30 Kritikerinnen und Kritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die in Presse, Rundfunk und Internet regelmäßig Comics, Mangas und Graphic Novels besprechen, haben auch dieses Jahr alle drei Monate eine gemeinsame Bestenliste zusammengestellt.
Hier folgt nun das Gesamtergebnis für 2024 mit den zehn besten Comics des Jahres.
Mikael Ross:
DER VERKEHRTE HIMMEL (Avant-Verlag)
Softcover, 344 Seiten, s/w, € 28,00, ISBN: 978-3-96445-108-8 • Leseprobe
Andrea Heinze in radio3 rbb und auf Comic.de: „Mikael Ross ist für seine gut recherchierten Milieustudien bekannt. ‚Der verkehrte Himmel‘ ist ganz anders und trotzdem ein typischer Mikael Ross. Denn ‚Der verkehrte Himmel‘ ist zwar reine Fiktion, die Elemente dieses Krimis aber sind Realität. Dass Berlin-Lichtenberg – zumindest bis zum Krieg Russlands gegen die Ukraine – ein Umschlagplatz für russische Menschenhändler war, zeigen die 39 Leichen von vietnamesischen Menschen, die in einem LKW im britischen Essex gefunden wurden. Die Ermittlungen ergaben, dass sie Opfer von Menschenhändlern waren, und die Handydaten zeigten, dass sie sich zuvor in Berlin-Lichtenberg befanden. Diese Nachricht nahm Mikael Ross zum Anlass für seinen neuen Comic. Und er hat das mit den eigenen Erfahrungen verbunden, die er als Projektleiter an Lichtenberger Schulen gesammelt hat. Er zeichnet den unglaublich rauen Ton zwischen den Schüler*innen auf, die einander dann doch immer wieder helfen.“
DIE STRASSE (Reprodukt)
Hardcover, 160 Seiten, farbig, € 25,00, ISBN: 978-3-95640-423-8 • Übersetzung aus dem Französischen: Maria Berthold und Heike Drescher • Leseprobe
Sven Jachmann auf DieZukunft.de und Comic.de: „In ‚Die Straße‘ ist das Leben ein unablässiges Vegetieren unter dem Diktat der toten Erde. Die Dramaturgie ist geknüpft an die sinnlose Fortbewegung: Warum die beiden Figuren in den Süden ziehen, wissen sie selbst nicht so recht, und die Konfrontationen mit anderen Menschen sind fürchterlich, aber quantitativ eher Randerscheinungen. Im Nichts geschieht nicht viel. Larcenets Zeichnungen – und das verbindet ihn mit John Hillcoats Verfilmung von 2009 – erzählen nichts von der Kontemplation des Untergangs, wie ihn das Blockbuster-Kino so oft ästhetisch goutierbar macht, jedoch viel von der vergeblichen Errettung der Moral in einer auch sozial völlig zerstörten Welt. Nichts für Rousseau-Anhänger*innen.“
Neyef:
HOKA HEY! (Splitter Verlag)
Hardcover, 224 Seiten, farbig, € 45,00, ISBN: 978-3-98721-245-1 • Übersetzung aus dem Französischen: Tanja Krämling • Leseprobe
Mathias Heller auf NDR Kultur: „Vor dem historischen Hintergrund der Zwangsumsiedlung und Umerziehung der indigenen Ureinwohner Nordamerikas, werden alle Register eines guten Western gezogen: einsame Nächte am Lagerfeuer, Kopfgeldjäger, alte und offene Rechnungen, Saloon-Schlägereien und natürlich rauchende Colts. Und irgendwann setzt gedanklich auch die passende Musik ein. ‚Hoka Hey!‘ ist nicht nur der Kriegsschrei der Lakota, es ist ein Buch voller Geschichte und Spannung – bis zur letzten Seite.“
