Die aufstrebende Wiener Indie-Comic-Szene fordert mehr Anerkennung

Für Nachwuchstalente fehlen oft Perspektiven, der Großteil produziert im Eigenverlag. Ein kleines Festival und der erste Wiener Comicpreis geben ihnen jetzt eine Bühne.

Wer sich in Österreich dem Medium Comic verschrieben hat, braucht vor allem: eine Menge Ausdauer und kompromisslose Leidenschaft. Das kann sich mitunter bezahlt machen. Der Wiener Comiczeichner Franz Suess etwa machte vor zehn Jahren erstmals mit seiner im Eigenverlag produzierten Alltagsstudie „Zu fallen und weiter“ auf sein Werk aufmerksam. Zig unermüdlich selbst produzierte Veröffentlichungen später schaffte Suess den Sprung in den deutschen Avant-Comicverlag. Dort erschien heuer sein jüngstes Buch „Drei oder vier Bagatellen“. Es folgte zudem eine Reihe von Preisen, 2023 bekam er den begehrten, mit 25.000 Euro dotierten Comicbuchpreis der deutschen Berthold-Leibinger-Stiftung.

Suess ist nur ein Beispiel für die florierende Wiener Comicszene, die in den letzten Jahren viel Schwung durch eine neue Generation junger Zeichnerinnen und Zeichner bekommen hat. Einen Überblick über ihr Schaffen geben von Donnerstag bis Samstag die Pictopia-Comic-Tage. Erfrischend, innovativ, typisch wienerisch-morbid oder einfach astreine Unterhaltung: Das kleine Festival zeigt einen guten Ausschnitt der hiesigen Independent-Landschaft.

Bei freiem Eintritt präsentieren hochkarätige Lokalmatadore ihre aktuellen oder gerade im Entstehen begriffenen Projekte, darunter André Breinbauer, der Einblicke in seine Graphic Novel mit dem Arbeitstitel „Orlok“ gibt. Dabei sind auch Lenz Mosbacher mit seinem nächsten Comicroman „Beuys: Grenzen der Fiktion“ und Jasmin Rehrmbacher, die ihren autofiktionalen Comic „Sommer. In einem Dorf“ vorstellt. Daneben gibt es Interviews, Diskussionen, Signierstunden, eine Ausstellung und DJ-Sets. Franz Suess hat sich zu einem Live-Porträt-Zeichnen der Gäste bereiterklärt. Am Samstag findet außerdem ein Comic-Zeichnen-Workshop für Kinder und Jugendliche statt.

Mit Crowdfunding zu Kleinstauflagen

„Es gibt eine spannende, pulsierende Szene, die unter dem Radar läuft und zumeist im Eigenverlag produziert“, sagt Sebastian Broskwa, Veranstalter der Comic-Tage. Der umtriebige Buchhändler des Comic-Shops Pictopia und Vertriebsspezialist ist eine Instanz in der österreichischen Comiclandschaft. „Wir wollen klarmachen, dass diese Erzählform wertvoll ist und genauso gefördert werden muss wie klassische Kunstformen. Es gibt hier einen Schatz, den es zu heben gilt.“

Mit frischen Zugängen und hohem künstlerischem Anspruch haben sich viele Comicschaffende längst aus dem amateurhaften Undergrounddasein katapultiert. Sich dauerhaft zu behaupten ist aber schwer: Wer veröffentlichen will, muss versuchen, bei den dezidierten Comicverlagen in Deutschland und der Schweiz zu landen, oder auf die rare Gelegenheit hoffen, in einem der österreichischen Buchverlage unterzukommen, die auch Graphic Novels im Programm haben, namentlich Bahoe Books und Luftschacht.

Für Nachwuchstalente, die nun auf der Bildfläche erscheinen, fehlen allerdings Perspektiven. Die „Kinder der Manga- und Graphic-Novel-Revolution“, wie Broskwa sie nennt, nutzen die Kunstform heute ganz selbstverständlich. Mangels Alternativen sind aber zwangsläufig im Eigenverlag und mithilfe von Crowdfunding hergestellte Kleinstauflagen das Credo der Stunde, ob für Zines oder Kunstbücher.

