Überall Windmühlen

Unerschöpfliche Literaturgeschichte: Nach „Dantes Inferno“ und „Tollfreiste Geschichten“ haben die italienischen Gebrüder Brizzi „Don Quijote“ sehr bildgewaltig als Comic adaptiert.

Ritter von der traurigen Gestalt. Rosinante. Sancho Panza. Diese Konstellation kennt man, das gehört gleichsam zum Weltkulturerbe – was kein Wunder ist: Immerhin lieferte Miguel de Cervantes 1605 mit „El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha“ den ersten modernen Roman (dem 1615 noch ein zweiter Teil folgte), der stets auf den Listen der besten Bücher aller Zeiten landet und in die Ikonografie der Kulturgeschichte eingegangen ist. Der „Kampf gegen Windmühlen“ wurde zum geflügelten Wort, zahllose Verfilmungen und Adaptionen verbreiten Cervantes‘ bitterböse Parodie eines literarischen Phänomens seiner Zeit. Der Markt wurde um 1600 mit immer abstruseren Rittergeschichten geflutet; man spann immer fantastischere Geschichten um angebliche Heldentaten von fiktiven Figuren und pseudohistorischen Charakteren wie König Artus.

Mit dem alten, verwirrten Mann, der einer längst überkommenen, zutiefst romantisierten Darstellung von fahrenden Rittern, keuschen Minnen, selbstlosen Heldentaten und Kämpfen gegen Riesen, Hexen und Zauberern aufsitzt und sich dadurch permanent zum Gespött macht, liefert Cervantes in erster Linie eine Satire, die es an Gift und Galle mit dem Jonathan Swift aufnehmen kann. Dabei kreiert Cervantes (der in den durchaus zotigen Szenen auch auf Chaucers „Canterbury Tales“ zurückgriff) fast eigenhändig das Genre des Schelmenromans, in dem ein Picaro allerlei bunte Episoden durchlebt, wie das in deutschen Gefilden rund siebzig Jahre später der „Simplicissimus“ von Grimmelshausen zur Meisterschaft brachte.

Liegt dabei allerdings der Fokus auf einer Kritik der Gesellschaft, verprügelt Cervantes seinen Anti-Helden nach allen Regeln der Kunst, um sich über absurde literarische Moden zu amüsieren. Genau hier wählen die Brüder Paul und Gaëtan Brizzi einen etwas anderen Blickwinkel: Anders als in ihrem düster-melancholischen Vorgängerwerk, einer Adaption von Dantes „Inferno“, betonen die beiden nach eigenen Worten in ihrer „Don Quijote“-Lesart zwar die Heiterkeit der Geschehnisse, die sich auch im cartoon-karikaturhaften, beschwingten Strich niederschlägt. Die Hauptfigur sehen die Brüder Brizzi weniger als beklagenswerten Narren, sondern vielmehr als hoffnungslosen Romantiker, in dessen Augen die Welt ebenso ist, wie er sie sieht – weshalb die zentralen Szenen wie der Angriff auf die Windmühlen in Farben und Formen erstrahlen, die Don Quijote sich zusammenfantasiert. Wir erleben seinen heldenhaften Ansturm auf die Riesenarmee in mehreren weitgehend dialoglosen, großformatig farbigen Seiten, bis dann die Perspektive Sancho Panzas den armen, an einem Windmühlenflügel hängenden Alten wieder in skizzenhaftem Schwarz-Weiß zeigt.

Das gilt auch für Dulcineas Schönheit, für die stolze Trutzburg und Quijotes edle Stute, alles erhält eine doppelte Bildebene, entweder die triste Realität oder Quijotes Idealwelt – die doch eigentlich um einiges besser ist als die echte, was ja auch die Deutung der Romantiker um Heinrich Heine war. Dafür nutzen die Brizzis den Kunstgriff, das Geschehen nach Quijotes Tod vom Pater berichten zu lassen, der sich voller Respekt über den haltlosen Idealisten äußert, der einfach zu gut für diese Welt war. Somit erneut eine voluminöse, rundum unterhaltsame wie durchdachte Adaption eines Klassikers der Weltliteratur, wie ihn die Brizzis bereits mit den „Tolldreisten Geschichten“ nach Balzac hinzauberten. Bleibt zu hoffen, dass sie weitermachen – der Fundus ist ja nahezu unerschöpflich.

Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.

Gaëtan Brizzi, Paul Brizzi: Don Quijote von der Mancha • Aus dem Französischen von Tanja Krämling • Splitter Verlag, Bielefeld 2024 • 200 Seiten • Hardcover • 45,00 Euro

Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.