ZEIT HEILT KEINE WUNDEN (Avant-Verlag)
Hardcover, 272 Seiten, farbig, € 30,00, ISBN: 978-3-96445-121-7 • Leseprobe
Susanne Schröder in der Jüdischen Allgemeinen: „Das Münchner NS-Dokumentationszentrum war von der Arbeit beeindruckt und beauftragte Hannah Brinkmann mit der Geschichte von Ernst Grube. ‚Wir möchten sein politisches Wirken nach 1945, also den Großteil seines Lebens, bekannter machen‘, erklärt Denis Heuring, der den Publikationsbereich des Zentrums leitet. Gerade am Beispiel von Grubes Biografie lasse sich zeigen, ‚wie schwer sich die BRD mit dem Umgang mit der NS-Diktatur tat, nicht zuletzt aufgrund der personalen Kontinuitäten im Gerichtswesen oder der Verwaltung‘. Um diese Kontinuitäten sichtbar zu machen, verknüpft Hannah Brinkmann drei Handlungsstränge miteinander: Zum einen die Kindheit Grubes und die Judenverfolgung in der NS-Diktatur. Dann die Nachkriegsjustiz der Bundesrepublik, für die ein junger Kommunist wie Grube ein Feindbild war. Gewissermaßen der Dreh- und Angelpunkt ist die Geschichte eines Richters, der im NS-Staat Karriere gemacht hatte und den 27-jährigen Holocaust-Überlebenden Grube 1959 wegen einer Flugblatt-Aktion für die verbotene Kommunistische Partei Deutschlands als ‚Staatsgefährder‘ zu eineinhalb Jahren Haft verurteilte. Neun Monate davon verbrachte Grube, der mit Glück das KZ überlebt hatte, in einem Bonner Gefängnis in Untersuchungshaft, vier davon in vollständiger Isolation.“
Maren Amini:
AHMADJAN UND DER WIEDEHOPF (Carlsen)
Hardcover, 240 Seiten, farbig, € 26,00, ISBN: 978-3-551-79971-5 • Leseprobe
Imke Staats in der Taz und auf Comic.de: „Fariduddin Attars Dichtung ist im Anhang auf Deutsch wiedergegeben. Das macht diese zweite Ebene der Erzählung leichter zugänglich und erlaubt Maren Amini, mehr auf pointierte Bilder als auf Text zu setzen. Ihre schwungvollen, reduzierten Zeichnungen stehen oft frei auf weißem Grund. Ihr Charme macht auch eigentlich Bitteres verständlich und erträglich: Das ist eine große Stärke. Die Figuren sind mit wenigen Strichen und viel Humor gezeichnet. Den Protagonisten erkennen wir an seinem Wuschelschopf: Ahmadjans Geschichte beginnt mit einer von Entbehrungen bestimmten Kindheit. Weil er früh seine Mutter verliert, wächst er bei Verwandten auf, von denen er sich nie richtig angenommen fühlt. ‚Sein Magen knurrte sehr… und sein Herz auch,‘ heißt es dort. Später im Buch wird der Schmerz dieser Zurückweisung durch eine winzige Sequenz wieder aufgegriffen, die klar macht, wie prägend er gewesen sein muss.“
Reinhard Kleist:
LOW Band 2 (Carlsen)
Hardcover, 176 Seiten, farbig, € 25,00, ISBN: 978-3-551-79363-8 • Leseprobe