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Netzwerke für die Community

So wenige Vertriebsmöglichkeiten es auch gibt, vernetzt ist die Comic-Community dafür umso besser. Dem Wiener Comic-Stammtisch entspringt das Magazin „Tisch 14“, noch relativ jung ist die Comic-Anthologie „Spross“, die unter der Leitung von Janne Marie Dauer und Karoline Achilles einige der kreativsten Stimmen des Austrocomics versammelt. Als wichtige Plattform hat sich das Nextcomic-Festival in Linz etabliert, auch die Vienna Comix hat heimische Künstlerinnen und Künstler im Programm. Eine alternative Werkstätte und Ausstellungsmöglichkeiten bietet etwa das Linzer Kollektiv Potato Publishing.

Seit ein paar Jahren hält auch die Österreichische Gesellschaft für Comics (OeGeC) die Szene zusammen, bemüht sich um mehr Sichtbarkeit und Fördermöglichkeiten. 2019 aus einem Comicforschungsprojekt hervorgegangen, ist der Verein mittlerweile so etwas wie eine Interessenvertretung für alle, die mit Comics zu tun haben, und zählt mehr als 100 Mitglieder. Heuer wurde zum ersten Mal der Wiener Comicpreis ausgeschrieben – ein Novum in Österreich, wo es, im Gegensatz zu Deutschland, keine ausschließlich für Comics reservierten Preise, Förderungen oder Stipendien gibt. Einzig der Outstanding Artist Award des Kulturministeriums wird alle zwei Jahre auch in der Kategorie „Karikatur und Comics“ vergeben und ging heuer an die Comickünstlerin Regina Hofer.

„Wir wollen mit dem Wiener Comicpreis Wertschätzung an die Comicschaffenden vermitteln und ihnen eine Bühne geben“, sagt OeGeC-Obfrau Katharina Serles. Es habe 27 durchwegs hochqualitative, bunt durchmischte Einreichungen gegeben, die Preisverleihung inklusive eines Mitgliederpreises erfolgt auf der Wiener Buchmesse im November. „Das öffentliche Interesse an Comics ist gewachsen. Besonders in einer Zeit, in der wir ständig mit einem Strom an Bildern überhäuft werden, ist eine visuelle Lesekompetenz, wie sie durch Comics vermittelt wird, sehr wertvoll“, sagt Serles.

Kein Boys-Club mehr

Wenn es aber ums Geld geht, werde das Medium von den diversen Förderstellen zwischen Literatur und Bildender Kunst herumgeschoben, sagt Serles. Mangels eines auf Graphic Novels spezialisierten Verlags fehle es an Publikationsmöglichkeiten und damit auch die Chance auf breitere Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Österreichweit gebe es keinen Lehrgang für Comics an Hochschulen oder ein großes Festival wie den Internationalen Comic-Salon in Erlangen.

Dass kaum jemand vom Comiczeichnen leben kann, hat auch eine aktuelle Studie der Deutschen Comicgewerkschaft gezeigt, an der Katharina Serles beteiligt war. Demnach können jeweils drei Prozent der 810 Befragten in Deutschland, Österreich und der Schweiz sehr gut oder gut von ihrem Beruf leben. 13 Prozent können gerade so davon leben, 81 Prozent sind auf andere Einkommensquellen angewiesen.

Gewachsen ist jedenfalls das Publikum, das sich genauso wie die Comic-Produktionen diversifiziert hat und schon längst kein Boy’s Club mehr ist. Immerhin 45 Prozent der Einreichungen beim Wiener Comicpreis kamen von Frauen. Welche Möglichkeiten des Veröffentlichens es gibt und welche Strategien Comicschaffende heute brauchen, wird auch bei den Pictopia-Comic-Tagen thematisiert. Hauptsächlich geht es aber darum, Begeisterung für ein überaus lebendiges Medium zu schüren.

Diesee Beitrag erschien zuerst am 08.10.2024 in: Der Standard.

Karin Krichmayr arbeitet als Wissenschaftsredakteurin für Der Standard. Außerdem betreibt sie für die österreichische Tageszeitung den Comicblog Pictotop.

Abb. ganz oben Michael Hacker