Ernst Grube überlebte die Shoah. In den 1950ern wurde er wegen seiner KPD-Mitgliedschaft von dem NS-Richter Kurt Weber verurteilt. In „Zeit heilt keine Wunden“ zeigt Hannah Brinkmann den unterschiedlichen Umgang mit Tätern und Opfern des Nationalsozialismus in der BRD.
Schon auf der ersten Seite ihres Comics „Zeit heilt keine Wunden“ über das Leben von Ernst Grube lässt Hannah Brinkmann die Leser tief in das Innere des von ihr porträtierten Mannes blicken, der als sogenannter „Halbjude“ erst von den Nazis und später als Kommunist von der BRD-Justiz verfolgt wurde. Und dieser Blick in das Innere ist durchaus im wörtlichen Sinne zu verstehen: Die Bilder dringen in den Körper ein, zeigen ihn als verletzlich, seine Adern und Organe als fragiles Gewebe, dessen Wunden niemals heilen können. „Oft denken die Menschen, man müsse sehen können, was die Gewalt der Nazis anrichtet. Doch die Gewalt der Nazis lässt dich innerlich zerbrechen“, erklärt Ernst Grube, während die begleitenden Bilder von Brinkmann das Innere seines Körpers in Einzelteile zerlegen.
Ernst Grube, geboren 1932 in München als Sohn einer jüdischen Krankenschwester und eines protestantischen Malermeisters, wurde von den Nationalsozialisten als „Halbjude“ anfangs 1945 zusammen mit Geschwistern und Mutter von den Nazis in das Konzentrationslager Theresienstadt gebracht, wo sie aber kurz darauf von der Roten Armee befreit wurden. Nach dem Krieg engagierte sich Grube in München gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands und wurde Mitglied der KPD, die 1956 in Folge der sich verhärtenden Fronten des Kalten Krieges in der BRD verboten wurde. Als Kommunist wurde Grube schließlich von dem einstigen NS-Richter Kurt Weber zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

Hannah Brinkmann macht mit ihrem Comic sowohl die Kontinuitäten der Verfolgungserfahrung wie auch die Integration ehemaliger NS-Funktionäre in das BRD-Justizsystem deutlich. Sie präsentiert in „Zeit heilt keine Wunden“ die Lebensläufe von Grube und Weber, bis diese 1956 aufeinandertreffen und sich zu einer Geschichte verweben, was Brinkmann auch ästhetisch reflektiert: Die Lebensgeschichte Grubes, der nach wie vor in Schulklassen als Zeitzeuge zur Aufklärung über den Nationalsozialismus auftritt, ist in warmen Farben gezeichnet, während das mit „Eine deutsche Karriere“ überschriebene Kapitel über Weber nur in Beige koloriert ist. Im Gerichtssaal, in dem die beiden Männer 1959 aufeinandertreffen, ist einzig die Figur Grube farbig zu sehen, er hebt sich ab von der Farblosigkeit der deutschen Justiz, die das Opfer der Verfolgung erneut zum Opfer macht. Auch wenn man dem Comic seine Funktion als Teil der Bildungsarbeit — er ist eine Auftragsarbeit des NS-Dokumentationszentrums München — in manchen Passagen anmerkt, bleibt er doch in seiner Ästhetik und in seiner klaren antifaschistischen Haltung ein wichtiges Beispiel der Möglichkeiten, im Comic über den Nationalsozialismus zu sprechen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in: Strapazin #158
Hannah Brinkmann: Zeit heilt keine Wunden. Das Leben des Ernst Grube • Avant-Verlag, Berlin 2024 • 272 Seiten • Hardcover • 30 Euro
Jonas Engelmann ist studierter Literaturwissenschaftler, ungelernter Lektor und freier Journalist. Er hat über „Gesellschaftsbilder im Comic“ promoviert, schreibt über Filme, Musik, Literatur, Feminismus, jüdische Identität und Luftmenschen für Jungle World, Konkret, Zonic, Missy Magazine und andere, ist Mitinhaber des Ventil Verlags und Co-Herausgeber des testcard-Magazins. Zuletzt ist von ihm die Textsammlung „Nach Strich und Rahmen“ erschienen.

