Juan Cavias „Ballade für Sophie“ ist eine nicht nur visuell atemberaubende Graphic Novel über Musik, Freundschaft, Liebe und Frankreichs Nachkriegsgeschichte.
Es gibt Comics, die entziehen sich den üblichen Kategorien von Genre und Zeichenstil; sie begeistern mich durch ihre originelle Art. Ein solcher Comic ist „Ballade für Sophie“, eine Graphic Novel, die im Sommer des vergangenen Jahres erschienen ist und für mich einer der besten Comics im Jahr 2023 war.
Die Geschichte beginnt im Jahr 1933 in einem Dorf in Frankreich. Dort treffen zwei Klavierspieler erstmals aufeinander: Der eine entstammt einer wohlhabenden Familie, die in ihm einen Künstler sieht, der andere kommt aus der Unterschicht und ist ein musikalisches Genie. Die Geschichte findet ihren Abschluss im Jahr 1997, als sich eine junge Journalistin auf die Spur eines Geheimnisses macht: Warum hat ein berühmter Komponist vor Jahren seine Kunst abgelegt und nie wieder ein Klavier angerührt?
„Ballade für Sophie“ fasst ein halbes Jahrhundert in einen Comic; am Beispiel der beiden Klavierspieler wird quasi die Geschichte Frankreichs erzählt. Von der Vorkriegszeit über die Zeit der deutschen Besatzung bis hin zum wirtschaftlichen Aufschwung der 50er- und 60er-Jahre spannt sich der Bogen. Wie in einem großen Roman prallen die Gegensätze aufeinander, spielen einzelne Figuren wichtige Rollen, geht es teilweise sehr emotional zu. Das Szenario, das sich Filipe Melo ausgedacht hat, ist wirklich „groß“; es würde für einen Film oder einen wuchtigen Gesellschaftsroman locker ausreichen. Der Autor setzt die Dialoge auf den Punkt, er entwickelt seine Figuren über all die Zeiten hinweg glaubhaft und in sich schlüssig. Und er nimmt sein Publikum emotional mit: Man möchte zwischendurch bei der Lektüre echt weinen – das mag zwar kitschig klingen, kommt aber meinen Empfindungen nahe.
Grafisch bleibt Juan Cavia mit seinen Bildern ebenso originell. Die Figuren sind leicht verzerrt, die Farbgebung ist absichtlich ein wenig „falsch“; unterm Strich ein überaus künstlerischer Ansatz. Cavia stellt die Figuren mit ihren Emotionen und ihrem Innenleben klar und eindeutig dar. Seine Panels zeigen, wie die Musik bei den Zuhörern ankommt, wie sie buchstäblich dazu führt, die Grenzen des Raumes zu sprengen.
Entstanden ist auf diese Weise ein umfangreicher Comic-Roman im kleineren „Book“-Format, also nicht im Format eines Albums. Ein so umfangreiches Werk kostet seinen Preis: Die 45,00 Euro finde ich absolut angemessen. Ich halte „Ballade für Sophie“ für ein Meisterwerk, das ich seit der ersten Lektüre schon einige Male in der Hand hatte.
Dieser Text erschien zuerst auf: perry-rhodan.net
Juan Cavia: Ballade für Sophie • Aus dem Französischen von Tanja Krämling • Splitter Verlag, Bielefeld 2023 • 320 Seiten • Hardcover • 45,00 Euro
Klaus N. Frick ist Chefredakteur der Science-Fiction-Heftroman-Serie „Perry Rhodan“ sowie Autor zahlreicher SF-Romane und -Kurzgeschichten.