Wer wissen möchte, ob Androiden von elektronischen Schafen träumen, sollte Philip K. Dicks Science-Fiction-Story lesen. Wer „Blade Runner“ (1982) noch nicht kennt und sich nicht für Schafe interessiert, ist mit „Dream Machine“ von Appupen und Laurent Daudet gut beraten. Vordergründig.
Der Comic handelt von dem Start-up-Gründer Hugo, dessen Tech-Firma KLAI sich mit Large Language Models (LLM), bekannt geworden durch ChatGPT, beschäftigt. Als ein US-amerikanisches Unternehmen sich meldet, um das Start-up zu übernehmen, stellen sich Hugo die großen Fragen: Wie viel? Und natürlich auch: Warum? Die Antworten sind „sehr viel“ und „na ja, wahrscheinlich geht es ums Geld“, und nun muss Hugo erst einmal nachdenken. Von diesen Überlegungen handelt der 157-seitige Comic, der am Ende fünf Szenarien vorschlägt, wie die Geschichte ausgehen könnte. Ironischerweise wurden diese alternativen Einseiter selbst mithilfe einer KI generiert, und zwar Texte wie Bilder.
„Dream Machine“ erzählt die autobiografische Geschichte von Laurent Daudet und dessen realem Unternehmen LightOn. Er trifft einen indischen Zeichner, der ihm vorschlägt: „Mann, wir sollten einen Comic darüber machen! Wir würden erzählen, was in KI passiert, wie sie funktioniert … Die Menschen sollen sich Fragen stellen! Du erklärst mir die Technologie, und ich lass mir eine Geschichte einfallen!“ Voilà. Die beiden machten daraus einen Comic, irgendwo zwischen fiktionaler Firmengeschichte und „Was-ist-Was – Künstliche Intelligenz“.
Leider ist die Story reichlich dünn ausgefallen, denn es geht tatsächlich nur um Hugos Abwägen der Risiken und Chancen. Should I stay or should I go? Nur leider ohne Punk und ohne Rock. Die Story von „Dream Machine“ ist allzu erkennbar nur ein narratives Feigenblatt für eine grundlegende Einführung in das Potential Künstlicher Intelligenz. Ein großer Teil der Seitenlayouts besteht aus Erklärtexten im Vortragsstil, flankiert von illustrativen Hintergrundbildchen. Schlimmer wird es nur noch, wenn die Figuren miteinander sprechen und der Vortragstext in einem Pseudodialog auf verschiedene Sprecher:innen aufgeteilt wird. Dass sogar das Lettering unruhig ist, fällt da fast schon nicht mehr auf.
Damit lässt der Comic die erzählerischen Möglichkeiten seines Mediums ungenutzt und enttäuscht, zumal es so viele interessante Comics über KI gibt. Julia Schneider und die Illustratorin Lena Kadriye Ziyal haben etwa den Comic-Essay „We need to talk, AI“ (2019) verfasst, und die Kurzcomicsammlung „I feel machine“ (2018) ist wirklich sehr lesenswert, aber es gibt zahllose weitere Beispiele (hier ist eine Übersicht auf Comicgate). Dass „Dream Machine“ selbst manche dystopischen Vorbilder wie George Orwells „1984“ oder Aldous Huxleys „Brave New World“ zitiert, macht den Kontrast zu den großen Erzählungen leider nur sichtbarer. Da hilft es auch nicht, dass Hugo sich als sympathischer Idealist gegen die Kapitalisierung der KI entscheidet.
Vielleicht ist es am aussagekräftigsten, dass die fünf KI-generierten Szenarien am Ende sich weder grafisch noch erzählerisch abheben. Das könnte man als Erfolg eines gelungenen Promptings deuten oder als Zeichen eines durchschnittlichen Comics.
Appupen (Zeichner), Laurent Daudet (Autor): Dream Machine oder wie ich beinahe meine Seele an die künstliche Intelligenz verkauft hätte • Aus dem Französischen von Edmund Jacboy • Jacoby & Stuart, Berlin 2024 • 157 Seiten • Softcover • 25,00 Euro
Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate.de, Alfonz und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.