Stephanie Grimm in der Taz: „Kleists Faszination für Bowies Alter Ego, die zum Finale der Biografie noch mal in den Fokus rückt, erklärt der Zeichner mit Parallelen zum eigenen Schaffen: Auch in seinen Comics gehe es darum, Kunstfiguren zum Leben zu erwecken. Dabei verzichtet er nicht auf den gern kolportierten Klatsch: etwa, wie Bowie seinen Mitbewohner Iggy Pop rausschmiss, weil der immer seine Delikatessen aus dem KaDeWe wegaß. Doch auch Erhellenderes gibt es zu entdecken: etwa, wenn unvermittelt die Karten aus den Oblique Strategies aufpoppen. Bowies Mitstreiter Brian Eno, der den Sound seiner Berliner Jahre mitprägte, hatte dieses Kartenset von Aphorismen und Instruktionen mitentwickelt – als Methode, kreativ vorankommen. Am schönsten ist „Low“ jedoch, wenn Kleist seine Fantasie von der Leine lässt. Und nebenbei der mythischen Überfrachtung humorvoll den Stecker zieht.“
Daniel Clowes:
MONICA (Reprodukt)
Hardcover, 106 Seiten, farbig, € 24,00, ISBN: 978-3-95640-439-9 • Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch: Matthias Wieland • Leseprobe
Hannah Pilarczyk auf Spiegel Online: „(Clowes) lässt Paranoiker auftreten, die Dämonen am Werke sehen, und religiöse Fanatiker, die obskuren Messiasfiguren huldigen. Clowes denunziert sie jedoch nicht als Freaks, sondern arbeitet heraus, dass sie letztlich nur uramerikanische Maxime wie den Glauben an unbedingte Selbstverwirklichung verinnerlicht haben – und diese in aller Extremität leben. Eine Mitte, die dem Irrsinn der Ränder etwas entgegenzusetzen hätte, gibt es in ‚Monica‘ nicht. Und wie die Wiederwahl von Donald Trump zeigt: in den USA auch nicht.“
Emil Ferris:
AM LIEBSTEN MAG ICH MONSTER Band 2 (Panini)
Softcover, 420 Seiten, farbig, € 39,00, ISBN: 978-3-7416-3823-7 • Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch: Gerlinde Althoff • Leseprobe
Sven Jachmann auf DieZukunft.de: „Gebrochen durch die Perspektive der zehnjährigen Karen Reyes, erzählt das Gesellschaftspanorama eine Geschichte der Gewalt, die sich von Auschwitz bis zu den Chicago Riots 1968 erstreckt, vom staatlichen Antisemitismus und Rassismus und der Misogynie und Homophobie des Alltags Verbindungen zieht zur kathartischen Flucht in die Kunst, mehr noch in die Pulphefte, comic books und Horrorfilme, in denen sich in den 50ern das Trauma der Vätergeneration und das beredte Schweigen über die Barbarei des Nationalsozialismus den Weg zum Bild, zur Sprache erkämpfte. Dass all diese Themen – und es sind noch weitaus mehr – trotz sprunghafter Erzählweise nicht beliebig anmuten, liegt an der jungen Hauptfigur Karen, die eigentlich einen vermeintlichen Selbstmord ihrer Nachbarin, einer Holocaustüberlebenden, aufklären will und sich dabei immer tiefer in ihre eigene, von Armut und Ausgrenzung bestimmte Familiengeschichte verstrickt. Weil sie viele Zusammenhänge nur bedingt versteht und es am erwachsenen Publikum liegt, die Puzzleteile zu ordnen, wird die Drastik der Ereignisse einerseits narrativ gemildert, andererseits psychologisch erhöht. Auch für den Abschlussband gilt: ein Meisterwerk.“
Tobi Dahmen:
COLUMBUSSTRASSE (Carlsen)
Hardcover, 528 Seiten, farbig, € 40,00, ISBN: 978-3-551-79663-9 • Leseprobe
