff Smith verquickt Teslas Theorien über höherdimensionale Räume mit Quantenphysik und Stringtheorie und streut ein wenig Mystizismus der amerikanischen Ureinwohner ein. Seltsamerweise scheint das alles zusammenzupassen. Zurück bleibt die Erkenntnis, dass es in anderen Universen auch nicht weniger kompliziert zugeht – und dort eigentlich auch nur dasselbe in Grün passiert. Was wiederum bedeuten würde, dass wir uns selbst nicht so wichtig nehmen brauchen. Was Nikola Tesla wohl dazu sagen würde?
Diese Kritik erschien zuerst am 09.09.2015 auf dem „Der Standard“-Comicblog Pictotop.
Karin Krichmayr arbeitet als Wissenschaftsredakteurin für Der Standard. Außerdem betreibt sie für die österreichische Tageszeitung den Comicblog Pictotop.