Der Österreicher Franz Suess gilt mit seinen Comics als feiner Beobachter unterschiedlicher Milieus. Es sind vor allem die Geschichten des Scheiterns, die Suess aufzeichnet. Für sein aktuelles Projekt „Jakob Neyder“ wurde er mit dem Preis der Bertold Leibinger Stiftung ausgezeichnet.
Jakob Neyder ist ein junger Mann, der mit seiner Mutter und seinem Hund in einer Stadt wohnt. Ein Lieber, sexy, einer, der für jeden Fun zu haben ist. So charakterisieren ihn zwei Freunde gleich zu Beginn des Comics. Aber auch einer, der etwas verhuscht ist, nicht so recht mit der Sprache rausrückt, Konflikte vermeidet. So zeichnet Franz Suess ihn in der ersten Szene mit seiner Mutter. Die Mutter nörgelt, weil Jakob so spät kommt und den Hund beim Tierarzt vergessen hat. Eigentlich wollte Jakob mit seiner Mutter in den Ferien ans Meer reisen. Doch die will lieber mit ihrem Freund fahren. Allerdings sagt sie das nicht, sondern schiebt den Hund vor, der zu krank für die Reise sei.
Das Unausgesprochene und Konfliktvermeidung sind ein Grundmuster in Jakobs Beziehungsgeflecht, das sich durch den ganzen Comic zieht. In feinen Beobachtungen zeichnet Franz Suess das Milieu eines jungen Menschen, der weder Ziel noch Geld hat. Zuhause läuft fortwährend der Fernseher, auf dessen Mattscheibe Bilder von glücklichen Leben und Lieben flimmern, während für Jakob und seine Mutter das fehlende Geld immer wieder zum Thema wird.

Franz Suess zeichnet dieses Leben mit fein schraffierten Bleistiftstrichen, die die Gesichter ein wenig deformiert aussehen lassen. Manchmal werden die Konturen von Mutter und Sohn so nebeneinander gezeichnet, dass sie ineinander übergehen, als seien die beiden ein und dieselbe Person. Alles sieht in diesen Bildern schmuddelig aus. Das Interieur, der Sex mit der Freundin, die erotischen Annäherungen an einen Kumpel. Erst als Jakob mit seinem Hund und seinem Kumpel ins Sommerhaus fährt, zeichnet Suess das in so bunten Farben, als würde nun die große Freiheit beginnen. Doch die Hoffnung wird im Keim erstickt. Das Essen im Haus ist voller Maden, dem Kumpel ist alles zu anstrengend, und dann wird Jakob auch noch von einem Auto von der Straße abgedrängt, sodass er in einem Stacheldrahtzaun landet.
Der Klappentext kündigt ein Verbrechen an. Im Comic selbst bleibt das – wie so vieles – unausgesprochen. Lediglich Jakobs Verhalten deutet darauf hin: Weil er ständig die Nachrichten auf dem Smartphone checkt, gehetzt und dünnhäutig wirkt. Weil er immer mehr Menschen misstraut – so sehr, dass er schließlich gewalttätig wird. Erst ganz zum Schluss zeichnet Suess das Verbrechen und liefert damit eine Erklärung für Jakobs seltsames Verhalten.
„Jakob Neyder“ ist also kein Krimi, sondern eine Milieustudie über Menschen, die in ihrem Alltag so wenig gelernt haben, über ihre Bedürfnisse und Gefühle zu sprechen, dass sie nicht in der Lage sind, tragfähige Beziehungen aufzubauen. Der Comic ist ein weiterer Mosaikstein im Comic-Kosmos über die Vielfalt von Beziehungsmustern. Er kann aber auch als Parabel auf Menschen gelesen werden, denen grundlegende Fähigkeiten des Miteinanders abhandengekommen sind, sodass deren Welt bei unvorhergesehenen Herausforderungen und Krisen zusammenbricht.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 07.10.2025 auf: radio3 rbb
Franz Suess: Jakob Neyder • Avant-Verlag, Berlin 2025 • Hardcover • 184 Seiten • 29,00 Euro
Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.