Andreas Borcholte auf Spiegel Online: „Ohne zu moralisieren schildert Dahmen den politischen Opportunismus der rheinischen Oberschicht angesichts der Naziherrschaft (‚Et hätt noch immer jot jejange‘), kontrastiert die Leiden und Gräuel der Wehrmachtssoldaten mit den verharmlosenden Briefen, die sie nach Hause schicken, stellt mit drastischem Strich den Terror der alliierten Bombardements dar oder subtil die kollektive Verdrängung des Holocaust.“
FUNGIRL (Edition Moderne)
Softcover, 256 Seiten, farbig, € 26,00, ISBN: 978-3-03731-263-6 • Originalveröffentlichung auf Englisch seit 2018 online und im Selbstverlag • Übersetzung aus dem Englischen: Christoph Schuler • Leseprobe
Lars von Törne im Tagesspiegel: „Ihre zwischen Selbstüberschätzung und Selbsthass schwankende Eigenwahrnehmung erinnert stellenweise an Anna Haifischs Künstler-Vogel in ‚The Artist‘. Und mit ihrem nihilistischen Humor und ihrer Mir-doch-egal-Attitüde würde Fungirl auch gut ins Figurenensemble der Kiffercomic-Reihe ‚Hexe total‘ von Simon Hanselmann passen.“
DIE MEDIENPARTNER
BuchMarkt – Das Ideenmagazin für den Buchhandel
Comic.de – Das Magazin für Comic-Kultur im Internet
rbbKultur – Deine Ohren werden Augen machen
Der Tagesspiegel – Die größte Zeitung der Hauptstadt
DIE JURY
Niels Beintker (Bayerischer Rundfunk, https://t1p.de/8o0h)
Barbara Buchholz (Der Tagesspiegel, Schnüss, http://t1p.de/p02p)
Anne Delseit (Animania, https://t1p.de/ae4v)
Christian Endres (die zukunft, Geek!, http://t1p.de/ukpk)
Birte Förster (Titel Kulturmagazin, Der Tagesspiegel, http://t1p.de/qtej)
Gerhard Förster (Die Sprechblase, http://t1p.de/wv34)
Christian Gasser (Radio SRF 2, Neue Zürcher Zeitung, http://t1p.de/mlz5)
Meheddiz Gürle (Lektoratsdienste des ekz.bibliotheksservice, https://t1p.de/qsog)
Christoph Haas (Süddeutsche Zeitung, taz. die tageszeitung, http://t1p.de/fqdm)
Volker Hamann (Alfonz, Reddition, http://t1p.de/lr8o)
Andrea Heinze (Deutschlandfunk, rbbKultur, https://t1p.de/lcg9)
Jule Hoffmann (Deutschlandfunk Kultur, http://t1p.de/htfj)
Sven Jachmann (Comic.de, DieZukunft.de, https://t1p.de/pe4jj)
Alex Jakubowski (ARD-aktuell, Comic-Denkblase, https://t1p.de/34ug)
Lucas Sebastian Jordan (Manga Passion, https://t1p.de/7ig7)
Martin Jurgeit (Buchreport, die neunte, http://t1p.de/mnzr)
Michael Klamp (Ostsee-Zeitung, Rostock, https://t1p.de/z4pe)
Karin Krichmayr (Der Standard, http://t1p.de/yjp7)
Gerrit Lungershausen (Comicgate, Comic.de, Closure, http://t1p.de/7xy3)
Mattes Penkert-Hennig (Dein Antiheld, http://t1p.de/5j86)
Claudia Reicherter (Reutlinger General-Anzeiger, http://t1p.de/8v3n)
Martin Reiterer (Wiener Zeitung, http://t1p.de/71xu)
Volker Robrahn (Comic-Talk, https://t1p.de/lz67i)
Martin Schöne (3sat, http://t1p.de/qzyh)
Sabine Scholz (Animania, Der Tagesspiegel, http://t1p.de/g2ju)
Christa Sigg (Abendzeitung, http://t1p.de/g2ju)
Anna Mháire Stritter (Orkenspalter TV, https://t1p.de/lyts)
Lars von Törne (Der Tagesspiegel, http://t1p.de/zuip)
Ralph Trommer (taz.die tageszeitung, http://t1p.de/cagt)
Gesa Ufer (Deutschlandfunk Kultur, rbb radioeins, https://t1p.de/1ky28)